Vierter Abschnitt
Das Räsonnement des Inlanddeutschen aber ist einmal: „ja, wenn da noch so viel Gutes herrenlos herumliegt, würden sich schon Leute gefunden haben, die es aufnehmen.“ Dass sie sich finden werden, ist sicher, und alle Nationen sind an der Arbeit. Zum „Gefundenhaben“ aber war keine Zeit, denn, wie gesagt, die Periode ruhiger Entwicklung dauert knapp 30 Jahre. Die Vereinigten Staaten brauchten trotz einer jährlichen fast Millioneneinwanderung über 100 Jahre, um ihre heutige wirtschaftliche Höhe zu erreichen. In Argentinien ist die Einwanderung erst seit wenigen Jahren von Bedeutung, in den Ländern der Westküste ist sie Null. Alter Reichtum existiert nicht, es ließen ihn die Spanier und die Bürgerkriege nicht aufkommen. Die südamerikanischen Vermögen sind relativ jung, und ihre Besitzer haben so viel Möglichkeiten, für deren vorteilhafte Anlage, dass eine Akkumulierung für irgendwelche Spekulationszwecke, wie sie in nordamerikanischen Trusts an der Tagesordnung, hier vorläufig nur selten und dann auch nur in den Anfängen vorhanden sind. Die Milliarden, welche das ausländische (europäische) Kapital verdient, wandern ausnahmslos ins Ausland, ebenso ein großer Teil dessen, was die reichen Inländer einnehmen, nach Paris. Der Handel macht nur Handelsgeschäfte, die Banken fast nur reine Bankgeschäfte. Für Industrien interessieren sie sich meistens nicht. Das, was wir hier Industrie nennen, und was große Kapitalien bildet, existiert noch kaum in den Anfängen. Die Einnahmen der Länder für Rohprodukte wandern für Industrieerzeugnisse nach Europa oder Nordamerika. Die Aktionäre der argentinischen und peruanischen Eisenbahnen sitzen in London, in Hamburg, Paris, Antwerpen usw., ebenso die der Salpetergesellschaften, der Gefrieranlagen, der Dampferlinien, der Elektrizitätswerke u. a. m.
Die alten Spanier haben an Edelmetallen allein aus einem kleinen Teil Boliviens fast acht Milliarden Mark ausgeführt. Heute fließt ein ähnlicher Goldstrom, aber schon aus vielen verschiedenen Quellen, immer noch nach Übersee und nur wenig bleibt im Lande, um es wirklich zu entwickeln. Hierzu kommt noch, dass alle unternehmungslustigen Nationen so viel mit der Verteilung und Ausbeutung anderer Teile der Erde zu tun hatten, dass für das wenig und früher nur als unsicher bekannte Südamerika kein Interesse blieb. England grub Gold in Australien und Südafrika, die Ausdehnung und Ausbeutung seiner riesigen Besitzungen in allen Weltteilen beschäftigte es vollauf. Nordamerika hatte im eigenen Lande und in Klondyke genug zu tun. Das belgische Kapital hatte Russland und den Kongo; übrigens ist sehr viel in Südamerika angelegt. Die vorsichtigen Franzosen spielen lieber die Bankiers aller Welt, namentlich ihrer politischen Freunde. Deutschsand entwickelt seine Industrie, seinen Handel, seine Schifffahrt und seit kurzem seine Kolonien. Wo also sollte wohl Unternehmungslust und Kapital herkommen, um auch nur den zehntausendsten Teil aller der Naturschätze ernstlich auszubeuten, welche in Überfülle vorhanden sind? Diese südamerikanischen Länder sind bisher die Melkkuh aller Welt gewesen und doch ist das, was man ihnen nahm, nur ein Tropfen aus einem See. Milliarden an Kapital und hundert Millionen Arme sind nötig, um auch nur annähernd den Zustand des im „Besitzsein“ herbeizuführen, den die europäischen Länder aufweisen. Entdeckt man noch Gold und Kupfer in der Eifel, Petroleum in Rumänien und Galizien, Kohlen in allen möglichen Gegenden, wie viel erklärlicher ist es nicht, dass solche und andere Werte noch zahlreich in Ländern sind, die bei gleicher Größe kaum den zwanzigsten Teil der Bevölkerung Europas haben?
Parzelliert man hier Latifundien, kultiviert Moore und Heiden, schafft Rieselwiesen, — drüben liegen Millionen von Quadratkilometern besten Landes noch ungenützt, und was genützt wird, kann zehnfach intensiver benützt werden. Wären alle die Milliarden, die den spanischen Fiskus und Handel, englische, deutsche, französische, belgische usw. usw. Kapitalisten bereicherten, in Südamerika geblieben, es brauchte keinen Cent, um sich weiter zu helfen, so aber brauchen diese Länder fremdes Kapital und fremde Arme, die es hundertfältig verzinsen und bezahlen wird, wie dies bisher der Fall ist.
Möge man sich in Deutschland diese Verhältnisse vergegenwärtigen und man wird erkennen, wie groß die Zukunft dieser Länder sich gestalten kann. Diese Länder sind bisher nur einseitig ausgebeutet worden. Wird auch nur ein Teil dessen, was jährlich außer Landes geht, auch auf die Entwicklung verwendet, so werden sie sich in einem staunenerregenden Maßstab entwickeln.
Nehmen wir zu allem diesen, dass das Klima in der Hauptmasse aller dieser Länder außerordentlich viel milder als selbst im südlichen Europa ist, dass es mit Ausnahme weniger tropischer Landstriche als durchaus gesund zu bezeichnen ist, dass der Boden neu, die Regenmengen größer bzw. künstliche Bewässerung vorhanden, dass die Absatzverhältnisse gut, teilweise ausgezeichnet sind, so wird es weiter nicht wundernehmen, dass im großen Ganzen es allen Eingewanderten, seien es Kaufleute oder Landwirte, Handwerker oder Arbeiter, gut geht. Wir haben im Laufe der Jahrzehnte Tausende wohlhabend, reich, ja Multimillionäre werden sehen und kaum einen, dem es nicht geglückt wäre, wenn er es richtig anfing oder nicht besonderes Unglück irgendwelcher Art hatte. Es kann dies schließlich auch Vorkommen, namentlich in Argentinien durch Heuschrecken, Dürre, Hagel oder dergl.
Es ist selbstredend, dass man in diesen Ländern bei jedem Geschäft mit der gleichen Vorsicht zu verfahren hat, wie irgendwo anders, sogar mit weit mehr, denn die Verhältnisse sind dem Neuangekommenen fremd und überall versucht man zu übervorteilen. Hat derselbe aber eine ausreichende Rechtsgrundlage für sein Unternehmen und die absolut notwendige Kenntnis und Praxis des nach Ort und Umständen anzuwendenden Verfahrens, so wird ihm das Vorwärtskommen sicher leichter werden, als in irgendeinem Land der alten Welt. Leider wird die nötige Vorsicht und Kenntnis der Verhältnisse häufig außeracht gelassen, und treten dann Fehlschläge ein, so hat natürlich das miserable Land die Schuld. Womöglich schreit der Geschädigte noch sein Leid in der Presse aus und der aufgeblasene Frosch für die Antipropaganda ist fertig. Je ungerechter eine Klage, desto mehr Lärm macht der Betreffende, und je weiter weg, je schwerer kontrollierbar, desto mehr vergrößert und sensationeller aufgebauscht, findet sich die Sache in der Presse wieder. Auf diese Weise entstehen Städtezerstörungen, Indianerüberfälle, Morde, Rechtsbrüche, kurz Schandtaten aller Art, von denen man häufig am angeblichen Orte der Tat am allerwenigsten weiß. Vollkommene Paradiese sind diese Länder nicht, ebenso wenig wie deren Bewohner Ideale, und irgendwo kommt selbstredend immer etwas vor, wobei sich die Beteiligten ins Unrecht gesetzt glauben, genau ebenso wie in Moabit oder bei ähnlichen Gelegenheiten. Im großen Ganzen lebt man aber in Chile oder Bolivien ebenso ruhig und sicher wie in Preußen und jedenfalls unter weniger Willkür, Gefahr Unannehmlichkeiten und Rechtsunsicherheit, als in den meisten Ländern des östlichen Europa, ganz abgesehen davon, dass die absoluteste Redefreiheit existiert und ausgeübt wird.
Das Verdienen in diesen Ländern ist leichter und der minderen Konkurrenz wegen die Möglichkeit ausgedehnter als in Europa. Man kann auch in Deutschland hohe Gewinne machen, so hohe wie nur irgendwie drüben. Aber die möglichen Gewinne werden hier sozusagen im Voraus berechnet und von monopolisierten Gruppen weggenommen. Drüben ist das nicht möglich, und jeder Einwanderer, der gesunde Arme hat und intelligent ist, trägt den Keim zum Millionär im Rucksack. Der Gründer der Liebigwerke war deutscher Maurergeselle, der Zuckerkönig Tucumans französischer, der Silberkönig Perus deutscher Kollege des ersteren. Die Weinkönige von Mendoza, der Weizenkönig von La Pampa sind italienische Arbeiter. Erstere bezahlen heute jährlich 1 Million Peso allein Facht an die Bahn für den Wein, den sie nach Buenos Aires schicken, dabei sind ihre vinas (Weinfelder) vernachlässigt, weil sie nichts von Weinbau verstehen. Der Zinnkönig Boliviens war vor 10 Jahren Handlungskommis, der größte Reeder Argentiniens Bootsmann, die Salpeterkönige Chiles ein Tischlergeselle und ein weggelaufener Soldat. Solche Existenzen entwickeln sich in kleinerem Maßstabe fortgesetzt zu Tausenden und auf solider Grundlage. Die Steigerung des Bodenwertes in Argentinien hat von 1900 — 1904 in einigen Gegenden bis zum 15fachen betragen und Hunderte von Leuten zu Millionären gemacht, darunter solche, die vor 1900 ihre Besitzungen um keinen Preis loswerden konnten. Eine große Firma verdiente an Land, das sie von faulen Schuldnern annahm, über 20 Millionen. Soweit ausgedehnt wie in jenen Ländern finden sich, namentlich im Verhältnis zur Dichte der Bevölkerung, solche Gewinngelegenheiten in den alten Ländern nicht. — Man wird sofort nach der Kehrseite der Medaille fragen und Beispiele von in Südamerika verlorenen Summen anführen. Diese Verluste liegen im Wesentlichen auf dem Gebiet des Handels und der Spekulation. Für den Handel schreiben wir nicht, der Handel kennt seinen Weg allein am besten. Für junge kaufmännische Angestellte bemerken wir nur, dass die Chancen sich seit 10 Jahren erheblich verschlechtert haben wegen Überfüllung. Über die Spekulation ein Wort zu verlieren, wäre unnütz. Sie ist dieselbe überall. Sie schafft überall Reiche und noch mehr Arme. Es ist auch möglich, dass deutsche Kapitalisten Geld in irgendein schwindelhaftes Bergwerksunternehmen steckten. Eine süddeutsche Gesellschaft verlor auf diese Weise in den letzten Jahren 1 1/2 Millionen Mark. Sie vertraute sie einem engeren Landsmann, einem süddeutschen Ingenieur an, der bereits drei Geldunternehmen vorher in den Bankerott gewirtschaftet hatte. Dieses war das Vierte. Wer lange in Südamerika gelebt und den Gang der Dinge beobachtet hat, hält es wie wir auch für ausgeschlossen, dass ein ehrlicher Ingenieur auf ein gutes Unternehmen auch nur einen Pfennig erhalten hätte. Der ausgefallenste Schwindel aber findet immer deutsches Kapital. So war es in diesem Fall, dann bei der Venezuela-Schwefel-Gesellschaft, bei der 3 Millionen in ein Terrain gesteckt wurden, welches gar keinen Schwefel enthielt und so andere mehr. Der Kenner fragt sich, wie ist es möglich, solchem Menschen für solche Sachen auch nur einen Cent zu geben. Der deutsche Kapitalist lamentiert über das verruchte Land. Das Land ist nicht daran schuld. Wie einer sich bettet, so liegt er. Man kann sich in der Sahara behaglich einrichten und andererseits auf einem Sammet-Kissen in eine Nadel setzen. Das hängt von der Vorsicht und Umsicht eines jeden ab und ist individuell. Der Bergbau ist auch nicht daran schuld. Alle alten großen Vermögen in Chile kommen aus den Kupferminen von Copiapó, in Bolivien sind im letzten Jahrzehnt viele Millionen betragende Vermögen durch Zinnbergbau gebildet, viele Aktiengesellschaften, die Minen bearbeiten, bezahlen hohe Zinsen. Auch die Goldmine der deutschen Gesellschaft war gut, wenn sie richtig bearbeitet worden wäre, und der Vorbesitzer, der sie vernünftig betrieb, hat auf ihr Vermögen gemacht, indes der Leiter taugte nichts. Kommen solche Verluste in Deutschland vor, was sich oft genug ereignet, so ist der Patient eben vorschriftsmäßig gestorben und kein Hahn kräht danach. Passiert es in Südamerika, so ist das schreckliche Land daran schuld. Es wäre wohl angebracht, bei solchen Klagen an die Dutzende von Villen, Palais und großen Geschäftshäuser zu denken, die in den vornehmen Vierteln von Dresden, Berlin, Hamburg, Paris, London, Antwerpen u. a. a. O. von Geld erbaut sind, das in den angeführten Ländern erworben wurde, an die Herrschaften und Großgrundbesitze, die gekauft wurden, an die Milliarden, die der Handel und die industriellen Gesellschaften und Eisenbahnkompagnien zahlten und die in den Banken aufgespeichert wurden oder sich anderweit verteilten, an die Einnahmen der Schifffahrtslinien, an die Hunderte von Millionen in Rohstoffen aller Art, Getreide, tierische Produkte, Metalle, die alljährlich nach Europa schwimmen und die gegen eine fast noch größere Anzahl von Millionen europäischer Industrieprodukte ausgetauscht werden, an die Salpeter- und Guanokönige, an die Dividenden, die einige dreißig deutsche Bankfilialen schaffen, deren Zahl in jedem Jahre steigt. Und das alles nach höchstens 30 Jahren ungestörter Entwicklung. Sind das die Leistungen dieser Länder im Kindesalter, welcher Riese wird dann dermaleinst aus diesem Kinde sich entwickeln? Es ist nicht schwer, dies vorauszusehen. Eine Bevölkerung von 800 Millionen Menschen kann in diesen Ländern leben, die alle Rohstoffe produzieren, welche heute zum wirtschaftlichen Leben einer Nation notwendig sind.
Welchen Anteil aber wird Deutschland an diesem Entwicklungsgange nehmen? Soll die entstehende Nation nur aus Italienern, Spaniern und russischen Juden bestehen, dem Hauptkontingent der heutigen Einwanderung, oder wird sie einen germanischen Einschlag haben? Und wie stark wird er sein? Wird die deutsche Auswanderung auch weiter im Yankee- und Engländertum verloren gehen wie bisher, oder wird sie uns erhalten bleiben, wenn auch unter weißblauer Flagge?
Die alten Spanier haben an Edelmetallen allein aus einem kleinen Teil Boliviens fast acht Milliarden Mark ausgeführt. Heute fließt ein ähnlicher Goldstrom, aber schon aus vielen verschiedenen Quellen, immer noch nach Übersee und nur wenig bleibt im Lande, um es wirklich zu entwickeln. Hierzu kommt noch, dass alle unternehmungslustigen Nationen so viel mit der Verteilung und Ausbeutung anderer Teile der Erde zu tun hatten, dass für das wenig und früher nur als unsicher bekannte Südamerika kein Interesse blieb. England grub Gold in Australien und Südafrika, die Ausdehnung und Ausbeutung seiner riesigen Besitzungen in allen Weltteilen beschäftigte es vollauf. Nordamerika hatte im eigenen Lande und in Klondyke genug zu tun. Das belgische Kapital hatte Russland und den Kongo; übrigens ist sehr viel in Südamerika angelegt. Die vorsichtigen Franzosen spielen lieber die Bankiers aller Welt, namentlich ihrer politischen Freunde. Deutschsand entwickelt seine Industrie, seinen Handel, seine Schifffahrt und seit kurzem seine Kolonien. Wo also sollte wohl Unternehmungslust und Kapital herkommen, um auch nur den zehntausendsten Teil aller der Naturschätze ernstlich auszubeuten, welche in Überfülle vorhanden sind? Diese südamerikanischen Länder sind bisher die Melkkuh aller Welt gewesen und doch ist das, was man ihnen nahm, nur ein Tropfen aus einem See. Milliarden an Kapital und hundert Millionen Arme sind nötig, um auch nur annähernd den Zustand des im „Besitzsein“ herbeizuführen, den die europäischen Länder aufweisen. Entdeckt man noch Gold und Kupfer in der Eifel, Petroleum in Rumänien und Galizien, Kohlen in allen möglichen Gegenden, wie viel erklärlicher ist es nicht, dass solche und andere Werte noch zahlreich in Ländern sind, die bei gleicher Größe kaum den zwanzigsten Teil der Bevölkerung Europas haben?
Parzelliert man hier Latifundien, kultiviert Moore und Heiden, schafft Rieselwiesen, — drüben liegen Millionen von Quadratkilometern besten Landes noch ungenützt, und was genützt wird, kann zehnfach intensiver benützt werden. Wären alle die Milliarden, die den spanischen Fiskus und Handel, englische, deutsche, französische, belgische usw. usw. Kapitalisten bereicherten, in Südamerika geblieben, es brauchte keinen Cent, um sich weiter zu helfen, so aber brauchen diese Länder fremdes Kapital und fremde Arme, die es hundertfältig verzinsen und bezahlen wird, wie dies bisher der Fall ist.
Möge man sich in Deutschland diese Verhältnisse vergegenwärtigen und man wird erkennen, wie groß die Zukunft dieser Länder sich gestalten kann. Diese Länder sind bisher nur einseitig ausgebeutet worden. Wird auch nur ein Teil dessen, was jährlich außer Landes geht, auch auf die Entwicklung verwendet, so werden sie sich in einem staunenerregenden Maßstab entwickeln.
Nehmen wir zu allem diesen, dass das Klima in der Hauptmasse aller dieser Länder außerordentlich viel milder als selbst im südlichen Europa ist, dass es mit Ausnahme weniger tropischer Landstriche als durchaus gesund zu bezeichnen ist, dass der Boden neu, die Regenmengen größer bzw. künstliche Bewässerung vorhanden, dass die Absatzverhältnisse gut, teilweise ausgezeichnet sind, so wird es weiter nicht wundernehmen, dass im großen Ganzen es allen Eingewanderten, seien es Kaufleute oder Landwirte, Handwerker oder Arbeiter, gut geht. Wir haben im Laufe der Jahrzehnte Tausende wohlhabend, reich, ja Multimillionäre werden sehen und kaum einen, dem es nicht geglückt wäre, wenn er es richtig anfing oder nicht besonderes Unglück irgendwelcher Art hatte. Es kann dies schließlich auch Vorkommen, namentlich in Argentinien durch Heuschrecken, Dürre, Hagel oder dergl.
Es ist selbstredend, dass man in diesen Ländern bei jedem Geschäft mit der gleichen Vorsicht zu verfahren hat, wie irgendwo anders, sogar mit weit mehr, denn die Verhältnisse sind dem Neuangekommenen fremd und überall versucht man zu übervorteilen. Hat derselbe aber eine ausreichende Rechtsgrundlage für sein Unternehmen und die absolut notwendige Kenntnis und Praxis des nach Ort und Umständen anzuwendenden Verfahrens, so wird ihm das Vorwärtskommen sicher leichter werden, als in irgendeinem Land der alten Welt. Leider wird die nötige Vorsicht und Kenntnis der Verhältnisse häufig außeracht gelassen, und treten dann Fehlschläge ein, so hat natürlich das miserable Land die Schuld. Womöglich schreit der Geschädigte noch sein Leid in der Presse aus und der aufgeblasene Frosch für die Antipropaganda ist fertig. Je ungerechter eine Klage, desto mehr Lärm macht der Betreffende, und je weiter weg, je schwerer kontrollierbar, desto mehr vergrößert und sensationeller aufgebauscht, findet sich die Sache in der Presse wieder. Auf diese Weise entstehen Städtezerstörungen, Indianerüberfälle, Morde, Rechtsbrüche, kurz Schandtaten aller Art, von denen man häufig am angeblichen Orte der Tat am allerwenigsten weiß. Vollkommene Paradiese sind diese Länder nicht, ebenso wenig wie deren Bewohner Ideale, und irgendwo kommt selbstredend immer etwas vor, wobei sich die Beteiligten ins Unrecht gesetzt glauben, genau ebenso wie in Moabit oder bei ähnlichen Gelegenheiten. Im großen Ganzen lebt man aber in Chile oder Bolivien ebenso ruhig und sicher wie in Preußen und jedenfalls unter weniger Willkür, Gefahr Unannehmlichkeiten und Rechtsunsicherheit, als in den meisten Ländern des östlichen Europa, ganz abgesehen davon, dass die absoluteste Redefreiheit existiert und ausgeübt wird.
Das Verdienen in diesen Ländern ist leichter und der minderen Konkurrenz wegen die Möglichkeit ausgedehnter als in Europa. Man kann auch in Deutschland hohe Gewinne machen, so hohe wie nur irgendwie drüben. Aber die möglichen Gewinne werden hier sozusagen im Voraus berechnet und von monopolisierten Gruppen weggenommen. Drüben ist das nicht möglich, und jeder Einwanderer, der gesunde Arme hat und intelligent ist, trägt den Keim zum Millionär im Rucksack. Der Gründer der Liebigwerke war deutscher Maurergeselle, der Zuckerkönig Tucumans französischer, der Silberkönig Perus deutscher Kollege des ersteren. Die Weinkönige von Mendoza, der Weizenkönig von La Pampa sind italienische Arbeiter. Erstere bezahlen heute jährlich 1 Million Peso allein Facht an die Bahn für den Wein, den sie nach Buenos Aires schicken, dabei sind ihre vinas (Weinfelder) vernachlässigt, weil sie nichts von Weinbau verstehen. Der Zinnkönig Boliviens war vor 10 Jahren Handlungskommis, der größte Reeder Argentiniens Bootsmann, die Salpeterkönige Chiles ein Tischlergeselle und ein weggelaufener Soldat. Solche Existenzen entwickeln sich in kleinerem Maßstabe fortgesetzt zu Tausenden und auf solider Grundlage. Die Steigerung des Bodenwertes in Argentinien hat von 1900 — 1904 in einigen Gegenden bis zum 15fachen betragen und Hunderte von Leuten zu Millionären gemacht, darunter solche, die vor 1900 ihre Besitzungen um keinen Preis loswerden konnten. Eine große Firma verdiente an Land, das sie von faulen Schuldnern annahm, über 20 Millionen. Soweit ausgedehnt wie in jenen Ländern finden sich, namentlich im Verhältnis zur Dichte der Bevölkerung, solche Gewinngelegenheiten in den alten Ländern nicht. — Man wird sofort nach der Kehrseite der Medaille fragen und Beispiele von in Südamerika verlorenen Summen anführen. Diese Verluste liegen im Wesentlichen auf dem Gebiet des Handels und der Spekulation. Für den Handel schreiben wir nicht, der Handel kennt seinen Weg allein am besten. Für junge kaufmännische Angestellte bemerken wir nur, dass die Chancen sich seit 10 Jahren erheblich verschlechtert haben wegen Überfüllung. Über die Spekulation ein Wort zu verlieren, wäre unnütz. Sie ist dieselbe überall. Sie schafft überall Reiche und noch mehr Arme. Es ist auch möglich, dass deutsche Kapitalisten Geld in irgendein schwindelhaftes Bergwerksunternehmen steckten. Eine süddeutsche Gesellschaft verlor auf diese Weise in den letzten Jahren 1 1/2 Millionen Mark. Sie vertraute sie einem engeren Landsmann, einem süddeutschen Ingenieur an, der bereits drei Geldunternehmen vorher in den Bankerott gewirtschaftet hatte. Dieses war das Vierte. Wer lange in Südamerika gelebt und den Gang der Dinge beobachtet hat, hält es wie wir auch für ausgeschlossen, dass ein ehrlicher Ingenieur auf ein gutes Unternehmen auch nur einen Pfennig erhalten hätte. Der ausgefallenste Schwindel aber findet immer deutsches Kapital. So war es in diesem Fall, dann bei der Venezuela-Schwefel-Gesellschaft, bei der 3 Millionen in ein Terrain gesteckt wurden, welches gar keinen Schwefel enthielt und so andere mehr. Der Kenner fragt sich, wie ist es möglich, solchem Menschen für solche Sachen auch nur einen Cent zu geben. Der deutsche Kapitalist lamentiert über das verruchte Land. Das Land ist nicht daran schuld. Wie einer sich bettet, so liegt er. Man kann sich in der Sahara behaglich einrichten und andererseits auf einem Sammet-Kissen in eine Nadel setzen. Das hängt von der Vorsicht und Umsicht eines jeden ab und ist individuell. Der Bergbau ist auch nicht daran schuld. Alle alten großen Vermögen in Chile kommen aus den Kupferminen von Copiapó, in Bolivien sind im letzten Jahrzehnt viele Millionen betragende Vermögen durch Zinnbergbau gebildet, viele Aktiengesellschaften, die Minen bearbeiten, bezahlen hohe Zinsen. Auch die Goldmine der deutschen Gesellschaft war gut, wenn sie richtig bearbeitet worden wäre, und der Vorbesitzer, der sie vernünftig betrieb, hat auf ihr Vermögen gemacht, indes der Leiter taugte nichts. Kommen solche Verluste in Deutschland vor, was sich oft genug ereignet, so ist der Patient eben vorschriftsmäßig gestorben und kein Hahn kräht danach. Passiert es in Südamerika, so ist das schreckliche Land daran schuld. Es wäre wohl angebracht, bei solchen Klagen an die Dutzende von Villen, Palais und großen Geschäftshäuser zu denken, die in den vornehmen Vierteln von Dresden, Berlin, Hamburg, Paris, London, Antwerpen u. a. a. O. von Geld erbaut sind, das in den angeführten Ländern erworben wurde, an die Herrschaften und Großgrundbesitze, die gekauft wurden, an die Milliarden, die der Handel und die industriellen Gesellschaften und Eisenbahnkompagnien zahlten und die in den Banken aufgespeichert wurden oder sich anderweit verteilten, an die Einnahmen der Schifffahrtslinien, an die Hunderte von Millionen in Rohstoffen aller Art, Getreide, tierische Produkte, Metalle, die alljährlich nach Europa schwimmen und die gegen eine fast noch größere Anzahl von Millionen europäischer Industrieprodukte ausgetauscht werden, an die Salpeter- und Guanokönige, an die Dividenden, die einige dreißig deutsche Bankfilialen schaffen, deren Zahl in jedem Jahre steigt. Und das alles nach höchstens 30 Jahren ungestörter Entwicklung. Sind das die Leistungen dieser Länder im Kindesalter, welcher Riese wird dann dermaleinst aus diesem Kinde sich entwickeln? Es ist nicht schwer, dies vorauszusehen. Eine Bevölkerung von 800 Millionen Menschen kann in diesen Ländern leben, die alle Rohstoffe produzieren, welche heute zum wirtschaftlichen Leben einer Nation notwendig sind.
Welchen Anteil aber wird Deutschland an diesem Entwicklungsgange nehmen? Soll die entstehende Nation nur aus Italienern, Spaniern und russischen Juden bestehen, dem Hauptkontingent der heutigen Einwanderung, oder wird sie einen germanischen Einschlag haben? Und wie stark wird er sein? Wird die deutsche Auswanderung auch weiter im Yankee- und Engländertum verloren gehen wie bisher, oder wird sie uns erhalten bleiben, wenn auch unter weißblauer Flagge?
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen Interessen in Argentinien, Chile, Bolivien und Peru.