Deutsche Maler und Zeichner im Neunzehnten Jahrhundert - Die Nazarener - Philipp Otto Runge (*1777 Wolgast - †1810 Hamburg)

Autor: Scheffler, Karl (1869-1951) Kunstkritiker, Erscheinungsjahr: 1923
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunst und Kultur, Maler, Bildhauer, Künstler, Böcklin, Joseph von Führich, Karl Philipp Fehr, Ferdinand von Oliver, Philipp Veit, Peter Cornelius, Rudolph Friedrich Wasmann, Julius Oldach, Philipp Otto Runge, Kaspar David Friedrich, Alfred Rethel, Arnold Böcklin, Max Klinger, Hans Thoma, Kunstgeschichte, Künstlerpersönlichkeiten, Hildebrand, Kunstwerk, Expressionismus, Kunstfreunde, Historienmaler,
Innerhalb jener zweiten Gruppe von Nazarenern gibt es einige persönlich merkwürdige Künstler, die zwischen Gedanken- und Wirklichkeitsmalerei vermittelt haben und die heute darum in gewisser Weise als Vorläufer moderner Kunstanschauungen erscheinen. Unter ihnen begegnet man den stärksten Malern der Bewegung, wenn sie es oft auch wie gegen ihren Willen gewesen sind, wenn ihnen die stärksten Werte zuweilen auch nur wie nebenbei, wie außerhalb der sie beherrschenden Tendenz gelungen sind.

An der Spitze dieser dualistischen Begabungen steht der Hamburger Philipp Otto Runge, auf den die Augen der Zeitgenossen seit einigen Jahrzehnten besonders aufmerksam wieder gerichtet sind. Runge steht vor uns als ein still vergrübelter Norddeutscher, der einen Keim der Todeskrankheit von je in sich trug und dessen Wesen eben durch diese Disposition aristokratisiert wurde; den die zarte Gebrechlichkeit zum Künstler und Träumer machte, ihm Fühlen und Schauen kultivierte. Dem die Krankheit aber auch die Lebenskraft brach, so dass er, erschrocken vor dem Sturmesodem des Lebens, in den Schutz des Christentums flüchtete und von diesem sicheren Port aus fast hochmütig auf die blickte, die ihm in den ehrwürdigen Tempel mit den erblindenden Scheiben nicht folgen mochten. Ein Gottsucher, der sich auf sein starres Protestantentum etwas zugute tat, der aber, wenn er in Rom oder München gelebt hätte, sicher ebenfalls in den ,,Schoß der katholischen Mutterkirche" mit asketisch mystischer Verbissenheit zurückgekehrt wäre — wie sein Landsmann Wasmann es tat, wie es das Prinzip des Nazarenertums beinahe forderte. Eine ganz zarte Seele, worin leise ein poetisch reicher Lebensfrühling mit tausend rosigen Blütenblättern emporzukeimen strebte, aber nicht zur Entfaltung kam, weil der Raureif kalt geborener Spekulation sich frostig darüberlegte. Ein reicher Geist, der sich intensiv mit Farbenlehre beschäftigte, eine Arbeit der Brüder Grimm begann, als er Märchen seiner Heimat sammelte, und der die sehr reale Heimatkunst Reuters und Klaus Groths vorahnte, als er sich beim Nacherzählen dieser Märchen der plattdeutschen Sprache bediente; der die Ahnung moderner Naturanschauung in sich trug und sich zugleich um lebendige Monumentalisierung seines Fühlens bemühte; der malerisches Ingenium offenbarte, ohne eigentlich ein Maler zu sein, und sich mit allen Organen ans Wirkliche zu klammern suchte, ohne doch festen Halt zu finden, weil die ,,Idee" ihn immer wieder von der mit heller Entzückung geliebten Natur zurückriss. Ein Künstler, vor dessen Werken und Schriften man versteht, dass feine Geister der Gegenwart ihm in Bewunderung zugetan sind und dem gegenüber man doch auch Goethes harte Worte billigt, die dieser allem grüblerischen Konvertitentum abgewandte Lebenssieger über die Geistesrichtung Runges sprach: ,,Die Lehre war, der Künstler brauche vorzüglich Frömmigkeit und Genie, um es den Besten gleichzutun. Eine solche Lehre war sehr einschmeichelnd, und man ergriff sie mit beiden Händen. Denn um fromm zu sein, brauchte man nichts zu lernen, und das eigene Genie brachte jeder schon von seiner Frau Mutter." Und dann schroffer noch über den Freund und Gesinnungsgenossen Runges, Brentano: ,, Zuletzt warf er sich in die Frömmigkeit. Wie denn überhaupt die von Natur Verschnittenen nachher gern überfromm werden, wenn sie endlich eingesehen haben, dass sie anderswo zu kurz kamen und dass es mit dem Leben nicht geht." In der deutschen Malerei steht Runge jedenfalls als eine packende Merkwürdigkeit da. Es tauchen in seiner tendenzvoll stilisierenden, symbollüsternen Formenhärte entschieden Böcklinische Züge schon auf, es kündet sich in seiner Arabeskenromantik deutlich schon das Kunstgewerbliche des Walter Grane an, das im englischen Präraffaelitismus später eine so große Rolle spielen sollte, und es hat sich daneben dann in einem Selbstporträt und in anderen Kleinigkeiten ein Maler geäußert, der sich in einem Punkt neben Feuerbach stellen kann. Runges Problematik ist es, die ihn über die unlebendige Reife der Overbeck und Genossen erhebt. Wie denn überhaupt alle die jungen Hamburger jener Zeit in das Nazarenertum eine besondere Naturfrische hineinbringen. Man braucht nur an die Bildnisse Oldachs und der Brüder Gensler zu denken, an die Landschaften Morgensterns und Hermann Kauffmanns, oder an Zeichnungen, wie die von Otto Speckter. Sie bringen vor allem eine Art von zeichnerisch gebundenem Impressionismus in die Landschaftsdarstellung, wie er ähnlich in den für jene Epoche merkwürdig anschauungsfrischen und unmittelbaren italienischen Landschaften Martin Rohdens zutage tritt. Wie stark und selbstherrlich der moderne Geist hier zuerst auftrat, das wird vor allem dann aber vor den Arbeiten eines anderen Hamburgers noch klar, den Bernt Grönvold uns in Meran wiederentdeckt hat. Friedrich Wasmann, der als ein waschechter Nazarener ebenfalls zum Katholizismus übertrat und sein Leben in Tirol beschloss, zeigt, bis zu welchem Grade sich die zeichnende Kunst der Nazarener naturalisieren und malerisch auflockern konnte, wenn die Malerpersönlichkeit dahin gelangte, die Natur mit voraussetzungsloser Hingabe anzuschauen und tendenzlos wiederzugeben. Es gibt Bildniszeichnungen und Porträts von Wasmann, die einen Ingres-Zug haben, und es gibt kleine Landschaften von ihm, in denen die harten Berglinien der Tiroler Natur vom weichen atmosphärischen Duft ganz aufgesogen sind. Bei Wasmann hat es sich gezeigt, in welcher Weise die schönen menschlichen Charaktereigenschaften der Nazarener dem Künstlerischen zugute kamen, wenn sie einmal in den Dienst des Talents gestellt wurden. In Wasmanns anspruchslosen Bildern ist alle die Innigkeit, Genauigkeit, Zuverlässigkeit und die gewissenhafte Treue des Nazarenertums einer guten Malerei förderlich geworden. Wasmann steht als eines der reinsten und erfreulichsten Malertalente unter den Nazarenern da, als einer der immer wieder Lebendigen. Freilich kann das nur bedingt gesagt werden. Denn Wasmann war uns bis vor wenigen Jahren ein vollkommen Fremder, und es ist nicht unmöglich, dass neben ihm noch Gleichstrebende gelebt haben, von denen wir heute nichts mehr wissen. Wenigstens lässt eine Erscheinung wie die Janssens, der ebenfalls ein Hamburger war und dem ein herrlich anschaulich gemalter Halbakt zugeschrieben wird, vermuten, dass die Wertungen der deutschen Kunstgeschichte dieser Zeit noch längst nicht als definitiv zu gelten haben.

013 Selbstbildnis. Philipp Otto Runge (1777 Wolgast-1810 Hamburg)

013 Selbstbildnis. Philipp Otto Runge (1777 Wolgast-1810 Hamburg)

014 Detail aus der zweiten Fassung des -Morgen-. Philipp Otto Runge (1777 Wolgast - 1810 Hamburg)

014 Detail aus der zweiten Fassung des -Morgen-. Philipp Otto Runge (1777 Wolgast - 1810 Hamburg)