Deutsche Maler und Zeichner im Neunzehnten Jahrhundert - Die Nazarener - Kaspar David Friedrich (*1774 Greifswald - †1840 Hamburg)

Autor: Scheffler, Karl (1869-1951) Kunstkritiker, Erscheinungsjahr: 1923
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunst und Kultur, Maler, Bildhauer, Künstler, Böcklin, Joseph von Führich, Karl Philipp Fehr, Ferdinand von Oliver, Philipp Veit, Peter Cornelius, Rudolph Friedrich Wasmann, Julius Oldach, Philipp Otto Runge, Kaspar David Friedrich, Alfred Rethel, Arnold Böcklin, Max Klinger, Hans Thoma, Kunstgeschichte, Künstlerpersönlichkeiten, Hildebrand, Kunstwerk, Expressionismus, Kunstfreunde, Historienmaler, Anselm Feuerbach, Adolf Menzel, Karl Schuch, Franz Krüger, Max Slevogt, Wilhelm Leibl, Wilhelm Trübner, Hans von Marées,
Eine andere Einzelpersönlichkeit von merkwürdig beschränkt genialischem Gepräge ist Kaspar David Friedrich. Mit ihm tritt dem Betrachter deutscher Kunst eine prächtig exemplarische Gestalt lebendig vor Augen, typisch in vielen Zügen für die deutsche Romantik zur Zeit unserer Großeltern. Unzufrieden mit der ermüdet ruhenden Zeit, tief vergraben in milden, aus solcher Unzufriedenheit sich ergebenden Gedanken der Weltflucht, sentimental aus Mangel an traditionsmächtig entwickelter Produktionskraft, spirituell und dialektisch aus versetzter Sinnlichkeit, originell durch die Anschauungsfähigkeit hingegebener Liebe, Zukünftiges vorahnend, weil heißes Lebensgefühl vorwärtsdrängte, und philisterhaft beschränkt, weil die unfreie Zeit ihren anlehnungsbedürftigen Sohn nie ganz losließ: so war Kaspar David Friedrich. An einem Tage gelang es ihm, einen Sonnenaufgang zu malen, der an Van Goghs symbollüsternen Impressionismus leise denken lässt, und zu anderer Zeit malte seine Naturlyrik andächtige Gemälde, die an ein Albumblatt aus dem Stammbuch der Großmutter erinnern. Einmal verirrte der Maler sich, wie ein tränenschwer sich einspinnender Held Jean Pauls, in den engen Sackgassen der biedermeierlichen Kleinbürgerbeschränktheit; und ein andermal unterhielt er sich schwärmend auf Bergesgipfeln, eben wie jener gelockte Achill Jean Pauls in gelben Stulpenstiefeln, mit Gott und der Ewigkeit. Er war religiös, wie es die Frauen sind: aus Wollust am Beherrschtsein; war Mystiker, wie es Kinder sind. Dieser verträumte Pommer hätte unter Umständen ebenfalls konvertiert, wie Overbeck, Veit, Wasmann, wie so viele andere; denn auch er war ein verkappter Nazarener. Ein sezessionistischer Nazarener, wenn man will. Nur die ersten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts, in denen es an der Tagesordnung war, dass die Zacharias-Werner-Naturen den Hörsälen der Kantischen Philosophie unbefriedigt und bang entliefen, um dem Papsttum in die weitgeöffneten Arme zu eilen, konnte diese Mischung von Modernität, Romantik und Unfähigkeit erzeugen.

Vor Friedrichs Bildern, worin sich unmittelbar lebendige Anschauung und dialektischer Symbolismus, begrifflich hinweisende Kartonlinien und sinnliche Eindrücke seltsam verbinden, kommt einem die Episode aus dem ,,Grünen Heinrich" in den Sinn, wo dieser dem bösen Lys seine Bilder zeigt. Was Lys ausruft vor einer geologischen, schulgerecht mit den verschiedenen Gesteinsarten aufgebauten Gebirgslandschaft, worin Moses die Gesetze aufzeichnet, wobei ihm das ,,prästabilierte Jesuskind" über die Schulter schaut, das könnte zum guten Teil auch an Friedrich gerichtet sein: ,,Das ist der Schlüssel! Wir haben einen Spiritualisten vor uns, einen, der die Welt aus dem Nichts hervorbringt! Sie glauben wahrscheinlich heftig an Gott?" Dieser Moses, dieses Jesuskind: wie oft sind sie in jener Zeit gemalt worden; wie oft sind Bilder geologisch, botanisch, biblisch oder sonstwie gedanklich mit inniger Liebe zurechtgebaut worden! Auch Friedrich setzte etwa auf eine Gletscherhöhe ein Kreuz und zeigte einen Mann, der eine Frau zu diesem Wahrzeichen hinaufzieht. Dieses Symbol wirkt liliputisch auf dem großen Bild wie das Tüpfelchen auf dem I. Oder er zeigte ein beleuchtetes Wrack im Weltenmeer nach dem Sturm. Sieht man aber von diesen epigrammatischen Begriffszuspitzungen ab, so bleibt meistens eine reine und wertvolle Naturanschauung. Der Dualismus in Friedrich lässt sich greifen. Man muss sich erinnern, dass jener heftig glaubende Maler des Moses und der geognostischen Landschaft derselbe Gottfried Keller gewesen ist, der später, als er sich selbst befreit hatte, als Schriftsteller eine majestätisch beherrschte Sinnlichkeit lebendigster Anschauung entwickelte. Der Spiritualismus ist sehr oft der Anfang, nicht das Ende der Kunstbegabung. Auch in Friedrichs Kunst, wie in der seiner ganzen Zeit, lag dem Symbolismus die Ahnung reicherer Anschauungskraft zugrunde. Dieses Gegenspiel von sinnlicher Unmittelbarkeit und Didaktik, von Anschauung und Literatur macht Friedrichs Malerei historisch so interessant und ästhetisch so problematisch. Sie ist tatsächlich dilettantisch ; aber in einem höheren Sinne. Dieser Dilettantismus, der von der Kunstgeschichte konserviert wird, ist der Jung-Stillings, Jeremias Gotthelfs oder Runges; der Dilettantismus des späteren Thoma. Das viel missbrauchte Wort Persönlichkeit muss benutzt werden, um zu erklären, warum die von den feinsten Elementen durchsetzte, aber zeitlich gefesselte Malerei Friedrichs, die ohne eigentliche Malkultur doch oft das ursprüngliche Gefühl auszudrücken weiß und mit ihrer Illuminationskoloristik an das Wesen der Stimmungen rührt, die Malerei seiner Zeitgenossen in so manchen Punkten überragt. Das edel Kindliche, das hinter dieser mäßigen Kunst steht, ist modern und wird es immer sein ; trotz der hohen Halsbinde und dem gravitätischen Stelzschritt ist sie liebenswürdig und zärtlich. Es zwitschert darin, trotz aller wunderlichen Anmerkungen, die Freude am warmen Lebenssonnenschein; sie ist die selige Morgen traumdeutweise eines ganz reinen Menschen. Da aber reine Menschlichkeit in der Kunstgeschichte immer etwas Wertvolles schafft, selbst wenn sie veraltete Ausdrucksweisen benutzt und dilettierend die Qualität, die sie schafft, nicht erschöpft, so wird der blonde Pommer mit den blauen Augen und dem schwermütigen Lächeln den Platz behalten, der ihm endlich eingeräumt worden ist. Man wird es nicht wieder vergessen, dass in der Malerei dieses Ideendeuters erstaunlich moderne Instinkte sind. Immer freilich von biedermeierlicher Enge umschlossen. Man denkt, unterstützt durch das Porträt, das Kersting von dem blonden Sinnierer gemalt hat, an den Kreis um E. Th. A. Hoffmann; und dann, vor einem erstaunlichen Meerbild voll drückender Sturmstimmung, wieder an Courbet. Starke Landschaftsvereinfachung, die aber die heftige Innigkeit des Naturgefühls nicht schwächt, sondern steigert, weckt Erinnerungen an japanische Farbenholzschnitte; und die Untermalung eines ,,Sonnenaufganges" bringt, wie gesagt, einem den Namen Van Gogh auf die Lippe. Überall geht der warme Atem eines liebebedürftigen Gemütes; aber zugleich schaut, vielleicht zuerst im Deutschland des neunzehnten Jahrhunderts, ein Auge an, dem alles konkret Seiende zu gespenstischen Erscheinungen, zu formschönen Relativitäten wird. Dieser Geist, typisch für eine Zeit, die über Jean Pauls Romanen lachte und weinte, wurde manchmal grotesk aus innerem Reichtum, wie ein nordischer Siebenkäs, vermochte sich nie ganz zu befreien, weil es ihm an strotzender Vitalität fehlte, und bereicherte so die deutsche Kleinbürgerlichkeit mit Weltgefühlen und Ewigkeitsempfindungen, ohne je die Hausbackenheit ganz zu überwinden. *)

*) Die Gestalt Kaspar David Friedrichs ist interessant genug, um es zu rechtfertigen, wenn wiederholt wird, was Wilhelm von Kügelgen in seinen ,,Jugenderinnerungen eines alten Mannes" aus eigener Anschauung biographisch über ihn angemerkt hat: ,,Friedrich war ein sehr aparter Mensch. Mit seinem ungeheuren Kosakenbarte und großen düsteren Augen hatte er ein treffliches Modell zu einem Bilde meines Vaters abgegeben, das den König Saul darstellte, über den der böse Geist vom Herrn kommt. Doch wohnte in ihm vielmehr ein Geist, der keine Fliege kränken, viel weniger geneigt sein konnte, den frommen Harfenisten David zu erlegen, ein sehr zarter kindlicher Sinn, den Kinder und kindliche Naturen leicht erkannten, mit denen er daher auch gern und zutraulich verkehrte. Im allgemeinen war er menschenscheu, zog sich auf sich selbst zurück und hatte sich der Einsamkeit ergeben, die je länger, je mehr seine Vertraute ward und deren Reize er in seinen Bildern zu verherrlichen suchte.

Dergleichen Bilder waren früher nicht gewesen und werden schwerlich wieder kommen, denn Friedrich war ein Einundeinzigster in seiner Art, wie alle wirklichen Genies. Es ist schade, dass man Kunstwerke nicht beschreiben kann; man kann eben nur ihren Stoff andeuten, und es war sonderbares Zeug, was Friedrich malte. Nicht paradiesische Gegenden voll Reichtum und lachender Pracht, wie Claude sie liebte und alle diejenigen gern sehen, die nur Stoff und Machwerk ansehen. Sehr einfach, ärmlich, ernst und schwermutsvoll, glichen Friedrichs Phantasien vielmehr den Liedern jenes alten Keltensängers, deren Stoff nichts ist als Nebel, Bergeshöhe und Heide. Ein Nebelmeer, aus dem eine einsame Felsenkuppe ins Sonnenlicht aufragt, ein öder Dünenstrand im Mondschein, die Trümmer eines Grönlandfahrers im Polareise — so und ähnlich waren die Gegenstände, die Friedrich malte und denen er ein eigentümliches Leben einzuhauchen wusste.

Mein besonderer Liebling unter diesen Bildern war ein junges Kiefernbäumchen im wirbelnden Schneewetter. Dichter Schnee lag oben drauf und fußhoch drum herum. Darunter aber, im Schutz des Nadeldaches, war es sehr heimlich, da war der Schnee nicht hingelangt, da schliefen die Kinder des vergangenen Sommers, Heidekraut und welke Halme und ein paar zusammengekrochene Schneckenhäuschen, im tiefsten Frieden. Das war das ganze Bild.

Mit so einfachen Mitteln große Wirkungen zu machen, vermag nicht jeder, und doch liegt es so nahe, Einfaches und Bekanntes darzustellen, wenn man verstanden sein will. Ein Kiefernbäumchen ist uns jedenfalls verständlicher als ein Palmbaum, den wir nie gesehen. Inzwischen hatte Friedrich doch immer nur ein kleines Publikum, weil er, wenn schon mittels bekannter Formen, dennoch etwas zur Anschauung brachte, was die meisten Menschen fliehen, nämlich die Einsamkeit. Hätte mein Vater die Fremden, die seine Werkstatt besuchten, nicht regelmäßig auf Friedrich verwiesen und überall Lärm für ihn geschlagen, so würde der bedeutendste Landschaftsmaler seiner Zeit gehungert haben.

Dieser originelle Meister entstammt traditionell einem alten Grafengeschlecht, das, evangelischen Bekenntnisses wegen vorzeiten aus seinem Stammsitz Friedrichsdorf in Schlesien ausgewiesen, sich nach Pommern gewandt und dort der Seifensiederei ergeben hatte. Auch unser Friedrich war der Sohn eines Greifswalder Seifensieders, und von den Eigenschaften seiner Ahnen hatten sich nur die inneren Werte tapferer Wahrheitsliebe, stolzen Freiheitssinnes und einer hohen moralischen Selbständigkeit auf ihn vererbt. Im übrigen war er so arm wie Kepler, von dem der Dichter singt: ,Er wusste nur die Geister zu vergnügen, drum ließen ihn die Leiber ohne Brot.' Auch Friedrich kam aus seiner bedrängten Lage nie heraus, weil er zu menschenscheu und unbeholfen, vielleicht zu gut für diese Welt war. Namentlich nach dem Tode meines Vaters gestaltete sich sein Leben immer trüber, aber der Adel seiner Seele blieb ungebrochen. Die Felsenkuppe, die aus Nebeln nach der Sonne schaut, das war sein Bild."

016 Sonnenaufgang bei Neubrandenburg. Kaspar David Friedrich (1774 Greifswald - 1840 Dresden)

016 Sonnenaufgang bei Neubrandenburg. Kaspar David Friedrich (1774 Greifswald - 1840 Dresden)

015 Seestück. Kaspar David Friedrich (1774 Greifswald - 1840 Dresden)

015 Seestück. Kaspar David Friedrich (1774 Greifswald - 1840 Dresden)