Berlin (1896)

Was wir Stadt nennen, ist die sichtbare Hülle eines im letzten Grunde unsichtbaren Lebewesens, der Stadtgemeinde. Die Struktur der Stadt ist über diesen Körper gemodelt, wie die des Schneckenhauses über den seiner Bewohnerin. Aber da die Stadtgemeinde, ein langlebiges Wesen, im Laufe ihres nach Jahrhunderten oder wohl gar nach Jahrtausenden zählenden Daseins unter Umständen mehrfache und tiefgreifende Wandlungen durchmacht, die jedes mal eine Veränderung der Kruste nach sich ziehen, so bieten nur wenige bedeutende Städte das Bild eines reinen Typus.

Aus einer Bürgerstadt mit ihrem Rathaus als Sitz der Stadthäupter und dem Rathausmarkt als Versammlungsort der stimmfähigen Bürger kann eine Fürstenstadt werden, deren neuen Mittelpunkt Palast und Garten des Herrschers ausmachen. Wo der Fürst die Stadt begründet hat, etwa der Bischof, dessen Palast und Dom das erste Zentrum bildete, da pflegt das im Schutz des Herrschers erstarkte Bürgertum ein Nebenzentrum mit Rathaus und Bürgerkirche zu schaffen, und es hängt von der ferneren Entwicklung der Kräfte ab, ob Beide sich behaupten, ob der Bischof der Stärkere bleibt, wie in Würzburg, ob die Bürgerschaft alle Macht an sich reißt und behauptet, wie in Lübeck, oder ob, wie in Hildesheim, im Wechsel der Zeiten bald der Bischof, bald der Bürger die Vorherrschaft gewinnt. Was immer geschehen mag, drückt sich im Stadtbilde aus.


Wenn sich, wie vielerorten in unseren Tagen, der straffe Organismus der alten Stadtgemeinde in eine amorphe Masse lose verbundener Zellen auflöst, dann verliert auch das Äußere der Stadt an Geschlossenheit. Charakter haben die größeren Städte meist nur im Zentrum, und wenn ihr Name genannt wird, so tritt das Bild dieses alten Stadtkernes vor die Seele. Die weitläufigen Vorstädte sind wie ein loses Gewand um diese lebendigen Glieder gelegt.

Auch Berlin hat die typischen Wandlungen von der Bürgerstadt zur Fürstenstadt durchgemacht. Was es ist, lässt sich am Besten durch einen Blick auf das Wesen der gewaltigen Stadt erkennen, als deren Rivalin auf dem Kontinent es dasteht.

Berlin und Paris! Paris, die alte Kulturgebärerin, zu dessen gewaltigsten Bauwerken heute noch die Reste eines römischen Kaiserpalastes gehören, das seit dem Aufblühen des gotischen Stils in Architektur, Malerei, Skulptur, Literatur und Wissenschaft Europa mit neuen Ideen gespeist hat , die einzige moderne Stadt, die es im Sinne der antiken Anschauung ist, alle Lebenskraft des ganzen Landes an sich saugend und ausströmend — und Berlin, die junge, schnell aufgeschossene Riesin, bis in unser Jahrhundert ohne wirkendes Lebensprinzip außer dem Fürsten, der es sich zur Residenz geschaffen, eine Baumschule der Kultur, die an die Fürsorge der Hohenzollern gebunden war, und seit wenigen Jahrzehnten nunmehr das gewaltigste industrielle Zentrum Mitteleuropas, aber trotz allen Reichtums, aller Macht, aller Intelligenz, in seiner Kultur, von der Wissenschaft abgesehen, immer noch mehr empfangend als spendend.

Obgleich Paris eine natürliche, gewachsene Stadt und Berlin bis in dieses Jahrhundert hinein eher eine künstliche, gegründete war, sind doch die wesentlichen Züge, die die Gestaltung des Stadtbildes bedingt haben, bei beiden identisch. Beide waren im Laufe ihrer Entwicklung abwechselnd Bürgerstädte und Fürstenstädte, und beide verdanken die charakteristischen Züge in ihrem Antlitz den fürstlichen Bauherren.

                                          *************

Was ist Paris? Nicht die Cité, die alte Bürgerstadt, die von den Fremden als ein kurioser Rest der Vergangenheit mit einem flüchtigen Besuche abgetan wird, sondern der Trakt vom Louvre durch den Tuileriengarten über die Place de la Concorde und die Avenue des Champs Elysées bis zum Arc de l’Etoile hinauf. Mag das Leben auch noch über die Boulevards fluten, Paris liegt hier.

Dieses Zentrum von Paris, weiträumig und groß angelegt, wie es keine andere Stadt der Welt besitzt, wurde nicht zur Zeit des alten Bürgertums oder der modernen Bourgeoisie erdacht und ausgeführt. Beide kennen das Bedürfnis nach Weiträumigkeit und Größe und Monumentalität der Stadtanlage nicht von Hause aus, beide sind zu ängstliche und zu kurzsichtige Rechner. Eine Anlage wie dieser Kern von Paris würde heute selbst bei gutem Willen und ernstem Wunsch allein in Rücksicht auf die Mittel unausführbar sein.

Es bedurfte der Episode fürstlicher Kultur, um so Großes zu planen und auszuführen.

Paris ist heute gebaut, als läge der Park von Wilhelmshöhe mitten in einer Großstadt. Denn dieses Zentrum von Paris ist der alte Sommersitz der Könige mit seinen typischen Bestandteilen.

Der Ursprung der Anlage liegt im Louvre, einem Zwing-Paris, wie das Stadtschloss an der Spree ein Zwing-Berlin war.

Louvre und Stadtschloss liegen an der Stelle, die für die Anlage der Stadtburgen überall im Norden aufgesucht wird: an der Mauer oder im Zug der Mauer, damit der Fürst einen Fuß in der Stadt, einen im freien Lande habe.

Die Tuilerien waren das in mäßiger Entfernung und gleichsam noch im Schutz des Louvre angelegte Sommerschloss.

Jahrhunderte vergingen, ehe Louvre und Tuilerien zu dem gewaltigen Schlosskomplex vereinigt wurden, dem schließlich, als der Traum vieler Geschlechter unter Napoleon III sich erfüllt hatte, ein so kurzes Dasein beschieden war.

Aber sind auch die Tuilerien zerstört, der Garten ist erhalten, und über den angrenzenden Wildpark, die Champs Elysées, hinaus erstreckt sich bis zur Höhe des Are de l'Etoile die Perspektive, die Avenue des Champs Elysées, die den landschaftlichen Hintergrund in die Machtsphäre des Schlosses zog. Wo auf der Höhe der Triumphbogen gegen den Himmel ragt, hätte die phantastische Architektur eines Wasserschlosses sich erheben und seine Kaskaden die Avenue des Champs Elysées heruntersenden sollen. Aber zur Ausführung einer solchen Idee in dem hier erforderlichen Maßstabe fehlte selbst dem König von Frankreich die Macht.

Wenn man heute fragt: Was ist Paris? so hat die Antwort zu lauten: ein Königsgarten. Denn auch für den weiteren Aufbau des modernen Paris hat die Gewöhnung an die Monumentalität des Zentrums und an die Kunstgesetze des architektonischen Gartens die Bahnen gewiesen. Was Paris vor allen anderen modernen Großstädten auszeichnet: Wunsch und Wille, bei Neuanlagen große Raumbilder mit festen Mittelpunkten zu schaffen, für neue Monumente umsichtig die Plätze zu suchen und sie nicht irgendwo, wo es gerade bequem ist, gleichgültig unterzubringen, bei neuen Straßenanlagen die
bedeutenden Bauwerke in neue Perspektiven zu rücken, stammen aus der Vertrautheit mit den Kunstgesetzen her, nach denen das Zentrum angelegt ist.

Wo in der Anlage einer modernen Bürgerstadt ein großer Zug waltet, da pflegt ein günstiger Zufall mitgewirkt zu haben. Typisch ist die Verwertung der niedergelegten Wälle zu großartigen Promenaden, wenn auch hier das kleinliche, pfennigfuchsende Wesen des Bürgertums manches Große, das in der Möglichkeit lag, verpfuscht hat. Selbst im modernen Paris bedurfte es noch einmal eines Fürsten wie Napoleon III., um einen großen Zug in die notwendigen Durchbrüche zu bringen und der nachfolgenden Republik das Vorbild für die Stadtregulierung hinzustellen.

Innerhalb der durch die grundverschiedenen Bedingungen gegebenen Grenzen ging die Entwicklung Berlins ganz ähnliche Wege.

Den Mittelpunkt der heutigen Reichshauptstadt bildet das Königsschloss. Auch dieses war in seiner ältesten Gestalt eine Zwingburg, und es wurde später zum weiträumigen Fürstensitz ausgebaut. Als der Fürst unbestrittener Herr im Lande war, erweiterte es sich zu dem gewaltigsten Monument des Staates, welches das Winterschloss des Louvre und das Sommerhaus der Tuilerien zugleich in sich fasste.

Nach Norden wurde der Lustgarten angelegt, der, obwohl schon längst ein öffentlicher Schmuckplatz geworden und völlig umgestaltet, den alten Namen noch behalten hat. Eigentlich hätte nun in der Achse von Schinkels Museum der Wildpark liegen und die Perspektive einer Riesenallee über die Spree hinausgeführt werden müssen. Doch erhielt, den Bedingungen des Ortes entsprechend, die Anlage einen Knick. Die Perspektive, die Straße Unter den Linden, geht im Winkel vom Schloss ab in den Tiergarten und durchschneidet als Charlottenburger Chaussee den mächtigen Park in seiner ganzen Länge. Bei günstigerem Terrain hätte das Schloss zu Charlottenburg den weithin sichtbaren Abschluss bilden müssen.

Schloss, Lustgarten, Linden, Tiergarten, das ist heute Berlin, genau wie in Paris Louvre-Tuilerien, Tuileriengarten, Champs Elysées, Avenue de l'Arc de l'Etoile, Königsschloss und Königsgarten. Hätte sich Berlin als Bürgerstadt aufgebaut, diese breite Basis der räumlichen Entwickelung wäre ihm versagt geblieben.

                                          ***********

Und unser Jahrhundert hat nicht einmal gewagt, die historisch gegebenen Grundlagen folgerichtig auszubauen.

Noch immer tritt man von der Monumentalanlage des Pariser Platzes durch das Brandenburger Thor unmittelbar in die freie Wildnis des Tiergartens.

Die Scheu, ein Stück freier Natur und ein Stück des Baumbestandes zu opfern, führte zur Anlage des Königsplatzes außerhalb des großen Linienzuges. Zum zweiten mal wurde der monumentale Zug des Grundplans von Berlin abgebrochen.

Es war ein gesundes Gefühl, dass mehr als eine der Konkurrenzen um das Denkmal Kaiser Wilhelms ein Wilhelmsforum in der Achse der Charlottenburger Chaussee vorschlug.

Dass der Königsplatz aus dem Zusammenhange der großen Perspektive gerissen ist, entzieht ihm dauernd den Pulsschlag des hauptstädtischen Lebens. Wallot hat recht, wenn er ihn als einen geschlossenen, stillen Park auf das Reichstagsgebäude beziehen will. Das würde eine behagliche Zufluchtsstätte für Ruhesuchende ergeben, einen Gartensaal großen Stils.

Vielleicht dass eine spätere Generation die Idee eines Forums im Tiergarten wieder aufnimmt und zur Ausführung bringt.

So nahe verwandt in seinen Grundzügen das Entwicklungsschema der beiden Hauptstädte des Festlandes sich aufbaut, so grundverschieden ist das Leben, dessen Hülle sie sind.

Berlin war im Gegensatz zu Paris lange eine künstliche Stadt. Der kräftige Bildungstrieb des mittelalterlichen Bürgertums, an das die gotischen Kirchen des heutigen Zentrums noch heute gemahnen, wurde von den Fürsten gehemmt. Sie kamen aus der Fremde und brachten eine höhere Kultur mit. Die Ansätze heimischer Bildung hielten dieser nicht stand, und die Fürsten, die bis zur französischen Revolution die Kunst als Ausdrucksmittel ihrer Macht nötig hatten, waren gezwungen, Samen und Pflänzlinge aus fernen Kulturregionen zu beziehen.

Dies geschah seit dem Großen Kurfürsten in steigendem Maße. Ganz Europa wurde in Kontribution gesetzt. Unter dem Großen Kurfürsten herrschte der holländische Einfluss vor, wie dies der politischen und kulturellen Vormachtstellung der Seestaaten, sowie den politischen und verwandtschaftlichen Beziehungen der Hohenzollern entsprach. Der erste König war Eklektiker. Zu Holland traten Italien, die Handelsemporien der Ostsee, die süddeutschen Kulturstädte und Frankreich. Sein Nachfolger wandte sich, soweit er seinen nicht gewöhnlichen Kunstsinn zu betätigen gut fand, wieder holländischem Wesen zu, während Friedrich der Große in seinen Palästen und Innendekorationen vorwiegend französische Gedanken nach Berlin verpflanzte, wie dies nicht nur seinen persönlichen Neigungen, sondern auch der Weltstellung der französischen Kultur entsprach.

Von ihm ab ist Berlin ohne Potsdam nicht mehr verständlich, denn in Potsdam zogen er und seine Nachfolger die fremden Ideen in Reinkultur. Hier drang, als England am Ende des vergangenen Jahrhunderts die Kultur Europas zu beherrschen begann, der englische Einfluss siegreich vor mit der Ruinenromantik der Pfaueninsel. In Babelsberg, mit seinem englischen Park und dem Landschloss in englischer Gotik, fand diese Phase ihren Abschluss. Zur selben Zeit hatte die romantische Stimmung verstehen gelernt, was jemals in der Welt an Kunst geschaffen war, und Friedrich Wilhelm IV. machte aus Berlin und Potsdam einen steinernen Atlas der Kunstgeschichte. Moscheen und frühchristliche Kirchen spiegeln sich in den märkischen Seen, italianisierende Palastfassaden krönen die Berge, pompejanische Häuschen erheben sich im Schatten des märkischen Waldes, sizilianische Gärten umfangen unvermutet den Wanderer mitten in nordischer Landschaft, und russische Kapellengrüßen von den Waldhügeln. Kaiser Wilhelm I. hatte in Babelsberg seinem innigen Naturgefühl Ausdruck gegeben, seinem Nachfolger war es nicht vergönnt, sich in das Kulturgeschichtsbuch von Potsdam einzutragen. Kaiser Wilhelm II. baute die Matrosenstation im Stile der norwegischen Holzarchitektur um.

Dieser Zug, ausländische Kräfte, ausländische Ideen heranzuziehen und dienstbar zu machen, ist allen außeritalienischen Fürsten von Spanien bis Russland gemeinsam. Selbst die französischen Könige machen keine Ausnahme. Die Monumentalität der Anlage von Paris stammt nicht aus der bürgerlichen Kultur Frankreichs, sie ist ein italienischer Sämling, von einer Königin aus dem Hause der Medici in den Boden gesenkt und auf neuem Boden zu mächtiger Entwicklung gekommen. Vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert ist die Zahl der Italiener, Niederländer und Deutschen, die in Kunst und Industrie der Pariser Entwicklung neue Impulse gegeben, Legion, während in unserem bürgerlichen Jahrhundert die Ausländer, die in Paris arbeiten, nicht bringende und zeugende, sondern empfangende und ausführende Kräfte gewesen sind. —

So ist Potsdam, wo die Hohenzollern schaffen konnten, ohne durch eine aufstrebende Stadt behindert zu sein, ein noch klareres Spiegelbild der Kultur und der Neigungen jedes einzelnen Herrschers geworden, als Berlin.

Aber auch hier trägt selbst die moderne Bürgerstadt um den Kern des Fürstensitzes herum den Stempel, den sie ihr aufgedrückt haben. Die Friedrichs- und Dorotheenstadt sind künstliche Gebilde, das lehrt ein Blick auf die regelmäßige Straßenanlage, das war vor zwei Jahrzehnten noch überall an den alten Fassaden zu erkennen, die, aus den Mitteln der königlichen Schatulle bezahlt, wie Theaterdekorationen die Kahlheit und Armseligkeit des „Hinter den Kulissen" verbargen.

Und wie in Paris erst die Bevölkerung unseres Jahrhunderts, vermehrt durch Genusssuchende der ganzen Welt, den ungeheuren Rahmen wirklich ausfüllt, mit dem der König das Leben seines Hofes umschlossen hatte, so hat erst unsere Zeit die großartig angelegte leere Kleinstadt, die Berlin noch unter Friedrich Wilhelm III. war, mit dem wogenden Leben des Bürgertums erfüllt, das die fürstlichen Erbauer der Stadt nicht haben ahnen können.

                                          **************

Ein Element hat Berlin von je gefehlt, das in Paris, London, Wien und dem nur als Sitz des Kaisertums verständlichen Prag eine gewaltige Rolle spielte und in großartigen Palastanlagen seinen Ausdruck fand: ein reicher Hochadel.

Was wäre Berlin, wenn es sich seit Jahrhunderten als deutsche Reichshauptstadt entwickelt hätte, wenn die Fürsten des Reichs in der Hauptstadt um das Schloss des Kaisers ihre Paläste errichtet hätten!

Wenige Palastanlagen in der Wilhelmstraße, jetzt wohl sämtlich von den Familien ihrer Erbauer aufgegeben, vertreten den Typus, der Wien, Rom und London noch heute den großen Zug aristokratischen Lebens verleiht.

Der Fürst stand in Berlin ganz allein. Er war Jahrhunderte hindurch eins und alles. Der wenig begüterte, wenn nicht arme Adel des Landes wurde in seiner Hand als Offizier und Beamter zum Diener des Staates.

Seit wenigen Jahrzehnten — alle Entwicklung geht rasch — hat sich jetzt neben ihm die neue Macht des Bürgertums erhoben. Es hat die Früchte jahrhundertlanger Arbeit des Fürstenhauses und seiner weitschauenden Politik geerntet.

Der König ist heute nicht mehr, wie vor einem Jahrhundert, der einzige Träger der Kultur.

Aber das Bürgertum hat noch alle Allüren des Emporkömmlings. Man braucht drei Generationen, um einen Gentleman zu erzeugen, sagt der Engländer.

Die gewaltigen Leistungen Berlins auf technischem, industriellem und wissenschaftlichem Gebiet springen überall in die Augen. Ein starker Wille spricht sich in den Linien des Bebauungsplanes und in der vorsorglichen Anlage einer Kette großer Parks (nach dem Vorbilde des Tiergartens) aus. Selbst Neid und böser Wille können das alles nicht übersehen.

Aber eine Kulturmacht im Sinne von Paris ist Berlin noch nicht geworden. Noch hat es keine Literatur erzeugt, die dem Ausland neue Bahnen gewiesen, noch baut sich seine hohe und seine dekorative Kunst wesentlich auf Anregungen von außen und aus früheren Epochen auf. Eine Erscheinung wie Menzel steht allein und ist ohne tieferen Einfluss geblieben.

Alle materiellen Vorbedingungen zu großen Kulturleistungen sind nun vorhanden. Talente gibt es immer, ihre Entwicklung aber hängt ab von der Umgebung, in der sie schaffen.

Solange das Bürgertum sich nicht in den Besitz eigener und tiefer Kultur und künstlerischer Bildung setzt, wird es das Erbe des Fürstentums nur in dem Bruchstück des Materiellen inne haben.

Denn zum Regieren gehört die Fähigkeit, Qualitäten zu erkennen. Herrscher wie Friedrich und Napoleon sind nicht nur groß durch ihre eigenen Leistungen, sondern durch die Gabe, alles Große in freudige Dienstbarkeit zu zwingen. Nicht durch kritische Erkenntnis und Betonung der Fehler und Mängel haben sie sich die Hingebung Tausender erzwungen, sondern durch die Gabe, das Leistungsvermögen werdender Kräfte zu erkennen und ihm entsprechende Aufgaben zuzuerteilen.

Wenn das Bürgertum sich als Förderer der Kultur entwickeln will, was bei der Stellung, die es einnimmt, seine historische Pflicht und Schuldigkeit ist, so muss es diese hohe Regententugend erwerben. Sonst wird es auch ferner , wie bisher, eine Hemmung und ein Hindernis für die Entwicklung eigenartiger Talente und des Genies bilden.