Des Fürsten von Rügen Wizlâw’s des Vierten Sprüche und Lieder in niederdeutscher Sprache

nebst einigen kleinern Niederdeutschen Gedichten: Herrn Eiken von Repgôwe, Kes Kranichs Hals, und der Tiere Rat
Autor: Ettmüller, Ludwig (1802-1877), Erscheinungsjahr: 1852
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Fürst von Rügen, Hansa, Niederdeutsche Sprache, Ludwig Ettmüller, Hinterpommern, Mecklenburg-Vorpommern, Wizlaw
An Herrn Professor Jacob Grimm in Berlin.

Seit vielen Jahren schon stund bei mir die Meinung fest, Witzlâw habe in seinen Gedichten sich nicht der hochdeutschen Sprache bedient, sondern der Sprache seines Landes, der niederdeutschen, und schon im Jahre 1831 machte ich den Versuch, die den Gedichten Wizlâw's, wie ich meine, gebührende Mundart, die niederdeutsche, wieder herzustellen. Aber da dieser Versuch nicht in den Buchhandel kam, so werden Sie, hochverehrter Herr Professor, davon schwerlich etwas wissen, und ich bedauere dies auch gar nicht; denn er war höchstens ein halbgelungener zu nennen. Einmal hatte ich damals manches unrichtig aufgefasst und demnach missverstanden, und dann war auch die allzu strenge, ja unbedingte Befolgung der von Ihnen in der Grammatik in betreff der mittelniederdeutschen Wortschreibung aufgestellten Grundsätze, die, wie es mir scheint, den nicht abzuleugnenden Einfluss des hochdeutschen und niederländischen allzu wenig berücksichtigen, zur Hälfte wenigstens ebenfalls ein Missgriff. Mochte jener erste Versuch aber immerhin mir selbst ungenügend erscheinen, die Sache selbst gab ich deshalb noch nicht auf, und die Unternehmung des Herrn von der Hagen, die mittelhochdeutsche Mundart, so gut es gehen wollte, auf Wizlâw's Gedichte anzuwenden, diente nur dazu, mich in meiner Ansicht zu bestärken. In diesem Gewande nehmen sie sich in der tat höchst wunderbar aus, und vieles wird geradezu unverständlich. Warum hätte aber auch Wizlâw in seinen Gedichten einer Mundart sich bedienen sollen, deren er schwerlich hinreichend mächtig war? Er lebte in einer zeit, da der Einfluss des Südens auf den Norden Deutschlands sehr unbedeutend war; alle seine Beziehungen weisen auf den Norden, ja zum Teil über das Meer nach Dänemark hin; mit dem Süden aber hat er sein ganzes Leben lang nicht die geringste Verbindung gehabt. Er hatte also auch weder Anlass noch Grund, hochdeutsch zu lernen. Anders verhält es sich in dieser Hinsicht freilich mit den bürgerlichen Dichtern seiner Zeit, die der Geburt nach ebenfalls dem norden Deutschlands angehören: die waren genötigt aus ihrer Kunst ein Gewerbe zu machen; sie blieben nicht nur im Norden, sondern sie zogen auch nach dem Süden, und es ist daher bei ihnen ganz begreiflich, daß sie sich in ihren Gedichten derjenigen Mundart bedienten, die das größere Gebiet hatte und obendrein im Norden wenigstens von den Gebildeten verstanden ward. Dies aber findet auf Wizlâw, den Fürsten von Rügen, keine Anwendung; der sang nicht, um Geschenk und Gabe zu erhalten, und es konnte ihm völlig gleichgültig sein, ob man im Süden Deutschlands seine Gedichte verstehe oder nicht. Jedoch dies alles kann und soll die Frage noch nicht entscheiden, ob Wizlâw in ober- oder niederdeutscher Sprache dichtete; entscheidend aber ist, wie mich dünkt, der Umstand, daß Wizlâw’s Gedichte, hochdeutsch gefasst, einen übergroßen niederdeutschen Zusatz zeigen, und Einzelnes völlig unverständlich wird; fasst man sie jedoch niederdeutsch, so haben sie mir einen sehr geringen oberdeutschen Zusatz, der sich obendrein leicht dadurch erklären lässt, daß Wizlâw, selbst Dichter, gewiss auch die Gedichte anderer las, und werden durch und durch verständlich. Es steht bei mir also fest: Wizlâw dichtete nicht in hochdeutscher, sondern in niederdeutscher Sprache; er sang zu seinem Vergnügen und höchstens für seine nächste Umgebung, nicht aber um in weiter Entfernung Anerkennung und Lohn zu finden, und da war gewiss die niederdeutsche Sprache die geeignetere, seinen Gedichten Teilnahme zu verschafften.

Sehr erfreuend für mich war es aber aus Haupt's Zeitschrift für deutsches Altertum, Jahrgang 1849, zu ersehen, daß Sie meine Ansicht in betreff der Sprache der Gedichte Wizlâw's teilen. Sie teilen daselbst das dreizehnte Lied in niederdeutscher Sprache mit, und sprechen es geradezu aus, dass in Oberdeutschland dieses Lied nicht verständlich gewesen sei. Wie aber mit diesem Liede, so verhält es sich mit fast allen andern und mit den meisten Sprüchen; sie sind für den, der nur hochdeutsch versteht, unverständlich. Meine Arbeit war bereits vollendet, als ich in Haupt's Zeitschrift Ihre Mitteilung las, und so trage ich jetzt kein Bedenken, sie durch den Druck zu veröffentlichen; Ihnen aber, hochverehrter Herr Professor, erlaube ich mir diese meine Ausgabe des einzigen namhaften niederdeutschen Minnesingers zuzueignen.





Einleitung.

Über die Lebensumstände Wizlâw's kann ich nicht viel mehr beibringen, als der Herr von der Hagen aus Urkunden und andern Quellen geschöpft zu haben behauptet. Allfällige Zusätze und Abweichungen gebe ich teils in den Anmerkungen, teils schalte ich sie sogleich ein.

Wizlâw der vierte oder, wie er, zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Vater, sich selber nennt und auch von andern genannt wird, der junge, war ein Sohn Wizlâw’s des dritten und der Agnes, einer Tochter des herzogen Heinrichs von Braunschweig *). Das Jahr seiner Geburt ist nicht bekannt; da er jedoch seit 1284 neben dem Vater in Urkunden vorkommt, wird man es wohl zwischen 1250 und 1260 setzen dürfen. Nach des Vaters Tode, im Jahre 1302 **), ward das Fürstentum Rügen, seit der Zerstörung des heidnischen Arkona 1168 dänisches Fahnenlehen, zwischen seinen Söhnen Zambor und Wizlâw so geteilt, daß der letztere das Eiland Rügen mit der von Jaromir I. bald nach 1168 erbauten Stammburg Rugigard (Rûgard), der erstere die Besitzungen auf dem Festlande erhielt. Doch Zambor starb bereits 1304, und nun nahm Witzlâw das ganze Fürstentum in besitz, und ward auch vom Dänenkönige Erich IX. damit belehnt. Außer dem genannten Bruder hatte er noch einen, Jaromir ***), der Bischof von Kamin war, und drei Schwestern, Helena, Anna und Euphemia. Die erste war mit Johann von Meklenburg ****), die andere mit Bernhard II. von Anhalt, die dritte mit Hakon, König von Norwegen *****) vermählt. Wizlâw selbst war zwei mal vermählt. Seine erste Gemahlin war Margaretha, eine Tochter Mestewin’s, des letzten Herzogen von Hinterpommern, von der er jedoch keine Söhne hatte; die andere Agnes, Gräfin von Ruppin und Lindôw, deren vier Söhne vor dem Vater starben. Ob seine Liebeslieder auf Margaretha sich beziehen oder auf Agnes oder auf eine dritte unbekannte, lässt sich nicht entscheiden; doch spricht, wie mich dünket, die Art der Lieder mehr dafür, dass die in ihnen besungene Geliebte nicht fürstlichen Geschlechtes war.


*) Dêtmâr gibt diesem nicht das beste Lob; er sagt von ihm zum Zahr 1279: hertoge Albert lêt twê sone Hinriken, de seder forlòs den sege, dô de Herlingesberch wunnen unde broken wàrt, unde Alberten den fetten: do twê dèleden de land unde hèlden selden frede. Nach der Braunschweigischen Reimchronik hatte Albert jedoch sechs Söhne (Heinrich, Albrecht, Wilhelm, Otto, Konrad, Luder) und eine Tochter (Mechtild).

**) Nach Dêtmâr starb Wizlâw III. bereits im jähr 1300 und zwar in Norwegen; er sagt ohne Zambors zu erwähnen: Des jàres starf in Norwegen de Rujâner hère, de werde forste Wentslâwe, de gèrne orloge plach forevenen, wôr he mochte, sîn sone Wentslâwe de lant besat, de hadde dâr wesen fore an pelegrimatze tô der Rige, dâr men plach bi den tiden taren umme aflàt: dàr stak ene ên kôpman in der kerken, deme he kwàtliken antwòrde, dò he ene manede umme sine rechte schult tô geldene; fan deme steke blêf lam de forste al sine dage. Bi den tiden was sin bròder Jermàrus (d. i. Jaromir) biscop tô Kamîn.

***) Herr v. d. Hagen erwähnt diesen Bruder Witzlâw's nicht.

****) Nach Dêtmâr fand die Vermählung im jähr 1889 statt; er sagt: In dem jàre Cristi 1289, twê dage na aller godes bilgen dage, dô untfink in dat êchte junkhêre Johao fan Mekelenborch de êrlike scòne maget Helena, êne dochter Wentslavi, ênes forsten fan Rujen, de ôk was fan der môder wegen fan deme slechte der hêren fan Brûnswik.

*****) Dêtmâr berichtet verwirrt zum Jahr 1299: Bî der tid starf koning Êrîk fan Norwegen. Dô wart koning sîn brôder, hertoge Haquin, de nicht lange dâr beforen hadde nomen des grêven dochter fan Reppin, de was dochter des forsten fan Rujen. Witzlâw's IV. zweite Gemahlin war eine Gräfin von Ruppin. Waren die Vermählungen gleichzeitig, und vermengte Dêtmâr?


Sein Leben war ein vielbewegtes, kriegerisches; überhaupt scheint er nicht die friedliebende Gesinnung seines Vaters gehabt zu haben, der, wie Dêtmâr sagt, überall gerne verebnete (d. i. vermittelte). Vielmehr mochte seines Großvaters Geist auf ihm ruhen, Jaromir's. Die erste Heerfahrt unternahm er nach Hinterpommern, um wo möglich wenigstens einen Teil der Lande seines Schwiegervaters Mestewins, der 1295 starb, zu behaupten; allein der König von Polen trat ihm zu übermächtig entgegen, und Witzlâw musste weichen. Kleinere zahlreiche Fehden, die Wizlâw teils gegen mächtige Adelsgeschlechter, besonders gegen den Herrn von Osten, teils gegen die durch die Hansa mächtigen Städte führte, übergehe ich. Eine der bedeutenderen war aber ohne Zweifel die gegen die Stadt Stralsund, die Witzlâw's Ahnherr Jaromir, wie einige wollen, 1203 erbaut haben soll *). Die aufblühende, mächtige Stadt war dem dänischen Könige und den norddeutschen Fürsten ein solcher Dorn im Auge, daß sie sich im Jahre 1316 gegen dieselbe verbanden und sie belagerten. Nur Markgraf Waldemar von Brandenburg und die pommerschen Herzöge Otto und Wertislaw scheinen aus Gründen der Staatsklugheit der Stadt günstig geblieben zu sein. Auch Wizlâw mußte als dänischer Lehensträger Heerfolge leisten, obwohl er als Herr der Stadt Stralsund galt und ihr auch als solcher in Folge ihres Sieges 1317 ihre Freiheiten und rechte bestätigte. Dêmâr erzählt in seiner Lübek'schen Chronik unter dem Jahre 1316 diese Begebenheit also: Nâ paschen dô rêdde sik de koning fan Denemarken (Êrik IX.) mit den schepen unde mit alle der helpe, de he künde hebben in Denemarken unde in Dûdeschen landen, he bôt en allen komen for den Strâlessund; des wêren se alle willich tô der tîd, alsô en de bodescap kwam. Sassen, Holsten, Wende und andere sîne helpere îleden alle dar tô komene. Hertoge Êrik fan Sassen kwam dar mit den êrsten unde bodede (hôdede?) bî der stat fil nâ bî deme Heineholte. Dô sanden de borgere snellîken ere boden umme helpe: de kwam en umme de sulven nacht. Des morgens frô dô togen se ût mit den gesten dar se ere fiande westen. Dene hertogen unde sîner besten manne ên grôt dêl se fengen unde slôgen; de fangene brachten se in de stat. De koning dô belegede de stat tô watere; de fan Rujen, er hêre, de fan Mekelenborch unde anderer hêren fele de belegeden se tô lande. Dô se lange sik hadden besôcht weder de borgere allerleie wîchspeles unde klênen fromen dâr worven unde ôk sêgen, dat de borgere wol wereden ere stat unde ere êre, dô togen se fan dannen, mâlk sînen wech. Hertoge Êrik wàrt dô antwòrdet sîneme swagere, hertogen Wertislâwen (Bruderssohn Herzog Ottos von Stettin), des suster he dô hadde nomen kortlîken; de môste ene dô fòrt antwòrden deme markgrêven (Waldemar von Brandenburg). Also blêf he fangen fil nâ drê jâr: dô wàrt he lôset for achte dûsent lôdige mark sulvers, de sîn lant betalede mit gröteme scaden. Aus diesem Gelde sollen die Stralsunder das Rathhaus und den Arendshof erbaut haben, wie Gustav v. d. Lancken in seiner Rügenschen Geschichte s. 198 angibt.

*) Die Wendische Chronik , eine Fortsetzung Helmold’s (bei Grautoff, Dêtmâr I. s. 429 ff.) sagt zum Jahre 1211; Int jâre unses hêren 1211 wàrt Stâlessunt gebûwet dorch Woldemanrum ênen konik tô Denemarken, alse etlike willen, etlike ôk seggen fan Germano (l. Jarimiro) ênen forsten der Rujâner, de anderen seggen fan deme hertogon fan Pomeren.