Der wiedergefundene Lehnbrief vom Freischulzengehöft zu Holldorf bei Stargard

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Von F. C. W. Jacoby zu Neubrandenburg, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Holldorf, Lehnbrief, Schulzenhof, Berlin, Spree, Schulzengarten
Dem Freischulzen zu Holldorf wird von der Regierung sein kaiserlicher Lehnbrief abverlangt, um sein Eigentumsrecht an dem Schulzenhof nachzuweisen. Er kann ihn aber nicht finden. Vergebens sucht und forscht er überall darnach, er ist nicht herbeizuschaffen und die Sorge um den Lehnbrief und seinen Hof lässt ihm Tag und Nacht keine Ruhe.

Noch einmal wird ihm ein Termin gesetzt, an welchem er entweder den Lehnbrief vorzeigen, oder den Schulzenhof abtreten müsse. Es sind nur noch einige Wochen hin und der Schulze vergeht wie der Schatten.

Da träumt ihm eines Nachts, er soll nach Berlin reisen, dort von einer bestimmten Brücke in die Spree sehen und er werde seinen kaiserlichen Lehnbrief finden. Am nächsten Morgen erzählt er seiner Frau von dem Traume, aber die will nichts davon wissen, denn: „Drom iß Drog!"*) meint sie, und wie es denn nur menschenmöglich sein könne, dass er in der Spree zu Berlin seinen Lehnbrief finden wolle.

*) „Traum ist Trug!“

In nächster Nacht träumet ihm dasselbe; aber seine Frau weiß ihm wieder von dem Unzuverlässigen eines Traumes zu überzeugen.

In der dritten Nacht derselbe Traum. Nun lässt sich der Schulze nicht länger halten; seine Frau muss ihm die Kiepe spicken, er macht sich reisefertig und kommt auch glücklich in Berlin an.

Bald hat er die im Traum wahrgenommene Brücke gefunden und stiert nun von ihr in die unten fließende Spree. Aber was er nicht sieht, das ist sein kaiserlicher Lehnbrief. Er geht von einer Seite nach der andern, er sieht sich bald die Augen aus, aber seinen Lehnbrief sieht er nicht. Da kommt endlich ein Herr auf ihn zu und fragt, was er denn eigentlich hier zu sehen habe.

Der Schulze erzählt ihm, dass ihm geträumt habe, er solle von dieser Brücke in die Spree sehen, da werde er ein Papier finden, durch welches er sein Glück mache.

Der Fremde ist verwundert darüber und erzählt ihm gleichfalls, wie merkwürdig es doch sei, dass er auch mehrmals hintereinander geträumt habe, er solle nach einem Dorfe Namens Holldorf gehen, in dem Schulzengarten daselbst stehe ein alter hohler Baum, in dem werde er einen Schatz finden. Aber er wisse nicht, wo das Dorf liege, und so könne er den ihm zugedachten Schatz nicht heben.

Halt, dachte der Schulze, da findest Du gewiss Deinen Lehnbrief, und indem er dem fremden Herrn sagte, dass sie wohl beide durch ihren Traum angeführt seien, machte er sich sobald als möglich auf den Rückweg, und zu Hause angekommen untersuchte er den alten hohlen Baum und siehe da! er fand seinen kaiserlichen Lehnbrief.

Als nun an dem festgesetzten Tage die Herren von der Regierung ankamen, um von dem Hof Besitz zu nehmen, trat er ihnen an der Heckentüre entgegen und hielt triumphirend sein Papier in die Höhe und sagte: „Hia ißt, un kehn Deuvel fall mie nu mien'n Schultenhof nehm'n." *)

*) „Hier ist's, und kein Teufel soll mir nun meinen Schulzenhof nehmen."