Der weissagende Kriegsgott von Röbel*)

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Von H. Pintz, Kämmerarius zu Röbel, Erscheinungsjahr: 1862

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Röbel, Götzen, Wenden, Vorzeit, Christentum, Heiden, Aberglauben, Gebräuche
In meinen Kinderjahren, Ausgangs des vorigen Jahrhunderts, erzählte der alte, vielleicht 60- bis 70jährige Wiese, Küster an der altstädter Kirche zu Röbel, nachfolgende Sage von einem Kriegsgötzen, der in einer Erdspalte in der Gegend der jetzigen Kirche gestanden, in weitem Umkreise umher geehrt und gefürchtet gewesen sein soll. Er wollte diese Sage schon in seiner Jugend von seinem Vorgänger und von alten Leuten erzählen gehört haben. Da nun namentlich in der Jugendzeit solche Erzählungen und Sagen anziehen und lange im Gedächtnis bleiben, so teile ich jetzt mit, was ich seiner Zeit darüber gehört habe, und zwar mit den Worten des alten seligen Küsters Wiese:

„Vor weit über tausend Jahren, in grauer Vorzeit, noch lange vor dem Übergang Mecklenburgs zum Christentume, als noch grausame und kriegerische Heiden in unserer Gegend hausten, die, in kleine Völkerschaften geteilt, stets mit einander in ewigem Zank und Feindschaft lebten, und sich fortwährend bekriegten und unterjochten; als das Ganze noch in Rusch und Busch gelegen, es wenig angebautes Land, noch viel weniger Städte und Dörfer gegeben hat und die Menschen gleich den wilden Tieren in Höhlen und Erdlöchern wohnten, durch Wald und Holz geschützt, von Jagd und Fischerei, wilden Wurzeln und Kräutern lebten, im Aberglauben tief versunken, selbst gemachte Götzenbilder anbeteten, solche fürchteten und sie durch Opfer und Geschenke zu Freunden zu erhalten suchten da hat es sich zugetragen, dass auch eine solche, grausam entstellte Götzenfigur im dunklen Walde in einer Erdspalte in hiesiger Gegend gestanden.

Einige schlaue und heuchlerische Menschen gaben sich das Ansehen von Priestern dieses Abgottes und ließen sich als solche von ihren abergläubischen Mitmenschen huldigen, dienen und beschenken.

Diese verschmitzten Götzenpriester suchten immer mehr und mehr die weissagende Kraft und die Macht ihres Götzen zu verbreiten, den man schon in weiter Ferne als einen mächtigen Kriegsgott anbetete und sich seinen Beistand vor einem Kriege durch allerlei wertvolle Geschenke und Opfer zu verschaffen suchte.

Die Götzenfigur hatte die Einrichtung, sich umzudrehen und mit dem Kopf zu bewegen. Sollten daher die Fragenden siegen, so nickte der Götze mit dem Kopfe, im Gegenteil aber kehrte er sich um und zeigte den Rücken. Fast jedesmal trafen seine Vorhersagungen ein und immer mehr stieg der Ruf und das Ansehen des Götzen und seiner Priester, welche Letztere, die ihr Amt nur auf ihre Kinder vererbten, dadurch reich, angesehen und weit und breit gefürchtet wurden.

Die Schätze und Reichtümer dieser schlauen Götzenpriesterfamilien sammelten und mehrten sich furchtbar, so dass sie einen großen prächtigen Tempel erbauen konnten, worin das Götzenbild aufgestellt wurde, auch erbauten sie außerdem noch viele Häuser und Gebäude und kauften viele Ländereien für sich und ihre Familien.

Allein zu Anfang des Christentums in Mecklenburg und bei dem ersten Aufbau der jetzigen altstädtischen Kirche wurde alles Abgöttische zerstört und ausgerottet und die genannte Kriegsgötzenfigur unten im Fundamente des früheren alten Kirchturms vermauert. Die Grundstücke und die Schätze der alten Götzenpriesterfamilien aber fielen der Kirche zu, wodurch der erste Grund zum Reichtum der jetzigen altstädter Kirche gelegt worden sein soll."

Der alte Küster Wiese zeigte auch noch die Stelle im alten, jetzt abgebrochenen und durch einen neuen ersetzten Kirchturm, am Eingange rechter Hand, allwo der Götze eingemauert gewesen sein soll.

*) Es wird dies wahrscheinlich der wendische Gott Rabal sein, von dem nach Einigen auch der Name des uralten Röbels stammen soll.