Der spukende Tabend auf dem Wege zwischen Neuenkirchen und Staven bei Neubrandenburg.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sagen, Volkssagen, Neuenkirchen, Neubrandenburg, Alt-Rehse, Neu-Rehse, Ruheloser, Geisterstimme, Spukender, Staven, Roga, Friedland, Bauersmann, Spuk, Abendgruß, Penzlin
Ähnliches, wie bereits auf Seite 43 bis 47 des ersten Bandes von Alt- und Neu-Rehse bei Penzlin mitgeteilt worden, soll sich früher auch auf dem Wege zwischen Neuenkirchen und Staven bei Neubrandenburg zugetragen haben.

Auch hier wandelte, wie die Sage erzählt, viele Jahre hindurch ein Ruheloser, der in seinem Leben immer gar hart, unfreundlich und stolz gegen seine Nebenmenschen gewesen war und, statt „guten Abend”, stets nur „Tabend"*) zu den Leuten gesagt hatte. Zur Strafe hierfür konnte er nach seinem Tode keinen Seelenfrieden erlangen und musste allabendlich von Neuenkirchen — wo er bei seinen Lebzeiten gewohnt hatte —bis zum Kreuzwege bei Staven ruhelos auf und nieder wandern. Begegnete ihm dann Jemand, so rief er demselben schon von ferne mit hohler Geisterstimme sein schauriges „Tabend!" zu, so dass es Einem angst und bange werden konnte. Jedermann vermied es deshalb auch zur Abendzeit diesen Weg zu wandern und machte lieber einen Umweg, um nur nicht mit „Tabend" — wie man den Spukenden allgemein zu nennen pflegte — zusammen zu treffen; denn Alles fürchtete sich vor ihm.

*) „Abend!“

Nun begab es sich, dass einmal ein Einwohner von Neuenkirchen die Taufe seines Erstgebornen durch einen großen Schmaus festlich beging. Unter den vielen Eingeladenen befand sich auch ein Bauer aus Roga bei Friedland. Als es Abend geworden sattelte dieser sein Pferd, um wieder nach Hause zu reiten. Vergebens bat man ihn zu bleiben, aber er konnte und wollte nicht, denn wichtige Geschäfte warteten seiner daheim.

Der Bauer schwang sich also aufs Pferd und ritt der gewöhnlichen Straße nach Staven zu. Als der ihn vom Hofe begleitende Kindtaufsvater dies sah, rief er ihm warnend nach, einen andern Weg zu nehmen, Tabend könne ihm sonst begegnen. Der Rogaer aber drehte sich auf seiner Stute um und antwortete: „Wat geht mie Tabend an; ick ried mienen Weg und Tabend geht sienen Weg!"*) und damit gab er seinem Rosse einen Klapps mit der Weidengerte und trabte gemütlich dahin.

Bald hiernach begegnete dem kühnen Bauersmann auch wirklich der Geist und kreischte ihm wiederholt sein „Tabend!" zu. Der gute Rogaer aber ließ sich hierdurch nicht ins Bockshorn sagen, sondern erwiderte ruhig und gefasst: „Einen guten Abend bescheert uns der liebe Gott!"

„Gott Lob! nun bin ich erlöst; um diese Worte habe ich schon so lange Jahre herum wanken müssen!" rief freudig der Ruhelose aus und zerfloss vor den Augen des Bauern in Nebel.

Seit dieser Zeit ist der Spuk verschwunden, und nie hat man ihn hiernach wieder gehört und gesehen.

*) „Was geht mich Abend an; ich reite meinen Weg und Abend geht seinen Weg!"