Der spukende Kirchenökonomus in der St. Nicolai-Kirche zu Röbel.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Röbel, Nicolaikirche, Lebenswandel,
Es war einmal ein Ökonomus an der Neustädter oder St. Nikolaikirche zu Röbel angestellt, von dem man schon bei seinen Lebzeiten allerlei Nachteiliges und Böses munkelte, dass er nicht redlich sei, nicht an Gott glaube und dergleichen mehr. Dem sei nun wie da wolle, so viel ist gewiss, dass dieser Kirchenökonomus kein guter Mensch war, und dass sein Lebenswandel nicht der beste gewesen ist, denn er konnte nach seinem Tode keine Ruhe im Grabe finden. Alle Mittage zwischen 12 bis 1 Uhr ging er nämlich in der Neustädter Kirche umher; er kam dann vom dem Altare hernieder, durchschritt langsam die Kirche ihrer ganzen Länge nach und verschwand darauf wieder am Ende derselben, bei der Turmtür.

Viele, viele Jahre hindurch hatte er so schon zur angegebenen Zeit in der Kirche umher gewandelt, da geschah es, dass einmal bei der alten Orgel und einigen Chören etwas gebaut und ausgebessert wurde. Länger als bis gegen 12 Uhr Mittags aber war keiner der hierbei beschäftigten Leute in der Kirche zu halten. Sobald es ¾ auf 12 geschlagen, wurden sämtliche Arbeiter unruhig und eilten dann auch bald darnach von dannen; denn alle fürchteten sich vor dem spukenden Ökonomus, der mit dem Schlage 12 sich regelmäßig in der Kirche zeigte.

Der damalige zweite Prediger an der St. Nikolaikirche, der ebenfalls von dieser wunderbaren Erscheinung gehört hatte, wollte sich einmal selbst überzeugen, ob es wirklich wahr sei, was sich die Leute davon erzählten. Gegen 12 Uhr Mittags begab er sich also dieserhalb in die Kirche. Bald schlug es voll und sogleich erschien auch der spukende Ökonomus. Kaum hatte ihn der Pastor erblickt, als er ihn auch schon mit den Worten anrief: „Was sucht Er hier?"

„Ich suche den verlorenen Weg!" war die dumpfe Antwort des Geistes.

„Dann such' Er, bis Er ihn findet!" erwiderte schnell der Pastor und damit rannte er aus der Kirche, denn ihm war's doch ganz schauerlich zu Mute geworden.

Der Pastor ging jetzt sofort zu seinem Kollegen, dem Präpositus Schertling, und erzählte ihm sein merkwürdiges Erlebnis. Mit ernster Miene tadelte dieser jedoch die Handlungsweise seines Amtsbruders, indem er äußerte, dass es unrecht von ihm gewesen, Jemanden zu fragen, was er suche, wenn er ihn nachher nicht zurecht weisen könne.

Schnell machte sich daher jetzt der Präpositus auf den Weg, um dem Suchenden den rechten Weg zu zeigen. Und das hat der alte ehrwürdige und fromme Mann, dessen Andenken und Namen noch jetzt in Nobel fortlebt und mit Hochachtung genannt wird, auch richtig getan; denn der irrende Geist fand durch ihn die längst ersehnte Ruhe, und nie hat man wieder etwas von dem spukenden Ökonomus in der St. Nikolaikirche gehört oder gesehen.