Der spukende Johanniterordens-Priester von Klein-Nemerow bei Stargard

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sagen, Volkssagen, Stargard, Tollensesee, Klein-Nemerow, Johanniter, Groß-Nemerow, Rowa, Staven, Friedland, Dabelow, Gnewitz, Godendorf, Wokuhl, Strelitz, Fürstenberg, Reformation, Dreißigjähriger Krieg, Ordensritter, Priester, Geistliche,
Eine Meile von Stargard liegt höchst romantisch an dem Ufer des Tollensesees, hinter hohen alten Bäumen fast versteckt, der jetzige Pachthof Klein-Nemerow, sonst Hauptsitz der Komture, Ordensprioren, Priester und Ritter der ehemaligen Johanniterkomturei Nemerow.

Es war im Jahre 1298, als der Johanniterkomtur Ulrich Schwabe oder Swawe ganz Nemerow — das jetzige Dorf Groß-Nemerow und der nunmehrige Hof Klein-Nemerow — erwarb und dasselbe, zur Errichtung einer eigenen Johanniterkomturei, seinem Orden übertrug. Die neugebildete Komturei gelangte bald zu Macht, Ansehen und Reichtum, indem sie im Laufe der Zeit auch noch das nahe Rowa und Staven bei Friedland erwarb, wie auch die Orte Dabelow, Gnewitz, Godendorf und Wokuhl im vormaligen Heideamte, zwischen Strelitz und Fürstenberg, gelegen. Mit Einführung der Reformation in Mecklenburg ging auch das Reich dieses geistlichen Ordens nach und nach seinem Untergange, entgegen; bis denn endlich nach Beendigung des dreißigjährigen Krieges, durch den westfälischen Frieden im Jahre 1648, auch die Komturei Nemerow säkularisiert und also in ein weltliches Besitztum verwandelt, den mecklenburgischen Landesherren zum Eigentum überwiesen wurde.

Von den alten Herrlichkeiten des ehemaligen Hauptortes der Komturei Nemerow ist jetzt nur noch wenig übrig. Das Schloss des Komturs soll an der Stelle des jetzigen Pächterhauses gestanden haben; von ersterem ist also nichts mehr vorhanden. Nicht viel besser steht es mit dem früheren Konventshause, dessen wenige Ruinen nicht weit davon, dicht am Tollensesee liegen. Nur von der früheren alten Ordenskirche ist noch die Ringmauer ziemlich gut erhalten, die jetzt aber, mit einem neuen Dache versehen, als Scheune benutzt wird. —

Als das jetzige Klein-Nemerow noch im Besitz der Johanniterritter war, soll sich dort eine schreckliche Begebenheit zugetragen haben, worüber die Sage also berichtet:

Einer der Nemerower Ordensgeistlichen lebte in verbotenem Verhältnisse mit einem blutjungen Mädchen; durch allerlei Kniffe und Ränke hatte der schlaue Priester das unerfahrene Geschöpf in seine Schlingen zu ziehen gewusst. Leider gingen der armen Verblendeten die Augen erst auf, als es zu spät war. Sie wurde Mutter eines holden Knäbleins. —

Der schändliche Geistliche schwur sich sofort von Allem ab; ja seine Niederträchtigkeit und Frechheit ging so weit, am nächsten Sonntag von der Kanzel herab den Fehltritt des jungen Mädchens öffentlich zu tadeln und zu rügen.

Das also verhöhnte, arme Geschöpf, außer sich über eine solche teuflische Niederträchtigkeit, verfiel hiernach in Wahnsinn, und ein hitziges Fieber, das sich hinzugesellte, machte bald ihrem Seelenleiden ein Ende. Kurz vorher aber, ehe sie ihren Geist aufgab, kehrte noch einmal ihr Bewusstsein zurück, und in diesem Augenblicke schwur sie allen Umstehenden zu, dass der von ihr angegebene Ordenspriester, trotz seines Leugnens und Abschwörens, sie dennoch verführt habe, dass er nur allein und kein Anderer der Vater ihres armen Kindes sei; dann rief sie noch mit schwacher Stimme Gottes Fluch über den Schändlichen hernieder und verschied. —

Ihr Kind folgte ihr bald darauf in die Ewigkeit nach. —

Der Priester aber hatte von Stund an keine Ruhe mehr; sein Gewissen war plötzlich erwacht und folterte und quälte ihn auf das Furchtbarste. In einer der nächsten Nächte schon stürzte er sich in größter Verzweiflung in den nahen Tollensesee und machte also seinem Leben ein Ende. —

Aber auch nach seinem Tode fand der meineidige Priester die erhoffte Ruhe nicht; denn häufig sah man ihn nach dieser Zeit in stillen Mondnächten am Ufer des Sees umherirren.

Auch noch jetzt soll sich zuweilen der Priester in seinem Ordensgewande in mondhellen Nächten am Ufer des Tollensesees zeigen, wenn sich aber ein Lebender naht, schnell in den See stürzen und dort verschwinden.