Der spukende Grenzgänger von Linstow bei Krakow

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1862

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Linstow, Dobbin, Nibel, Krakow, Bornkrug, Müllergeselle, Plagegeist
Vor ungefähr fünfhundert Jahren lebte auf Linstow bei Krakow ein rüder, wüster Geselle. Mit den sämtlichen Nachbaren in stetem Streit und Hader, verprasste er mit seinen Rauf- und Saufkumpanen das Mark seiner Untergebenen, die er auf das Schändlichste quälte und drückte.

In seiner nächsten Nähe, auf Dobbin, wohnte ein wackerer Edelmann, der, brav und gottesfürchtig, jede Gelegenheit vermied, mit seinem rohen Nachbarn in Berührung zu kommen. Desto mehr aber war dieser dafür bemüht, mit ihm anzubinden, indem er sich auf die unverschämteste Weise ein Stück seines Landes nach dem andern anmaßte.

Der Dobbiner versuchte zuerst mit Güte, dann aber, da diese nicht fruchten wollte, mit Gewalt das ihm geraubte Land wieder zu erlangen; aber was wollte er gegen seinen wilden Feind machen? Er richtete deshalb eine Bitte um Schutz und Hilfe an den damals regierenden Herzog Albrecht II. Jedoch, bevor ihm solches wurde, starb er plötzlich und hinterließ eine trauernde Witwe und drei unmündige Kinder, wovon die Erstere dem geliebten Gatten bald nach in die Ewigkeit folgte.

Der Linstower ließ nun diesen für sich so glücklichen Zeitpunkt nicht unbenutzt vorübergehen, indem er auf das Schamloseste seine Grenze erweiterte und also ein großes Stück Land des Dobbiner Gebiets stahl.

Herzog Albrecht zog, nach wiederholtem Bitten und Drängen von Seiten der Vormünder der Dobbiner Waisen, endlich selbst nach dort, um strenges Gericht zu halten. Doch der Linstower beeidigte jetzt mit einem furchtbaren Schwur, dass sich schon seit undenklichen Zeiten das Linstow'sche Gebiet so weit erstrecke, wie es jetzt seine Grenzpfähle anzeigten.
Gegen diesen Schwur konnte in damaliger Zeit auch der Fürst nichts einwenden; die Sache war damit erledigt und der Linstower stand somit vor der Welt als rechtmäßiger Besitzer des so schändlich geraubten Landes da.

Nicht lange sollte aber der Meineidige sich des angeschworenen Gebiets erfreuen; denn eines Morgens fand man ihn mit umgedrehtem Halse tot an der Dobbiner Scheide liegen. Der Teufel hatte ihm, als er spät von einem Gelage aus Goldberg heimkehrte, auf der Grenze das Genicke umgedreht.

Aber auch im Grabe ward dem bösen Sünder, der ohne Reue und Buße gestorben war, keine Ruhe; denn seine gemarterte Seele hat von nun an, als spukender Grenzgänger, bald in dieser, bald in jener Gestalt, zum Schrecken und Entsetzen der Menschheit umherirren müssen, bis sie dereinst durch Gottes Gnade erlöst werden wird.

Auch noch jetzt erscheint der Linstower Grenzgänger des Nachts dem einsamen Wanderer.

Bald zeigt er sich in übergroßer Gestalt, mit Grenzpfählen bepackt, längst der Nebel*) hingehend und Grausen erregende Töne ausstoßend; bald schwänzelt er als ein schwarzes Hündchen dem Wanderer um die Füße und verwandelt sich plötzlich in einen dunkeln, unheimlichen Körper, der sich turmhoch vor ihm ausstreckt, dann wieder zu einem kleinen Balle zusammenschrumpft, und sich bald vor, bald an der Seite, bald hinter dem Gehenden fortwälzt.

*) Die Nebel, ein kleiner Fluss.

Noch vor wenigen Jahren ist, wie mir Jemand mitteilte, einem achtbaren Bürger aus Krakow, der sich des Abends zu lange in Kieth aufgehalten hatte, auf der Dobbiner Scheide Folgendes begegnet:

Ruhig fortrauchend stößt derselbe nämlich plötzlich mit seinem Fuße an einen vor ihm liegenden schwarzen Gegenstand. Er bückt sich, um denselben aufzunehmen, da rollt derselbe aber langsam wohl an zehn Schritt weiter und bleibt ruhig liegen. Der gute Krakower kann trotz des hellen Mondscheins doch nicht recht dahinter kommen, was dies eigentlich ist; er geht daher dreist nach und versucht nun mit seinem Krückstocke den wunderlichen Klumpen aus dem Wege zu werfen.

Da breitet sich dieser plötzlich zu einer gewaltigen Größe um ihn aus und versperrt ihm nach allen Seiten hin den Weg, so dass sich der geängstigte Mann weder vor noch rückwärts bewegen kann; dabei ist er wie festgebannt, die Zunge klebt ihm am Gaumen und Hände und Füße sind ihm wie gelähmt; kurz, er weiß selbst nicht, wie ihm ist und geschieht.

Erst nach längerer Zeit wurde der arme Mensch durch das Herannahen eines Wagens aus diesem martervollen Zustande erlöst; je näher nämlich der Wagen kam, desto mehr verkleinerte sich auch nach und nach das ihn umschließende Ungetüm, bis es sich endlich bei Ankunft des Wagens ganz in sich selbst auflöste und ihn also wieder frei ließ.

Auch einem Müllergesellen aus Dobbin, der sich im Bornkruge bei Tanz und Bier gütlich getan hatte, erschien dieser Grenzgänger urplötzlich in Gestalt eines kleinen schwarzen Hundes, der auf ein Mal lustig vor ihm hintrabte. Der Geselle, der das Hündchen lockte, erschrak nicht wenig, als sich dasselbe nach ihm umwendete, mit zwei feurigen Augen ihn anglotzte und darauf sich zu einem unförmlichen Klumpen verwandelte, der sich schwerfällig vor ihm hinwälzte.

Der Müllergeselle fand es nun für geraten, sofort Kehrt zu machen und in schnellsten Sprüngen nach Linstow zurückzukehren.

Doch um wie viel mehr erschrak er jetzt aber, als sich nach kurzer Zeit mit einem Male der unheimliche Klumpen wieder auf's Neue vor ihm hinwälzte. So oft er sich nun auch wenden mochte, der Klumpen blieb immer vor ihm; sein schnelles Vor- oder Rückwärtslaufen half ihm nichts, er kam dabei doch nicht aus der Stelle.

Erst der anbrechende Morgen erlöste den geängstigten Müllergesellen von seinem Plagegeiste, und acht Tage später trug man ihn auf demselben Wege als Leiche zur Gruft.