Der spukende Grenzgänger auf der Werftwiese bei Dömitz.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Dömitz,
„Wo sall ick den'n Steen henlegg'n?" oder: ,,Wo sall ick em lat'n?" *) diese dumpfen Geisterrufe hörte man sonst häufig bei nächtlicher Weile, oder spät Abends auf der Werftwiese bei Dömitz.

Wohl wusste man allgemein, dass dies die Rufe von dem Geiste eines solchen Menschen seien, der bei seinen Lebzeiten die Grenzen verrückt und sich also fremdes Land angestohlen hatte, und der nun zur Strafe dafür nach seinem Tode zum Scheidetreten verdammt worden war. Jedermann aber fürchtete sich vor dem Spuke und vermied es sein Revier, sobald es dunkel geworden, zu betreten. War es aber dennoch einmal Diesem oder Jenem passiert, dass er bei Nachtzeit auf die Werftwiese gekommen, und war ihm dann der Scheidetreter mit dem Grenzstein unterm Arm begegnet, so hatte er nie auf sein jammerndes Rufen und Fragen zu antworten gewagt, sondern statt dessen sofort die Röckschöße hoch und Reißaus genommen.
Als einst auch ein beherzter junger Bursche zufällig in der Nacht auf die Werftwiese geraten war und der Geist ihm sein unheimliches: „Wo sall ick den Steen henlegg'n? wo sall ick em lat'n?" entgegen jammerte, blieb dieser ruhig stehen und antwortete keck: „Wo Du'n hernahm'n hest!”**)

„Gott Low, nu bünn ick erlöst!"***) rief der Geist jetzt freudig aus; trug schnell seinen Grenzstein hinweg und hat sich nach dieser Zeit nie wieder hören noch sehen lassen.

*) „Wo soll ich den Stein hinlegen?" „Wo soll ich ihn lassen?"
**) „Wo Du ihn hergenommen hast!”
***) „Gott Lob, nun bin ich erlöst!"