Der prophezeihende Täufling.

Aus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen
Autor: Gesammelt von Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1840
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Pommern, Aberglauben
In vielen Gegenden von Pommern: an der Oder, bei Colbatz, Wartenberg und an manchen anderen Orten, erzählen sich die Leute folgende wunderbare Geschichte, die sich im Jahre 1831 zugetragen hat, als von Westen der Krieg und von Osten die Cholera in das Land einzubrechen drohte. Zu derselben Zeit fuhren nämlich eines Morgens früh mehrere Bauersleute von jenseits der Oder nach Stettin. Als sie nun den langen Damm durch die Oderwiesen passierten, hörten sie auf einmal unten aus der Wiese ein Kind rufen: Nähmt mi mit, nähmt mi mit! Die Bauern stiegen ab, und fanden im Grase ein ganz nacktes, so eben gebornes Kind liegen. Sie erbarmten sich des armen Würmchens, bei dem Niemand war, und legten es auf den Wagen. Sie berieten dann unter einander, was sie mit dem Kinde machen wollten, und sie kamen dahin überein, dass sie es zuerst wollten taufen lassen. Sie gingen also damit zu einem Prediger in Stettin, und baten diesen, dass er die Taufe verrichten möge, wozu er auch bereit war. Als er aber die Taufhandlung eben begonnen hatte, begab sich auf einmal ein großes Wunder, denn das Kind verwandelte sich plötzlich in ein Stück blutigen Fleisches. Darüber entsetzten sich Alle, und der Prediger befahl den Bauern, dass sie das Fleisch an die Stelle tragen sollten, wo sie das Kind gefunden hatten. Das taten sie; aber kaum hatten sie die Wiese im Rücken, als sie das Kind wieder erbärmlich schreien hörten, wie vorhin: Nähmt mi mit, nähmt mi mit! und wie sie nun zurückkehrten, fanden sie wieder das Kind, das sie des Morgens früh gefunden hatten. Sie erbarmten sich deshalb noch einmal des hilflosen Würmchens, und brachten es zum zweiten Male zum Prediger, dass er es taufen möge. Allein so wie der Prediger eben wieder die Taufhandlung begonnen hatte, verwandelte das Kind sich in einen Zander (Zannat, Fisch). Der Pfarrer befahl ihnen daher zum zweiten Male, dass sie es zurücktragen sollten. Die Bauern taten das; aber es begab sich wieder ganz dasselbe, wie das vorige Mal, und als der Prediger das Kind jetzt wieder taufen wollte, verwandelte es sich in ein Brot. Da sagte der Prediger: So wollen wir es denn aufschneiden, und griff schnell zu einem Messer, um sein Vorhaben ins Werk zu richten. Plötzlich aber wurde das Brot wieder ein Kind, und wuchs augenblicklich, so dass Alle es sehen konnten, bis es ein feiner Knabe geworden war. Der sprach zu den Anwesenden: Mich hat Gott gesandt, und ich will Euch sagen, was das Alles bedeutet, was Ihr gesehen habt! Dass ich Fleisch geworden bin, bedeutet Krieg und großes Sterben; dass ich Fisch wurde, das bedeutet Wassersnot; dass ich aber Brot wurde, das bedeutet eine fruchtbare Zeit, die darauf folgen wird, und wer die noch erlebt, der wird von Allem genug haben, und sich über nichts mehr beklagen dürfen. — Darauf ließ das Kind sich nun ruhig taufen. Die Leute sagen, es solle noch in Stettin herumgehen. Mündlich.

Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller

Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller