Der eidbrüchige Handwerksbursche von Parchim - 5. Die Vergeltung.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage,
Einige Wochen vor Ablauf der vom Rate festgesetzten Frist begegnen wir, an einem heißen Sommer-Nachmittage, einem einsamen wandernden Handwerksburschen auf der nach Parchim führenden Landstraße. Nachdenkend, mit zur Erde gesenktem Haupte schreitet er langsam daher, in kurzen, abgebrochenen Sätzen vor sich hinsprechend: — „Ich habe aber einen Eid geschworen, nicht wieder meinen Fuß über die Torschwelle der Stadt setzen zu wollen; es geschah dies jedoch in meiner großen Erbitterung, in jugendlicher Unbedachtsamkeit und Übereilung und Gott wird mich deshalb nicht strafen können, er hat mir das gewiss schon lange verziehen. —

Aber dennoch wenn ich in die Stadt gehe, bin ich dann nicht meineidig? und doch, ich will, ich muss hinein! — Sobald ich mein Geld habe, will ich auch sogleich wieder fortreisen und nie, nie wiederkehren. Weit, weit von hier werde ich mir eine Heimat gründen, ich kann das gewiss, ich bin ja reich und allenthalben wird man mich dann gerne aufnehmen!" So sprach der Wanderer, in welchem der freundliche Leser gewiss schon unsern Fritz wieder erkannte. Unschlüssig steht er oft stille, und doch ging er immer weiter fort auf der Landstraße, sich immer mehr der Vaterstadt nähernd. Er kämpfte einen schweren Kampf; in seinem Innern stritten zwei feindliche Gewalten, Furcht und Hoffnung, Habsucht und Gewissen, das Gute mit dem Bösen. —

Die Sonne, die den ganzen Tag klar und heiß geschienen, verschleiert sich nach und nach, schwere, düstere Wolken türmen sich auf am Firmament, ein lauer Wind erhebt sich und schon beginnen einzelne Tropfen die Erde zu feuchten. Erst jetzt bemerkt Fritz die Nähe des Unwetters; mechanisch verdoppelt er seine Schritte.

Mehr und mehr zieht sich das Gewitter zusammen, der Regen wird stärker, dumpf rollt in der Ferne der Donner und zuckende Blitze zerteilen das dunkle Gewölk. Ohne Rast und Ruh eilt Fritz dahin. Schon sieht er aus der Ferne, durch die Dämmerung, die wohlbekannten Türme der Stadt blinken; nicht lange mehr und er wird sie erreicht haben.

Immer ärger wird das Wetter. Rabenschwarze Nacht senkt sich hernieder auf die empörte Natur, wild brausend tobt ein Orkan daher, in Strömen stürzt der Regen vom Himmel, schrecklich brüllt der Donner, Blitze auf Blitze kreuzen die Lüfte, Schlag auf Schlag folgt; die Erde scheint in ihren Grundfesten zu erbeben. Dem Fritz vergehen fast die Sinne; war er auch sonst nicht furchtsam, jetzt war's ihm doch so unendlich beklommen, so ängstlich in der Brust.

Wiederum erhellt ein zischender Blitzstrahl mit geisterhaftem Lichte die ganze Gegend. Unwillkürlich wendet der Wanderer den Kopf zur Seite; ha, welch ein Anblick! Er befindet sich gerade dem Kirchhofe gegenüber; schaurig beleuchtet liegt derselbe da mit seinen Leichensteinen und Grabkreuzen; — es war der Gottesacker vor den Toren der Stadt, wo auch die Gebeine seiner braven Eltern ruhten, an deren Gräbern er so oft geweint. — Eiskalt rieselt es ihm durch Mark und Bein, und durch das Tosen der Elemente tönen ihm jetzt die warnenden Worte entgegen: „Geh nicht hinein, gedenke deines Schwurs!" Aber es ist zu spät; der Dämon der Habsucht und des Mammons hatte Fritzens Sinne bereits umgarnt und das Gewissen zum Schweigen gebracht. Schneller und schneller eilt der Verblendete dem Stadttore zu, wo er Schutz zu finden hofft. Endlich hat er es erreicht; ermattet sinkt er hin auf einen dort liegenden Stein. Da, — oh grässliches Schauspiel, oh rächende Nemesis — da erreicht Gottes Zorn, Gottes Gericht den Meineidigen! Ein furchtbarer Donnerknall, ein grausig leuchtender Blitzstrahl, ein schrecklich gellender Angstschrei und mit gespaltenem Schädel sinkt Fritz zu Boden, eine grässlich entstellte Leiche liegt er da, auf der Torschwelle der Vaterstadt.

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Zur Erinnerung an vorstehende Tragödie und zur Warnung für Jedermann wurde die Scene, als der Handwerksbursche*) auf einem Steine unter dem Tore sitzend, gerade im Begriffe, den Riemen einer seiner Schuhe fester zu ziehen, plötzlich vom Blitze getroffen wird, in Ölfarben gemalt und dies Bild über dem inneren Eingange desselben, das „Wocker" Tor genannt, befestigt. Dasselbe, zwar schon sehr beschädigt, dennoch aber recht gut zu erkennen, habe ich selbst noch vor etwa zwölf Jahren an Ort und Stelle gesehen. Wie man denn damals auch noch in der Nähe benannten Tores einen Stein des Straßenpflasters, mit einem großen runden Loche in der Mitte, zeigte, und von diesem behauptete, dass der Blitzstrahl, nachdem er den Handwerksburschen erschlagen, hierdurch in die Erde gefahren sei.

Vor einigen Jahren sind indes die ehemals bedeutenden, nach und nach verfallenen Festungswerke der Stadt, und mit ihnen zugleich auch die dazu gehörenden altertümlichen „Wocker" Torgebäude, gänzlich abgetragen und zu friedlichen, schönen Promenaden umgewandelt worden. Existiert also jetzt auch Bild, Tor und Stein nicht mehr, so wird doch die alte Sage „vom eidbrüchigen Handwerksburschen" gewiss auch ferner noch fortleben, deren Moral, nicht leichtfertig und unüberlegt zu schwören, Jeder beherzigen möge!

*) Ob derselbe „Fritz" geheißen und Schuhmachergeselle gewesen, darüber schweigt die Geschichte; es ist dies nur eigene Annahme. Die Sage erzählt nur von einem „Handwerksburschen".

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

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Parchim, am Eichberg

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Parchim, Buchholz-Allee

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Parchim, Elde

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Parchim, Kirche

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Parchim, Moltke-Denkmal

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Parchim, Rathaus

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Parchim, St. Georgen-Kirche

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