Der Werwolf von Klein-Krams bei Ludwigslust

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 2
Autor: Von J. J. F. Giese zu Strohkirchen, Erscheinungsjahr: 1862

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Werwolf, Treibjagd, Kugel von Erbsilber, Zauber
Als in den früheren Zeiten noch die meisten unserer Gegenden in Holz und Busch lagen, reichten die Waldungen bei Klein-Krams, unweit Ludwigslust, noch viel über ihre jetzige Grenze hinaus und erstreckten sich bis in die unmittelbare Nähe des Dorfes.

Diese Waldungen waren so wildreich, dass die Herzöge jährlich mehrere Male hinauszogen, um daselbst große Treibjagden zu halten, und gewöhnlich war das Ergebnis dieser Jagden sehr befriedigend. Aber fast alle Treiben waren gestört durch einen Wolf, welcher mit dem übrigen Wilde aus dem Dickicht getrieben wurde, indem sich derselbe wider die Hunde setzte, dieselben lahm biss, auch gar oft den Treibern Schaden zufügte und endlich, mit einem Hasen oder Reh im Maule, davonlief.

Alle Flinten der anwesenden Jäger waren schon mehr als einmal auf das gefährliche Tier abgefeuert, aber noch nie hatte es eine Kugel getroffen, oder es müsste die, welche getroffen, an der Haut desselben abgeprallt sein. Jeder der Jäger und Treiber glaubte, dass man hier mehr als einen gewöhnlichen Wolf vor sich habe; denn wie konnte ein solcher, trotz dem Blei der Jäger und dem Zahn der Hunde, so viele Jahre ungeschoren sein Wesen treiben; es musste ein Wehrwolf sein.

„Nun", sagte einmal einer der Jäger, welcher schon etliche Jahre der Jagd mit beigewohnt hatte, dem aber jedesmal ein schussrechtes Wild durch Dazwischenkommen des Wolfes entkommen war, „den Wolf soll wohl eine Kugel treffen, ist's nicht mehr in diesem Jahre, so ist es sicher in dem zukünftigen."

Der Herbst und der Winter gingen langsam vorüber und ein brennendheißer Sommer folgte darauf. Da geschah es einmal, dass der gedachte Jäger durch das Dorf Klein-Krams reiste und, vom Durste gequält, in dem Hause eines Hausmannes, Namens Feeg, einkehrte, um seinen brennenden Durst zu löschen. Im Begriff in das Haus zu treten, stürmte ihm plötzlich ein Schwarm Knaben mit heftigem Geschrei entgegen und eilte auf den Hof hinaus. Von dem heftigen Gedränge ward auch der Jäger Will, so war sein Name, wieder mit zurück auf den Hof gerissen. Er forschte bei den Knaben nach der Ursache ihres hastigen aus dem Hause Kommens, und erfuhr, dass, außer dem kleinen Karl, Niemand von der feeg'schen Familie zu Hause sei, da sie sämtlich, außer der Großmutter, welche eine Freundin besuche, im Felde beschäftigt seien; dass nun aber der kleine Karl, wie er immer tue, wenn er allein zu Hause sei, sich in einen Werwolf verwandelt habe und als solcher sie beiße, wenn sie sich nicht eilig entfernten. Der Jäger hatte natürlich große Lust, den Werwolf zu sehen, und wollte darum schnell in das Haus dringen, wurde aber von den Kindern mit dem Bemerken zurückgehalten, dass auch er gebissen würde, so lange der kleine Karl noch in der Wolfshaut stecke.

Als endlich Alle glaubten, dass nun nichts mehr zu befürchten sei, gingen sie in das Haus zurück. Auch Will, dessen Neugierde aufs Höchste gestiegen war, ging mit hinein. Ein kleiner Knabe von etwa 10 Jahren kam ihnen entgegen, und die übrigen Kinder bezeichneten dem Jäger diesen als denjenigen, welchen sie zu fürchten hätten. Mit liebreichen Worten fragte Will den Knaben nach der Wahrheit jener Aussagen, und der Knabe bejahte es auch nach etlichem Zögern; ja er wurde nach vielem Bitten des Jägers bereitwillig, seine Kunst noch einmal zu zeigen, wenn dieser zuvor auf die Hilde steigen wolle, da er, wenn er Wolf sei, auch ihn beißen würde. Der Jäger stieg auf die Hilde und zog die Leiter, vermittelst welcher er hinauf gestiegen war, ebenfalls hinter sich hinauf, weil der Knabe solches forderte. Nun ging Karl in die Stube, kam aber nach etlichen Minuten als junger Wolf wieder heraus und jagte Alles, was nicht hinaufgestiegen war, zum Hause hinaus. Will war ganz Auge, um irgend einen Betrug zu entdecken, fand aber nichts Betrügerisches in dem Spiel.

Nachdem der junge Wolf wieder in die Stube gegangen und als Knabe herausgekommen war, stieg auch der erstaunte Will von seiner Abseite. Noch ehe er zur Erde kam, fragte er nach der Möglichkeit solcher Verwandlung, denn dass es kein Betrug war, hatte er zu deutlich gesehen.

Anfangs wollte der Knabe nicht mit der Sprache heraus, erzählte jedoch endlich, dass er den Zaum seiner Großmutter übergeworfen habe, wonach er alsbald zum Wehrwolf werde. Nun gab der Jäger nicht eher nach, Karl musste den Zaum zeigen — wobei er denselben jedoch nicht aus den Händen ließ — und erzählen, wozu seine Großmutter den Zaum gebrauche. Getreulich erzählte der Knabe, wie die Großmutter jedesmal den Zaum überwürfe, wenn sie kein Fleisch mehr hätten, und wie sie dann bald ein Huhn oder ein Schaf, bald auch einen Hasen oder ein Reh zu Hause bringe.

Jetzt kannte Will den Wolf, der den Treibjagden in der nahen Waldung so verderblich war; und er sprach im Weggehen: „den Wolf soll wohl eine Kugel treffen und das schon in diesem Jahr." —

Der Herbst war wiedergekommen, und mit ihm begannen auch die großen Treibjagden bei Klein-Krams. „Dieses Jahr soll der Wolf erlegt werden, wenn er sich wieder sehen lässt, oder nimmer", sprach der Jäger Will zu einer Versammlung von Jägern, und schob eine aus Erbsilber gegossene Kugel in den Lauf seiner Büchse. Als die Versammelten in ihn drangen, zu erzählen, ob er Näheres von demselben gehört habe, oder ob er ein Mittel gefunden, wodurch es ihm möglich sei, denselben zu erlegen, erzählte Will, wie er jetzt gedenke, durch eine Kugel von Erbsilber, die schon in seinem Laufe stecke, Herr des Wolfes zu werden. Wie er aber durch jenen Vorfall in Klein-Krams seiner Sache gewiss geworden, dass dies ein Werwolf und kein anderer sei, darüber schwieg Will noch. Seine Kollegen wünschten ihm von Herzen Glück zu der Sache, da auch sie schon oft durch den Wolf an den Fang eines Wildes verhindert waren.

Noch redeten die Jäger mit einander, als der Befehl kam, sich anzustellen. Jeder wählte einen Posten, wo seiner Meinung nach das meiste Wild kommen müsste, aber Will stellte sich so an, dass er sein sich ersehenes Wild gewiss treffen könne, wenn es mit einem Häschen oder Ricklein beladen dem Dorfe zueile; welche Richtung es einschlagen werde, wusste er ja schon.

Das Treiben begann. Dutzende von Hasen, Rehen, Hirschen und Schweinen stürzten auf das Geschrei, Geklapper, und Blasen der Treiber zum Walde hinaus und fielen alsobald unter dem Feuer der hier versteckten Jäger. Auch der allbekannte Wolf fehlte nicht. Kein Jäger schoss nach ihm, weil jeder seine Kugelfestigkeit kannte; nicht einmal die Hunde hatten mehr Lust sich mit ihm herum zu beißen, weil sie noch immer auf das Allerärgste von ihm zugerichtet worden waren. Alle sahen daher ruhig zu, als er, ein Reh im Maul, davon lief; Viele aber brannten vor Verlangen, die Wirkung von Wills Schuss zu sehen.

Der Wolf mochte etwa 150 Schritte den Wald hinter sich haben, als Wills Schuss fiel und denselben augenblicklich zu Boden streckte. Was laufen konnte, lief dahin, jedoch ehe man zu ihm kam, raffte sich der Wolf wieder empor und eilte, wiewohl hinkend, denn die Kugel hatte einen seiner Hinterläufe gelähmt, dem Dorfe zu. Dies hielt jedoch keinen der Jäger vom Verfolgen der Bestie zurück.

Der flüchtige Wolf eilte auf das feeg'sche Gehöft hinauf, wo er seinen Verfolgern verschwand; als ihn diese aber suchten, fanden sie ihn endlich im Bette der alten Großmutter, mit unter der Bettdecke hervorragendem Schwanz.

Diese alte Frau war also wirklich der vielfach gedachte Wolf, wie Will richtig geahnt, und hatte sie jetzt in ihrem Schmerze vergessen, den Zauberzaum abzulegen und war es somit selbst, die den Schleier von ihrem Geheimnis zog. „Nun wissen wir genug”, sagten die Nachgefolgten und gingen wieder nach dem Walde, wo sie den Zurückgebliebenen erzählten, was sie gesehen hatten. Ersteren hatte Will unterdessen mitgeteilt, was wir bereits schon wissen, nämlich sein Abenteuer in Klein-Krams, und sie dadurch in das höchste Erstaunen gesetzt.

Von nun an wurden die Treibjagden bei Klein-Krams nicht mehr durch einen Wehrwolf gestört. Ein Wolf wurde auf denselben noch oft erlegt, weil er erlegt werden konnte, da es ein gewöhnlicher und kein Werwolf war, ohne eine Kugel von Erbsilber zu gebrauchen.

Die alte Feeg aber ist durch diesen Schuss lahm geblieben bis an ihr Ende, welches nach etlichen Jahren erfolgte.

005 Wolf (Canis Lupus)

005 Wolf (Canis Lupus)

Wolfspaar

Wolfspaar

Heulender Wolf

Heulender Wolf