Der Werwolf und die Hexe von Vietlübbe bei Lübz.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Von V. zu W, Erscheinungsjahr: 1860

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Vietlübbe, Lübz, Werwolf, Hexe, Hexenkünste, Wangelin
Im südlichen Mecklenburg, unweit der preußischen Grenze, liegt das Dorf Vietlübbe, dessen Bewohner sich durch mancherlei Eigentümlichkeiten von denen der benachbarten Orte unterscheiden. Sie führen ein eingezogenes Leben, sind gegen Fremde zurückhaltend und misstrauisch, und eheliche Verbindungen mit Leuten, aus den benachbarten Gemeinden gehörten früher zu den größten Seltenheiten.

In dem Munde dieser Leute leben noch manche Sagen von Hexen, Wehrwölfen und Unterirdischen, die sie sich in den langen Winterabenden nach dem Nachtessen erzählen, wenn die Mädchen neben der Hausmutter am Spinnrade sitzen, und die Knechte und Söhne des Hauses mit dem Kartoffelschälen beschäftigt sind. Tritt aber ein Fremder ein, so schweigen Alle, und schwer hält es daher, mit diesen alten Geschichten bekannt zu werden.

Von einem Altenteiler, der in jenem Dorfe früher gedient hatte, und mit dem ich mich eines Abends über den in dieser Gegend besonders herrschenden Aberglauben unterhielt, erfuhr ich bei dieser Gelegenheit nachfolgende beide Geschichten:

I. In dem genannten Dorfe lebte vor mehr denn 100 Jahren ein Bauer, der sehr beherzt und kaltblütig war. Dieser ritt eines Tages nach der benachbarten Stadt Lübz, um dort mehrere Einkäufe zu machen.

Er hatte sich ziemlich lange aufgehalten, und es wurde schon dunkel, als er den finstern Tannenwald erreichte, durch den ihn sein Weg führte. Als er durch den Rissbach ritt, der über den Weg fließt und an beiden Ufern mit dichtem Erlengebüsch bedeckt ist, wurde sein Pferd plötzlich unruhig und ängstlich und wollte nicht weiter vorwärts. Erstaunt über dies ungewohnte Benehmen des sonst gar nicht scheuen Tieres wollte er schon absteigen, um es am Zügel zu führen, als plötzlich aus dem Ellerndickicht ein Wolf hervorsprang und wütend nach dem Pferde schnappte

Der erschrockene Bauer hatte gar nicht nötig, das Pferd zur eiligen Flucht anzutreiben; dasselbe lief jetzt vielmehr, so sehr es nur konnte, um seinem gefährlichen Feinde zu entrinnen. Allein bald waren seine Kräfte erschöpft, so dass der Verfolger es wieder eingeholt hatte und gierig in die Höhe sprang, um ihm die Gurgel auszureißen.

Da fiel dem Bauer ein, der seit vielen Jahren nichts mehr von Wölfen in diesem Walde gehört hatte, dass ihr Verfolger am Ende kein wirklicher Wolf, sondern ein Wehrwolf sei, nämlich ein Mensch, der sich durch Zauberei in einen Wolf verwandeln könne. Es ging nämlich das Gerücht im Dorfe, sein Nachbar sei ein solcher Zauberer, der sich öfters in einen Wehrwolf verwandele und als solcher die benachbarten Wälder durchstreiche und manche Beute nach Hause bringe. Nun hatte ein kluger Mann ihm gesagt, ein solcher Wehrwolf müsse augenblicklich seine Menschengestalt annehmen und könne dann nicht weiter schaden, wenn er bei seinem Taufnamen angerufen würde. Als daher jetzt der Wolf sein Pferd zu zerfleischen drohte, rief er, rasch entschlossen, mit lauter Stimme: „Büßt Du dat, Ernst N.?"*)

*) „Bist Du es, Ernst N.?“

Kaum waren diese Worte aus seinem Munde, als der Wolf sich in einen Menschen verwandelte, und sein Nachbar, dessen Namen er ausgesprochen hatte, zitternd vor ihm stand und ihn flehentlich bat, er möge diese Begebenheit doch nicht nachsagen, er wolle ihm auch nie wieder etwas zu Leide tun, auch den Schaden, den das Pferd durch seine Bisse erlitten, ersetzen.

Der Bauer gab ihm das Versprechen des Schweigens, aber erst Nachdem er angelobt, sich nie wieder in einen Wehrwolf zu verwandeln, was er auch wohl gehalten haben wird, da man später in dieser Gegend nie wieder von einem Wehrwolfe gehört hat.

II. Der Bauer Ernst N. hatte eine Schwester, ein hübsches Mädchen, welche aber von ihrer Mutter, die eine arge Hexe war, das Zaubern gelernt hatte. Dies war jedoch damals noch nicht bekannt, und so war sie die Braut des Sohnes, eines Bauern geworden, der in demselben Dorfe wohnte.

In dem Hause des Bräutigams hatte man zu dieser Zeit zu verschiedenen Malen die Bemerkung gemacht, dass Katzen in dem sogenannten Wiem — dem Ort, wo in den alten Bauernhäusern, die noch keinen Schornstein haben, das Fleisch geräuchert und der Kuhkäse, den die Bauersleute selbst bereiten, in dem sogenannten Käsenetz aufbewahrt wird — von dem Fleisch und Käse gefressen hatten. Deshalb beschlossen der Bräutigam und der Knecht, den Dieb zu züchtigen, oder, wenn derselbe eine in eine Katze sich verwandelt habende Hexe sei, zu entlarven. Zu diesem Zwecke banden sie in ihre Peitschen vorne Nägel, um die Schläge gewichtiger zu machen und versteckten sich in der Nähe des gedachten Ortes.

Bald darauf schlich auch eine schwarze Katze ins Haus, kletterte in die Höhe und fing an, bei dem Käse zu fressen. Jetzt sprangen die beiden jungen Leute aus ihrem Verstecke und schlugen mit ihren Peitschen so die Katze, dass Blut aus den Wunden floss. In diesem Augenblicke, da durch das Blutwunden der Zauber gelöst war, verwandelte sich die Katze in die Gestalt der Braut, welche hinter dem Schwibbogen hervorkam, aber nun mit Schimpfend Schande aus dem Hause gejagt wurde, wo sie sich nicht wieder sehen lassen durfte.

Der Gehöftserbe heiratete nach einiger Zeit ein anderes junges Mädchen aus dem Dorfe, und gelang es seiner früheren Braut nicht, trotz ihrer Zauberkünste, einen andern Freier daselbst zu bekommen.

Erst nach mehreren Jahren heiratete sie ein Mann aus dem benachbarten Dorfe Wangelin, der sie nur wegen ihres nicht unbedeutenden Vermögens nahm.

Von ihr und ihrer einzigen Tochter, die vor vielen Jahren schon gestorben ist und keine Kinder hinterlassen hat, werden noch jetzt allerlei Hexenkünste erzählt, so dass auch ihr Wohnort hiervon den Namen „Hexen-Wangelin" erhalten hat.