Der Teufelsbaum auf dem Tannenberge bei Boitzenburg.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage,
Zu der auf Seite 105 bis 117 dieses Bandes erzählten Sage vom Tannenberge zu Boitzenburg, habe ich noch Einiges nachzutragen, was mir von einem Verwandten, einem geborenen Boitzenburger, mitgeteilt wurde, und was ich nun hiermit folgen lasse.

Als nämlich der jetzige Kreuzberg bei Boitzenburg noch seinen alten Namen, der Tannenberg, führte, als denselben noch hohe Tannen bedeckten, in deren immer grünen Häuptern ein Heer von Krähen sein Wesen trieb, da befand sich auf dem Gipfel des Berges, der, wie wir schon gehört, geebnet war und früher vielfach zum Tanz- und Tummelplatze der Bewohner Boitzenburgs diente, auch noch eine alte gekrümmte Tanne, die sich durch ihren merkwürdigen Wuchs vor allen ihren Schwestern, die sämtlich gerade und schlank in die Höhe geschossen waren, auszeichnete und deshalb jedem Besucher des Berges sogleich auffiel. Diese sonderbar verwachsene Tanne nun war allgemein unter dem Namen der Teufelsbaum bekannt; mein Verwandter hat sie oft, wie er mir erzählte, als Knabe mit seinen Spielgenossen besucht und sie dann immer mit einem gewissen kindlichen Grauen betrachtet.

Ihren Namen soll die Tanne in jener Zeit erhalten haben, wo sich die auf Seite 114 dieses Bandes geschilderte grässliche Begebenheit auf dem Tannenberge zutrug. Als nämlich bei der damals dort so lärmend und üppig begangenen Verlobungsfeier, zufällig grabe um Mitternacht, eine Pause eintrat, als die rauschende Musik schwieg und die Musici auf einen Augenblick rasteten, um sich durch einen Labetrunk zu stärken, als auch die erhitzten Tänzerpaare ausruhten, um nach ein Paar Minuten der Erholung ihr voriges Vergnügen wieder fortzusetzen, als eben einige der Gäste in ihrer Gottlosigkeit und vom Weine berauscht über die unten am Berge ruhenden Toten spotteten, da erschallte dennoch Musik fort, und zwar in immer verstärkterem Grade und in einer Weise, wie sie nie zuvor ein menschliches Ohr vernommen. Es waren keine Töne, wie sie der Mensch den Instrumenten entlocken kann, nein, es waren übernatürliche Unlaute, wahre Disharmonien; denn bald erklang es wie ein Gemisch von Tierstimmen, wie das Heulen und Zischen von Hunden, Katzen und Schlangen, wie das Gekreische und Zirpen von Uhu, Fledermäusen und Heimchen, bald wie Donnergebrause und Windespfeifen, dann wieder wie Spott- und Hohngelächter der Hölle und das Heulen, Ächzen und Stöhnen seiner Bewohner.

Von dem Wipfel einer nahen Tanne herab erschallten diese Mark und Bein durchdringenden, allgemeines Grausen und Schaudern erregenden Töne. Immer tiefer senkte sich der Baum, und mit Entsetzen sah die dort versammelte, kurz zuvor noch so fröhliche und ausgelassene Gesellschaft, wie es der leibhaftige Teufel war unter dessen Wucht sich die Tanne herniederbeugte, wie er höhnisch lächelnd in ihren Zweigen hockte und mit Windesschnelle seine Fiedel strich, dass es weithin hallte über Berg und Tal.

Durch diesen Höllenlärm wurden die bis dahin am Fuße des Berges in Frieden Schlummernden geweckt. Die Gräber taten sich auf, die Toten stiegen hervor in weißen Sterbehemden, drehten sich umher und begannen einen wirbelnden Reigen zu tanzen.

Und der Mond beschien mit falbem Lichte die Schreckensszene; schauerlich klapperten die dürren Knochengerippe, grausig grinsten die nackten Totenschädel, und Alles was Leben hatte stürzte in wildester Hast dem Tore der Stadt zu.

Am andern Tage war von diesem nächtlichen Schauspiele nichts mehr zu sehen, keine Spur mehr zu entdecken; nur die Tanne, worauf der Teufel gesessen und gefiedelt hatte, war heruntergebogen und gekrümmt, und das ist sie auch viele, viele Jahre hindurch geblieben, bis sie mit all den andern Tannen unter der Axt des Holzhauers fiel. Von dieser Zeit an aber hieß sie der Teufelsbaum, und Jedermann, der den alten Tannen-, jetzigen Kreuzberg vor seiner nunmehrigen Umgestaltung einmal besucht hat, wird sich gewiss auch noch dieser Tanne erinnern und ihren Namen gehört haben.

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

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