Der Steintanz bei Boitin unweit Bützow

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 2
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Boitin, Steintanz, Steinkreis, Abergauben, Dreetz
Geht man auf der Landstraße von Zernin nach Boitin, so kommt man nach einer Wanderung von einer halben Stunde in einen großen Buchenwald, der in Form eines Halbmondes die üppigen Kornfelder mit einem grünen Rahmen umgibt. Ungefähr zwanzig Schritte vom Saume des Waldes führt ein Fußsteig von dem eigentlichen Wege ab, rechts in das Gebüsch. Verlässt man die Landstraße und folgt den Windungen dieses Pfades, so kommt man nach einer Viertelstunde an das Ufer eines kleinen Waldsees, in dessen blauen Fluten sich die nahestehenden Bäume spiegeln. Jetzt wird der schmale Steig zu einem breiten Waldwege, an dessen beiden Seiten hohe Buchen stehen. Der Weg führt eine sanfte Anhöhe hinauf. Auf derselben erblickt man, unter gewaltigen, mit Moos und Schorf bedeckten Buchen, mehrere große Steine, welche in drei Kreisen herumstehen oder liegen. Ein kleiner Graben ist um die Steinkreise gezogen. In jedem Kreise mögen sich etwa neun Steine befinden. Unter den Steinen des äußern Kreises ist einer, der mit einem Auftritte versehen ist, und daher mag es kommen, dass man ihm den Namen der Kanzel gegeben hat. In dem einen Kreise liegt ein platter Stein mit dreizehn eingegrabenen, viereckigen Löchern, den man die Brautlade nennt.

Es ist wohl mit Gewissheit anzunehmen, dass die Steine Überreste gottesdienstlicher Heiligtümer sind, und die alten Wenden hier ihren Göttern geopfert haben. Der angeführte Stein des inneren Kreises zeugt am meisten für diese Annahme, denn man erkennt auf den ersten Blick, dass der Stein einst zum Opferaltar gedient hat, und die Löcher in demselben sind wahrscheinlich zum Auffangen des Blutes bestimmt gewesen.

Im Munde des Volkes geht eine Sage über die Entstehung dieses sogenannten Steintanzes. Die Sage erzählt folgendermaßen:

Vor vielen Jahren lag nicht weit von dem Orte, wo man jetzt den Steintanz findet, das Dorf Dreetz.*) Die Bauern dieses Dorfes waren rohe, gottlose Leute und lebten nur dem Genusse dieses Lebens.

Einst feierten diese Bauern eine Hochzeit, zu der viele Gäste eingeladen waren. Es wurde getanzt und geschwelgt bis an den hellen Morgen.

Da wurden einige der Gäste des Tanzes müde und wollten Kegel spielen; aber es fehlte ihnen an Gerätschaften zu diesem Vergnügen. Ihren Vorsatz wollten sie aber einmal nicht aufgeben, und so kamen sie auf den Gedanken, sich aus Würsten und Brot Kegel und Kugeln zu machen.

Das Spiel ging vor sich; aber da kam die Rache des Himmels über sie, und verwandelte in einem Augenblicke die Spieler und die Tänzerkreise in Steine.

Einer der Gäste, ein Schäfer von einem nahen Hofe, hatte den Vorschlag der Frevler nicht gebilligt, sondern vielmehr von dem bösen Beginnen abgeraten. Ihm sagte ein Geist, er würde mit dem Leben davon kommen, wenn er sich auf der Flucht nicht umsähe.

Der Schäfer floh; aber die Neugierde wurde bei ihm stärker, als die Furcht. Schlauer Weise suchte er das Gebot des Geistes zu umgehen, und unten durch die Füße zu sehen; aber im Augenblicke wurde auch er in Stein verwandelt. Sein Hund, der ihm gefolgt war, teilte sein Schicksal.

So findet man diese beiden Steine bei einer Katenwohnung in Boitin.

Auch die Brautlade wurde in Stein verwandelt. Jedoch soll aus derselben an jedem Johannistage, um 12 Uhr Mittags, ein roter Faden heraushängen. Wer nun den Mut hat und nur herzhaft zugreift, soll den Schatz, der in der Lade verborgen ist, heben können.

*) Altes Gemäuer bezeichnet noch jetzt die Lage dieses längst untergegangenen Dorfes.

                              *******************

Im Sommer ist der Steintanz ein besuchter Platz; denn täglich kann man kleine Gesellschaften antreffen, welche diese Steine, alte Zeugen aus der wendischen Vorzeit, betrachten. Hunderte von Namenszügen sind in die Rinden der Bäume eingegraben und geben Zeugnis, dass schon Mancher in dem Schatten dieser Riesenbäume geweilt hat.

Es ist auch sonderbar, was für Gedanken sich dem Herzen unter den Zweigen der alten Bäume aufdringen. Der Geist gehet zurück in die Zeit, in der unsere Vorfahren hier ihren Götzen opferten, und man glaubt zuweilen das Geschrei eines armen Kriegsgefangenen zu hören, der hier dem Wendengotte, dem Radegast, bluten musste. Unwillkürlich steigt bei solchen Gedanken ein Gebet aus tiefster Brust zum Throne des einigen Gottes, der uns aus der Finsternis; des Heidentums gerissen und uns gegeben hat das helle Licht des Evangeliums!