Der Sprichwörtergarten - kurze und fassliche Erklärung von 500 Sprichwörtern

Ein Lesebuch für die Jugend, ein Handbuch für Lehrer, welche die Sprichwörter als moralisches Bildungsmittel und als Stoff zu Denkübungen benützen wollen.
Autor: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1803-1879) deutscher Pädagoge und Germanist. Er legte die größte existierende Sammlung deutschsprachiger Sprichwörter an., Erscheinungsjahr: 1838
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sprichwörter, Sprichwort, Geist, Witz, Zweck, Arbeit, Geschäft, Beschäftigung, Fleiß, Ausdauer, Verstand
Das Sprichwort erweist sich darin wohltätig, dass es den Witz nährt, den Verstand übt, das Urteil wetzt, das Gemüt erhellt, die Phantasie beschäftigt und den Scharfsinn ergötzt.
Dr. Körte

„Die rätselhafte, Einkleidung der Sprichwörter, ihre bildliche Darstellungsart, die scheinbaren Widersprüche, in welchen sie mit sich selbst oder andern stehen, geben bei ihrer Auflösung dem Verstande eine so reichhaltige Beschäftigung und eine solche erfreuliche, fortlaufende, zweckmäßige Übung, dass ich nicht wüsste, was ihnen, zu Denkübungen und zur Schärfung des Verstandes benutzt, gleich zu stellen wäre.“
A. Jarnack

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Unter den allgemeinen Bildungsmitteln für den Geist der Jugend nehmen unstreitig Sprichwörter einen der ersten Plätze ein. Auch hat noch Niemand, der nur einigermaßen mit ihnen bekannt geworden ist, den Bildungsstoff, der in ihnen liegt, übersehen. Teilen sie auch nicht Massen-Zusammenhang oder Kenntnisse mit — wie wohl auch diese nicht zu übersehen sind — so schärfen sie doch den Geist in allen Richtungen und sind daher von Erziehern und Schulmännern aller Zeiten in ihrer pädagogischen Bedeutsamkeit anerkannt worden.

„Wahrlich“, sagt daher Jarnack in seinen deutschen Sprichwörtern, „wessen Verstand auf diese Weise (Verstandesübungen an Sprichwörtern) in Tätigkeit gesetzt und geübt wird, der muss gestärkt in die sichtbare Welt treten. Er ist nicht nur scharf gemacht im Allgemeinen, sondern durch den Stoff, der ihn schärfte, angewiesen, wo er eindringen soll — in sich selbst und in die bunten Verhältnisse des Lebens. Sein Blick wird sich auftun und ergründen, was tausend Anderen verschlossen bleibt; er hat die Art und den Schlüssel in Händen, sich die geheimnisvollen Pforten des menschlichen Herzens und Lebens zu eröffnen. Indem er die sinnreichen Sprichwörter verstehen lernt, lernt er sich selbst und die Welt verstehen; es wächst zugleich seine Kraft und seine Einsicht.“

Und Herr Dr. Diesterweg ruft in den Rh. Bl. (Neue Folge 9. Bd. S. 194) den Lehrern zu: „Gebet dem Verstande der Kinder diese Nüsse*) aufzuknacken, lehret sie, unter und in der Schale den Kern zu finden und zu kosten, und ihn von der Schale zu unterscheiden, und ihr habt etwas Besseres getan, als wenn ihr ihnen die Moral und die Saalbadereien der Betbrüder einimpfet!“

*) Bei Beurteilung der kleinen Sprichwörtersammlung, die ich unter dem Titel: „Weihnachtsnüsse“ herausgegeben habe.

Doch wo würde ich in einem kurzen Vorwort Raum finden, alle Aussprüche über den pädagogischen Wert der Sprichwörter anzuführen. Wenn er aber so vielseitig erkannt wird, so darf es mit Recht befremden, dass er in Schule und Haus nicht zinsbarer gemacht wird.

Die Sprichwörter sollen von Eltern und Lehrern weit mehr berücksichtigt werden, als geschieht. Man kann seine Kraft allerdings in jedem Gegenstande üben; aber der Erfolg zeigt den Unterschied, ob man ein Messer auf einem ordentlichen und passenden Schleifsteine geschliffen, oder bloß an einer Ofenkachel gewetzt hat.

Der Gelegenheiten und Wege, die in den Sprichwörtern gebunden liegende Bildungskraft frei und für Erziehung und Unterricht fruchtbar zu machen, sind mancherlei. Ich habe mich näher darüber erklärt in dem 1. Bde. meines „Sprichwörterschatzes“, Abt. 1. S. 63 — 110. Nur Wenige sind aber, welche für ein Fach arbeiten mögen, was so wenig äußeren Lohn bietet, und wobei Verfasser und Verleger gleich große Proben von Uneigennützigkeit zu bringen haben. Wenn nun auch die Teilnahme des Publikums nur gering ist, so ist sie doch unverkennbar im Wachsen, denn es regt sich, was seit beinah einem halben Säkulum nicht geschehen ist, von allen Seiten in der Sprichwörterliteratur. — Umso erfreulicher aber ist jeder Beitrag, das zu wenig bebaute Feld fruchtbar zu machen. Als solcher ist auch der neulich bei Schmachtenberg in Duisburg erschienene „Unterricht in Sprichwörtern“ zu betrachten. Die ungenannten Verfasser, Lehrer, wie aus dem Vorwort erhellt, haben eine Sammlung von Erzählungen und Fabeln jede derselben mit einem passenden Sprichwort versehen, das auf diese Weise seine Erklärung findet. So finden 120 Sprichwörter ihre praktische Anwendung und Auslegung. Es war mir sehr erfreulich, durch diese Schrift einen Wunsch verwirklicht zu senden, den ich in meinem „Sprichwörterschatz“ S. 107 ausgesprochen habe. Ich reiche den unbekannten Herrn Verfassern als Mitbebauern des Sprichwörterfeldes freundlich die Hand, indem ich ihrer Schrift meinen „Sprichwörtergarten“ zugeselle. Herrscht in jener Unterhaltung vor, so ist es in meiner die Belehrung.

Wenn ich die Sprichwörter für eins der vorzüglichsten Mittel zu wahren Verstandesübungen in der Schule ansehe und ihr die Aufgabe stelle, die Kinder reich mit Sprichwörtern auszustatten; so verlange ich keineswegs, dass in den Schulen bestimmte Stunden zur Sprichwörtererklärung auf dem Lehrplane angesetzt werden sollen; ich halte nur für heilsam, das in ihnen liegende Bildungselement zu benutzen. Die Sprichwörter haben als Geistesweckungs- und Bildungsmittel wahre Wunderkräfte. Die Erfahrung hat mir dies mehr als einmal bestätigt. Ich habe bisweilen Kinder durch Sprichwörter aus ihrem geistigen Schlafe geweckt, bei denen ich früher jeden andern Hebel erfolglos angewandt hatte. Wie der Auferstehungsengel über Totengefilde belebend schreitet, so machen sie alles lebendig. Wo nur eine Spur von Leben ist, sie rufen es ins Bewusstsein.

Empfiehlt man das Turnen als eine treffliche Körperübung und -Stärkung; so empfehle ich die Sprichwörter als Seil und Reck für eine Turnstunde des Geistes.

Sagt man, dass Gebirgsreisen gesund und körperstärkend sind; so sind es die Reisen durch das Gebiet des Sprichworts für den Geist. Wie jene mit schönen Aussichten erfreuen, so segnen diese durch reiche Einsichten.

Was Kaltwasserbäder für den Leib, das sind die, Sprichwörter, bei rechter Behandlung, in den Schulen für den Geist.

Übrigens bieten sie noch den Vorteil sie homöopathische und allöopathische Anwendung zulassen; nur die hydropathische d. h. die wässrige verbitten sie sich.

Diese Ansichten vom Sprichwort und seiner bildenden Kraft beim Jugendunterrichte haben mich schon bei zehnjähriger Arbeit auf diesem Felde geleitet. Ich habe den Segen erkannt, täglich erkenn ich ihn mehr. Mit eignen Versuchen (Scheidemünze erste und zweite Gabe) trat ich zuerst hervor. Aus diesen Sammlungen, die für ein allgemeines Publikum bestimmt sind veranstaltete ich einen sorgfältigen Auszug solcher Sprichwörter, die sich vorzüglich für Kinder eignen und ihnen als ein sehr gesundes Geschenk in die Hände gegeben werden sollten. Dieser Auszug ist unter dem Titel: „Weihnachtsnüsse“ erschienen und enthält 500 nach 87 Hauptbegriffen geordnete Sprichwörter. Obgleich das Büchlein nur in einem geringen Kreise bekannt geworden ist, so sind doch bereits über 2.000 Exemplare in die Hände der Kinder gekommen.

Aus der Nähe und Ferne bin ich nun mehr als einmal ersucht worden, zu den „Weihnachtsnüssen“ eine kurze Erklärung zu liefern. Ich bin nicht unbedingt für Erklärungen. Die Sprichwörter sollen Schleifsteine für den Geist sein; man muss ihre Bildungskraft durch unnötiges Erklären in ihrer Wirksamkeit nicht stören und hemmen.

Wenn ich nun dennoch den Wünschen Derer, welche eine Erklärung oder Anwendung der in den „Weihnachtsnüssen“ enthaltenen Sprichwörter wünschen, nachgegeben habe, so versuchte ich zwischen einem Zuviel und Zuwenig die echte Mitte zu treffen. Ob es mir gelungen sein dürfte, weiß ich nicht. Ich wollte die Schrift „Nussknacker“ dem Titel „Weihnachtsnüsse“ entsprechend nennen und habe bereits im „Sprichwörterschatz“ unter diesem Titel auf sie hingewiesen; da aber Einige sich an den Titel „Nüsse“ gestoßen, so fürchtete ich, der Titel „Nussknacker“ möchte noch mehr Widersacher finden, dem „Sprichwörtergarten“ wird man hoffentlich nichts vorzuwerfen haben, zumal er sich mit Weihnachtsnüssen ebenfalls recht gut verträgt.

Der Sprichwörtergarten soll nicht nur eine dürre Erklärung der Sprichwörter sein; er hat Aufträge an Geist und Herz. Er will die Sprichwörter zur Grundlage einer sittlich-religiösen Bildung machen. Ich habe daher die als Überschriften benützten Hauptbegriffe (j. B. Absicht, Zweck, Arbeitsamkeit, Argwohn etc.) stets zuvor kurz erklärt und sie, wo es nötig war, mit ihren verwandten Begriffen zusammengestellt, und so von dieser Seite das Verständnis erleichtert. Damit die Erklärung genau und zuverlässig sei, hab’ ich sie meist mit den Worten solcher Männer zu geben gesucht, deren Namen die größte Klarheit und Genauigkeit verbürgen. Für diesen Zweck hab’ ich die Synonymik von Eberhard, Reinhards Moral, Weinetes Materialien und Herbigs Wörterbuch der Sittenlehre benützt. Bei den Begriffserklärungen hab’ ich eine gute erste Klasse einer gehobenen Volksschule vor mir gehabt. Darüber hinaus wollte ich nicht gehen.

Bei den Erklärungen der Sprichwörter hab’ ich nicht sowohl hauptsächlich den Verstand, als vielmehr das Herz vor mir gehabt. Ich wollte außer dem Verständnis derselben ihnen auch Anwendung aufs Leben verschaffen, sie fruchtbar machen. Daher hab’ ich die Erklärungen oft mit passenden Aussprüchen weiser Männer begleitet, und ihnen Denksprüche zur Zugabe gegeben. Beispiele aus der Geschichte werden dieselben anziehend machen.

Da ich die meisten Sprichwörter nur von einem Gesichtspunkte aufgefasst habe, so bleibt für den freiwaltenden Verstand der Kinder und den Spielraum bedürfenden Witz noch genug zu tun übrig.

Schriften, die ich bei der Bearbeitung benützt, hab’ ich nur folgende zu nennen: „Sprichwörter, schöne, weise Klugreden, Franks, b. Egenolf und die mit Unrecht so wenig bekannten „Baierschen Sprichwörter“ von H. Mayer, München bei Lentner, 1812.

Ich schmeichle mir damit, dass diese Schrift viel Freunde und Gebraucher finden und dass sie, sie werde nun als Lesebuch von Kindern oder als Handbuch von Lehrern benützt, recht viel Segen stiften werde. Viele Kenner der „Weihnachtsnüsse“ werden den „Sprichwörtergarten“, freundlich willkommen heißen.

Allen Eltern, die ihren Kindern eine Festfreude machen wollen, wird sich der „Sprichwörtergarten“ durch seinen bildenden Zweck, durch seine rein-sittliche Tendenz, so wie nicht weniger durch seine gefällige süßere Ausstattung empfehlen. Jeder Lehrer findet überdies darin über ein paar hundert solcher Begriffe erklärt, die er täglich bei seinem Unterrichte bedarf.

Wer der Sprichwörter Wert erkennt, wolle den "Sprichwörtergarten" freundlich aufnehmen und ihm Eingang ins Leben verschaffen.

Schließlich ersuche ich noch alle Sprichwörterfreunde, mich durch Sammlung von solchen Sprichwörtern aus dem Leben, die erst neuem Ursprungs sind, in keiner gedruckten Sammlung sich finden und deren es so viele gibt, bei meiner Bearbeitung eines vollständigen Sprichwörterlexikons zu unterstützen. Jeder Beitrag, woher er auch komme und wie gering er sei, wird durch Buchhändlergelegenheit und durch den Verleger dieser Schrift sicher an mich gelangen und von mir dankbar benützt werden.
Hirschberg, den 16. Okt. 1837.
H. F. W. Wander

Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1803-1879) deutscher Pädagoge und Germanist. Er legte die größte existierende Sammlung deutschsprachiger Sprichwörter an

Wander, Karl Friedrich Wilhelm (1803-1879) deutscher Pädagoge und Germanist. Er legte die größte existierende Sammlung deutschsprachiger Sprichwörter an