Der Schlossberg bei Boitzenburg.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Von N. N. in B., Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Boitzenburg
Bist Du, lieber Leser, einst gewandert auf der großen Straße von Berlin nach Hamburg, so wird Dir gewiss noch jenes freundliche Städtchen mit seinem schlanken Kirchturme, welcher Dir so freundlich winkte über seiner frischen grünen Umkränzung, erinnerlich sein.

      Dies Städtchen wird Boitzenburg genannt,
      An der Elbe gelbem Strand,
      So malerisch dahingegossen
      Und von der Boitze Silberquell umflossen;
      Aus blumigen Wiesenmatten,
      Unter duftender Linden Schatten,
      Mit seinen bewaldeten Höhen
      So lieblich und schön.

Du hast vielleicht geruht in seinen Mauern und Dich mit einer Tasse Kaffee und frischen sogenannten Herdkringeln, welche in dortiger Gegend weit und breit berühmt sind, erquickt und dann Deinen Stab genommen und gemächlich zum Hamburger Tore hinausgewandert. Was Dir zunächst alsdann ins Auge gefallen, das ist jene lange Hügelkette, der Elbberg genannt, welcher sich im Norden der Stadt, längs der Elbe bis ins Lauenburgische dahinzieht. Unter diesen Hügeln ragt besonders einer durch seine ansehnliche Hohe hervor und die Chaussee führt nahe an ihm vorbei. Dies ist der Schlossberg, von welchem die Sage aus uralter Zeit gar Wunderbares uns erzählt.

Jetzt ist der ganze Berg ein üppiger Lustgarten; allein vor einem Jahrhundert noch konnte man deutlich die Gräben einer ehemaligen Burg erkennen, und altes Gemäuer und Schutt fand sich noch genug im Inneren des Berges vor.

Vor uralter Zeit, noch ehe das Städtchen gegründet ward *), soll hier ein sehr mächtiger, aber böser Ritter gehaust haben. Kuno wollen wir ihn nennen und Clothilde seine Gemahlin. Dieser Ritter war sehr reich; von den Zinnen seiner Burg beherrschte er weithin die ganze Gegend, und groß war die Zahl seiner Mannen und des Trosses. Aus der Mitte der Burg ragte hoch oben ein Wartturm hervor, von wo er die ganze Gegend überschaute und den Lauf der Elbe mehrere Meilen weit verfolgen konnte. Wenn dann aus weiter Ferne das Segel eines Schiffes, wie ein weißer Punkt, hervorschimmerte, so sammelte unser Ritter seine Mannen, versperrte dem nichts Böses ahnenden Schiffer mit seinen bewaffneten Böten den Weg und ließ den Geängstigten nicht eher passieren, bis er ihm seinen Tribut entrichtet hatte.

Wo jetzt das friedliche Städtchen liegt, da waren nur einige elende Fischerhütten, und auch die armen Fischer mussten ihren Tribut entrichten, an Lachs, Wels, Stöhr, Neunaugen und andern Fischen, und wehe ihnen, wenn sie säumig gewesen wären; der böse Ritter hätte mit Feuer und Schwert ihre Stätten verwüstet.

*) Boitzenburg wurde wahrscheinlich schon vor dem Jahre 1270 vom Grafen Gunzelin III. von Schwerin gegründet. Am 31. März 1359 verkaufte der letzte Gras von Schwerin, Niklas V., sein ganzes Recht aus diese Grafschaft an Albrecht II., letzten Fürsten und ersten Herzog von Mecklenburg, und ging nach Westfalen aus seine Grafschaft Teklenburg, nach welcher sich seine Nachkommen fortan Grafen von Teklenburg nannten. Die ganze Grafschaft Schwerin, also auch die darin gelegene Stadt Boitzenburg, kam somit wieder in den Besitz des Hauses Mecklenburg und ist dies denn von dieser Zeit an auch geblieben. 1734 wurde Stadt und Amt Boitzenburg zwar an das damalige Kurfürstentum Hannover verpfändet, jedoch 1768 schon wieder eingelöst. Der Herausg.

Damals war noch alles Land nördlich von der Stadt, was jetzt blühende Saatfelder sind, ein undurchdringlicher Wald, und viele Meilen in der Runde jagte der Ritter mit seinen Mannen, den Falken auf der Faust, den Jagdspeer an der Seite, und ließ sein Hallali weithin durch Forst und Wald erschallen. Der schönste Eichen- und Buchenwald bedeckte auch die ganze Gegend, und es gab keinen schöneren Wildstand ringsumher, sowohl an Edelhirschen, wilden Schweinen, Füchsen und Bären, als auch an Schnepfen, Fasanen und andern wilden Geflügel. Unser Ritter liebte die Jagd leidenschaftlich, und war oft den ganzen Tag abwesend und zog weithin bis in die entferntesten Wildhütten, wo er dann, wenn ihn die Nacht überraschte, auf einem Lager von Moos der kurzen Ruhe genoss. So ging's denn fort, bis das Werk vollbracht und das edle Wild erlegt war und der Ritter und sein Tross im Triumph wieder heimwärts zog auf seine Burg. Dann ward bei Spiel, Gesang und Tanz ein frohes Jagdgelage gehalten, die Humpen gefüllt und mancher frohe Scherz getrieben.

Doch nicht immer war unser Ritter zu Spiel und Scherz aufgelegt; bisweilen eilte er auch finster und verschlossen heim, und dann sprühten seine Augen unheimliche Blitze und Alles wich alsdann scheu zurück. Selbst seine Gattin vermochte bisweilen nicht durch ihren Liebreiz ihn zu besänftigen, sondern hatte oft böse Tage mit ihm zu bestehen. Ein unheilbarer Kummer nagte tief an seinem Herzen, er war kinderlos.

Einst, vor vielen Jahren, hatte ihm seine Gattin einen Knaben geboren; allein das zarte Kind hatte nach wenigen Tagen die kleinen Äuglein wieder geschlossen, um nimmer wieder zu erwachen. Der Gedanke, dass sein Geschlecht mit ihm erlöschen und seine Burg und seine großen Reichtümer in fremde Hände geraten mochten, verbitterte ihm das Leben. Wie sanft und liebreich auch seine Gattin ihn alsdann zu trösten suchte und Hoffnung einzuflößen wagte, so stieß er sie dennoch mit Unmut von sich und drohte, sich ganz von ihr zu scheiden. Das arme Weib fühlte sich oft namenlos elend und verbrachte manche schlaflose Nacht unter heißen Tränen.

Einst kam aus weiter Ferne ein Mönch zu ihr, dem klagte sie ihr bitteres Leid und bat um seinen Rat und Beistand. Der fromme Vater hörte sie mit sichtbarer Teilnahme an, tröstete sie und gab ihr den Rat, mit ihrem Gemahl nach Rom zur heiligen Jungfrau zu pilgern und dort an den Stufen des St. Peter-Domes um Erhörung zu bitten.

Sichtbar getröstet und beruhigt durch des frommen Vaters wohlmeinende Worte, begibt sich das edle Weib zu einer Zeit, wo der Ritter in heiterer Stimmung und seine Stirn geglättet war, zu ihm ins Gemach und erzählte ihm von einem wunderbaren Traume, den sie gehabt. Ein frommer Mönch, ein Heiliger, sei ihr im Schlafe erschienen, habe sie getröstet und gesagt: sie solle pilgern nach Rom und dort zur heiligen Jungfrau beten, so werde sie Erhörung finden.

Und der Ritter wird tief gerührt von ihrem Flehen und zuerst nach Jahren drückt er sie wieder mit heißer Inbrunst an sein Herz, gelobt mit ihr nach Rom zu wandern, und falls sie dort Erhörung fände und ihm ein Sohn geboren würde, so wolle er eine goldene Wiege verfertigen lassen und das Knäblein sollte alsdann in Windeln von Purpur liegen, wie ein geborener Prinz.

Sie pilgern Beide, von ein Paar getreuen Knappen begleitet, nach Rom und ihr Gebet wird erhöret; denn die heilige Jungfrau hat ihnen Gewährung zugewinkt.

Nach Jahresfrist, als sie heimgekehrt, ward ihnen die frohgehegte Hoffnung zur Gewissheit, und ein blond gelockter Knabe krönte ihr Glück. Der Ritter hielt sein Gelübde, eine goldene Wiege nahm den Säugling auf und in purpurnen Windeln ward er gekleidet. Die Gattin genaß bald wieder; das Glück machte sie blühender und heiterer wie je, und auch der Knabe gedieh sichtlich unter ihrer zärtlichen Pflege. Allein der Ritter verfiel, nach kurzer Zeit des Glückes, wieder in seinen alten Unmut und Jähzorn, und nur der Anblick seines blühenden Söhnleins konnte auf kurze Zeit seinen Missmut verscheuchen.

Das Einzige, was ihm noch Vergnügen machte, war die Jagd, und dieser lag er denn auch mit wahrer Leidenschaft ob. Oft konnte er Tage lang nach einem Bären oder einem Edelhirsche umherstreifen, und wenn er dennoch ohne die ersehnte Beute heimkehrte, oder wenn er gefunden, dass ihm ein Anderer im Gehege gewesen war, so konnte er kaum seine Wut bemeistern.

So ereignete es sich denn, dass er einst viele Meilen weit einen Hirsch verfolgte, und wie er endlich seiner Beute gewiss zu sein glaubte, ein Fremder vor seinen Augen das Tier erlegte. Außer sich vor Zorn, stürzte unser Ritter in blinder Wut auf den Unbekannten, und ehe derselbe es sich versah, lag er, von Kunos Jagdspeer durchbohrt, blutend zu Boden.

Die Reue folgte der Tat; allein jetzt war es zu spät. — Wie Kuno besorgt sich näherte, da lag der Fremde bereits brechenden Auges in den Armen seines Knappen. Ritter Kuno hatte einen großen Frevel begangen; denn er hatte den Sohn seines größten Nebenbuhlers, des Ritters Hans, ermordet, und wehe rief der Knappe über ihn und sein Haus, wie er tränenden Auges mit der teuren Last seines geliebten Herrn dahinritt.

Wie der alte Hans die blutige Leiche seines teuren Sohnes erblickt und aus dem Munde des Knappen erfährt, von wem der Frevel verübt ist, da zerrauft er sich sein Haar und Gewand und schwört blutige Rache. Er eilt zu allen Rittern in der Runde und klagt sein großes Leid, und Alle schwören, mit ihm gemeinsame Sache zu machen und Rache zu nehmen an dem frechen Ritter Kuno. Doch um ihn gründlich zu verderben, führen sie Klage über ihn beim deutschen Kaiser, weil er ein Wegelagerer sei und Land- und Wasserstraßen unsicher mache und wehrlose Reisende beraube.

Und der Kaiser verhängte die Reichsacht über ihn und von nah und fern zogen die Ritter an die Elbe, um dieses Raubnest, wie sie Ritter Kunos Burg nannten, vom Grund aus zu zerstören.

Ritter Kuno sammelt in der Eile alle seine Knappen und lehnspflichtigen Mannen um sich und trifft seine Verteidigungsanstalten bis aufs Äußerste. Allein die übergroße Zahl seiner Gegner, teils von dem Gefühl der Rache beseelt, teils angelockt durch die zu machende große Beute, — denn der Ritter Kuno hatte große Reichtümer zusammengeraubt, — besiegte endlich nach langer Belagerung seinen Widerstand.

Wie der Ritter sich gänzlich verloren sah, raffte er alle seine Schätze zusammen und versenkte sie, nebst der goldenen Wiege, tief unten in den Grund des Schlossbrunnens, damit Keiner sich an seinen Schätzen bereichern könne, entschlossen mit seiner Burg zu stehen oder zu fallen.

Seine Gemahlin mit dem blondgelockten Knaben entfloh durch einen unterirdischen Gang in ferne Länder, zu einer einsamen Köhlerfamilie mitten im Walde. Ihr Geschlecht soll bis zum heutigen Tage noch fortleben.

Ritter Kuno hielt sein Wort; wie die Belagerer endlich, nach langem Kampfe, den Sturm auf die Burg wagten, da zündete er sein Schloss an und begrub sich unter den Trümmern.

Die Stürmenden fanden sich bitter getäuscht; denn statt der gehofften großen Beute, fanden sie nichts, als rauchende Trümmer, und den Ritter Kuno sah man nie wieder.

Die goldene Wiege und die großen Schätze des Ritters waren versunken tief unten im Schoße der Erde, und Keiner hat jemals die Spur davon wieder entdecken können.

Und die Trümmerstätte war seit Jahrhunderten bewachsen mit Dornen und wildem Gesträuch, und wenn auch um Mitternacht an diesem Schauerorte der Uhu schauerlich krächzet und das Glühwürmchen unter den dunklen Gesträuchen leuchtet, so hat doch Keiner den Zauberspruch erfunden, um den großen Schatz zu heben. Und vergraben bleibt Alles in ewiger Nacht und Dunkel was einst Glanz, Pracht und Reichtum gewährte.

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

020 Ausritt zur Jagd

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023 Burginneres

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024 Belagerung einer Burg

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046 Hirschjagd

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Edelfrau in der Hansezeit

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Jäger in der Hansezeit

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Mittelalterliche Burganlage

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Angriff auf eine Burg

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