Der Rechtsspruch zu Greifswald

In dem Jahre 1451 hat sich zum Greifswalde ein sehr seltsamer und erbärmlicher Fall begeben. Es lebte daselbst ein Knochenhauer, der etliche kleine Kinder hatte. Darunter waren zwei Knaben, der eine drei, der andere vier Jahre alt. Diese hatten oft gesehen, wie ihr Vater das Vieh schlachtete, und spielten daher wohl zusammen, dass der älteste zu dem jüngsten sagte: er solle sich hinsetzen, so wolle er den Ochsen schlachten; welches das Kind dann getan, und hat es der älteste mit der Faust umgestoßen. Also hatten sie ihr Spiel gehabt. Da hat sich's aber einmal zugetragen, dass Niemand zur Hand, und die Kinder allein gewesen; und wie sie so spielten, hat der älteste zu dem jüngeren gesagt: ei, das puffet nicht! Und ungefähr liegt nicht weit davon ein Beil. Das holt er sich und sagt: Brüderchen, das soll puffen! und schlägt das Kind mit dem Beil vor den Kopf, dass es von Stund' an tot bleibt. Den Eltern war das ein großes Herzeleid. Sie wurden aber noch bekümmerter, als der Rath das Kind wiederum hat wollen töten lassen, weil es Menschenblut vergossen. Sie baten und flehten bei dem Rat, und stellten vor, es sei ihnen Jammer genug, dass sie das eine Kind verloren hätten, sollten sie nun auch noch das andere verlieren, das könne ihr Herz nicht aushalten.

Darüber geriet denn der Rat in große Sorge, weil er doch auch der Gerechtigkeit wollte ihren Lauf lassen. Zuletzt aber beschloss er zu versuchen, ob denn das Kind wohl die Gefahr verstände, die es an dem Bruder geübt. Derohalben scherzten sie mit ihm, und sagten, es solle sich setzen, man wolle ihm den Ochsen schlachten, wie es seinem Brüderchen getan. Da verstand das Kind kein Böses, und setzte sich hin; darum ließen sie es am Leben.




Kantzow, Pomerania, II. S. 74. 75