Der Kalfater oder Klabatermann

Aus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen
Autor: Gesammelt von Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1840
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Pommern, Aberglauben, Kalfater oder Klabatermann.
In Pommern erzählt man sich Folgendes: Sobald ein neues Schiff fertig und von seiner Mannschaft in Besitz genommen ist, zieht in dasselbe auch ein kleiner Geist ein. Die Schiffer nennen ihn den Kalfater oder Klabatermann. Er ist ein guter Geist, sowohl für das Schiff als für die Mannschaft. Gesehen haben ihn nur Wenige, denn es ist ein Unglück für den, der ihn sieht. Die ihn gesehen haben, sagen, er sei kaum zwei Fuß groß; er soll eine rote Jacke, weite Schifferhosen und einen runden Hut tragen. Andere aber sagen, dass er ganz nackt sei. Je weniger man ihn sieht, desto öfter kann man ihn im Schiffe hören. Denn für dieses sorgt und müht er sich ohne Unterlass. Er hilft im Raum die Ballen nachstauchen, er kalfatert das Schiff da, wo kein Mensch zukommen kann, woher er auch de n Namen hat. Wenn der Schiffer in der Kajüte eingeschlafen ist, das Schiff aber von Gefahr bedrohet wird, dann fühlt er sich plötzlich vom kleinen Klabatermann angestoßen, dass er erwacht und auffahrt, und nun geschwinde anordnet, was zur Abwendung der Gefahr nötig ist. Die Schiffsleute wissen recht gut, dass dies alles der kleine Kalfater tut. Sie sagen auch nicht anders als: Hörst du wohl, da ist er wieder! wenn sie ihn unten im Raume oder draußen an den Planken handtieren hören.

Die Matrosen suchen sich gut mit ihm zu halten; denn den flinken Matrosen hilft er, wo sie irgend eine Arbeit haben, dass sie frisch und gut von der Hand geht. Er sorgt dafür, dass die Taue beim Einrahmen der Segel auch beim schärfsten Winde nicht schlenkern; er erleichtert ihnen die halbe Arbeit beim Aufhissen der Anker. Und wenn ein flinker Bursch von einem Schiffe auf ein anderes abgeht, dann gibt ihm der Klabatermann ein Zeichen mit, woran ihn der Klabatermann des anderen Schiffes kennt, damit der ihm eben so gut und helfend sei. Die faulen und trotzigen Matrosen dagegen zwickt und quält er, und tut ihnen allerlei Tort an, bis sie zuletzt flink und fleißig werden. Und wenn Alles nicht hilft, so zeigt er sich ihnen zuletzt und schneidet ihnen Gesichter zu. Dann ist es aber auch aus mit ihnen; denn werden Klabatermann mit leiblichen Augen sieht, dessen letztes Stündlein hat geschlagen. Die Matrosen tun ihm daher Alles zu Gefallen, und setzen ihm oft des Nachts von ihrem Lieblingsessen hin. Von wem er so etwas annimmt und gegessen hat, dem ist er gar absonderlich gut.

Besonders laut und rührig ist der Kalfater, wenn Sturm kommt oder das Schiff sonst in große Gefahr gerät. Man hört ihn dann an allen Ecken und Kanten; er sorgt für Alles und hilft bei Allem.

Dieser Geist, wenn er einmal in ein Schiff eingezogen ist, weicht von demselben nicht wieder, als bis es zu Grunde geht. Wenn er das aber merkt, und wenn er einsieht, dass trotz aller Mühe und Arbeit das Schiff nicht mehr zu retten ist, dann verlässt er es endlich. Auch hierbei zeigt er noch seine Freundschaft für das Schiffsvolk; denn, da man ihn nicht sehen kann, so steigt er so hoch er kann, und stürzt sich dann von oben her mit großem Geräusche vom Schiff in das Wasser, damit man ihn hören könne. Einige sagen, er steige bei solcher Gelegenheit auf die äußerste Spitze des Boogsprits, und springe von dort her in die See. Wer ihn aber dort sehe, mit dem sei es für immer aus.

Wenn nun der Klabatermann das Schiff verlassen hat, dann weiß das Schiffsvolk, dass es mit demselben ein Ende hat. Es legt jetzt Keiner mehr Hand an, denn Rettung des Schiffes ist nicht mehr möglich. Jeder sucht nur sich selbst zu retten, so geschwinde er kann; denn man weiß auch, dass der Klabatermann bis zum letzten Augenblicke bei dem Schiffe und bei der Mannschaft aushält.

Manche behaupten, dass nicht jedes Schiff einen solchen Kalfater habe; sondern dass ein solches Glück nur wenigen Schiffen zu Teil werde. Denn die Klabatermännchen sollen die Seelen von Kindern sein, die tot geboren, oder sonst vor der Taufe gestorben sind. Wenn solche Kinder nun in einer Haide unter einem Baume begraben werden, und von einem solchen Baume irgend etwas zu dem Baue des Schiffes verwendet ist, dann geht mit dem Holze die Seele des Kindes als Klabatermännchen in das Schiff hinein. Die dies behaupten, sagen auch, dass ein solches Schiff, das einen Kalfater besitzt, niemalen zu Grunde gehen könne.

Einige sagen, dass man den Klabatermann auch ohne Gefahr zu sehen bekommen könne. Das muss man auf folgende Weise anfangen: Man muss nämlich des Nachts zwischen zwölf und ein Uhr allein zum Spillloch gehen, und sich selbst durch dieBeine durch und so durch das Spillloch sehen; dann kann man den kleinen Geist erblicken, wie er an der Vorderseite des Spilllochs steht. Wenn man ihn dann aber nackt sieht, so muss man sich hüten, dass man nicht, etwa aus Mitleid, ihm Kleider zuwirft, womit er sich kleiden solle; denn das kann er nicht vertragen, er wird über solch Mitleid leicht böse, und meint, man wolle sich dadurch mit ihm abfinden.
Mündlich.

Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller

Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller