Der Juchhans bei Bresegard unweit Hagenow.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 2
Autor: Von J. J. F. Giese zu Strohkirchen, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Bresegard, Hagenow, Grenzverlauf
Vor etwa zwanzig Jahren vernahm der Reisende, wenn er in einer stillen Herbstnacht den Weg von Ludwigslust nach Boitzenburg machte und bis in die Gegend südlich von Bresegard gekommen war, ein durchdringendes, ziemlich anhaltendes, im höchsten Tenore gerufenes „Juch!" Sagte er solches, der Meinung, dass es der Hilferuf eines Verunglückten sei, in dem Dorfe Groß-Krams an, so erfuhr er, dass das der Schrei eines Gespenstes sei, welches schon seit Mitte vorigen Jahrhunderts fast immer, besonders in den stillen Herbstnächten, auf der südlichen Feldmark Bresegards sein „Juch" und andere unverständliche Worte erschallen lasse, und sowohl alle Umwohner, als Fremde in Furcht und Schrecken setze.

Hunderte von Geschichten wusste man gewöhnlich von diesem Gespenste zu erzählen. Nach der Aussage eines alten Brettsägers, Namens Roß, der es einmal in einer hellen Vollmondnacht in dem Schmachting, einem Haufen Tannen am Wege von Groß-Krams nach Bresegard, gesehen hatte, da es ihm in einer Entfernung von etwa zehn Fuß vorbeigeschritten war, sollte es in der Gestalt eines alten, gebückten Mannes, in gestreifter Kniehose, gestreifter Jacke und weißer Schlafmütze, festen Schrittes durch die Felder eilen und nicht „Juch”, wie man gewöhnlich vernehme, sondern „Huut! hier geht dei Scheir!"*) geschrien haben, und solches so gellend, dass ihm sein Kopf zu platzen gedroht habe. Andere bestätigten dann gewöhnlich diese Aussage, da auch sie ihn in ähnlicher Kleidung gesehen haben wollten.

*) „Hört! hier geht die Scheide!" — Grenze. —

Alle aber pflegten solchen Reisenden dann zu beglückwünschen, denn selten soll Einer ungeschoren davon gekommen sein, fast immer hat er sie irre, oft sogar in Sümpfe und Teiche geführt. Besonders soll er diese Tücke gezeigt haben, wenn Reisende oder Andere es versucht hatten, seine Stimme nachzuahmen.

Als einmal beim Flachsbrechen ein sich durch Mutwillen auszeichnender junger Mann, trotz des Abratens aller Übrigen, es versuchte, denselben Ton hervor zu bringen, den er aus weiter Ferne vom Juchhans gehört, hat Letzterer, nachdem er schon durch sein immer deutlicher und stärker werdendes „Huut" sein Kommen angezeigt hatte, die ganze Gesellschaft aus einander gejagt, den mutwilligen Knecht aber beim Überspringen eines Zauns ergriffen, ihn etliche Male gegen denselben geschleudert und darauf laufen lassen.

Einem mit einem Mehlsack auf der Karre von der Mühle kommenden Tagelöhner, der dem Juchhans auch nachgeschrien, hat er sich auf die Karre gesetzt. Da ihn dieser aber, als er ihn seiner Schwere halber nicht weiter karren konnte, herunter geworfen, ist er stets hin und her über die Karre gesprungen, und hat dieselbe beim Überspringen mit umgerissen, bis ihm endlich ein Kreuzweg dieses kurzweilige Spiel weiter zu treiben verboten hat.

Eine Gesellschaft Kruggäste, der es einmal eingefallen war, ihn mutwilliger Weise durch ihr Nachjuchheien heran zu rufen, hat er dafür die ganze Nacht nicht aus dem Kruge gelassen, indem er stets vor Tür und Fenster auf und nieder ging und sein „Huut!" ins Haus hinein kreischte.

Leuten, welche aus den benachbarten Dörfern gekommen sind, ist er oft auf die Schulter gestiegen und hat sich bis zum nächsten Kreuzweg tragen lassen.

Diese und viele andere Geschichten erfuhr der Reisende alsdann, ohne dass er besonders darnach fragte. War er aber ein Freund solcher Erzählungen und fragte nach Grund und Ursprung dieser Erscheinung, so wusste man ihm auch solches mit großer Umständlichkeit zu erzählen.

Vor etwa hundert Jahren und noch wohl früher, so erzählte man dann, lagen die korntragenden Felder, welche man jetzt zwischen Strohkirchen und Bresegard gewahrt, noch in Brink und Heide und waren weiter nicht zu gebrauchen, als zu Vieh- und Schafweiden, welchem Zwecke sie denn auch Hunderte von Jahren dienen mussten.

Etwa die Hälfte dieser Fläche gehörte nach Krams und das Übrige nach Bresegard.

War auch anfangs wohl die Grenze beider Feldmarken bezeichnet, so wurde dieselbe doch endlich verwischt, indem die Hirten beider Orte sich nicht um sie kümmerten, sondern ihre Herden weideten, wo die meiste Nahrung zu finden war.

So konnte es denn kommen, dass Niemand die eigentliche Scheide zwischen beiden Feldmarken mehr kannte, ja dass die ganze Fläche als Kommune angesehen wurde, die beiden Dörfern gemeinschaftlich gehörte und darum auch gemeinschaftlich benutzt werden durfte.

Jedoch die Zeiten änderten sich. Krams wurde größer. Es ließ sich dort ein Arbeitsmann nach dem andern nieder, und jeder derselben beanspruchte eine Ackerkavel. Da man zu diesem Zwecke keine Ackerfläche reserviert hatte, so war man gezwungen, seine Zuflucht zu der schon gedachten Kommunweide zu nehmen.

Zu diesem Zweck war es wünschenswert, dass eine Ausgleichung mit Bresegard stattfand, und die schon lange gemeinschaftlich benutzte Weide wieder getrennt und jeder Dorfschaft das Ihrige zugewiesen wurde.

Bresegard erklärte sich einverstanden. Als jedoch angetragen wurde, zu gleichen Teilen in die Weide zu gehen, da man die eigentliche Grenze nimmer würde ermitteln können, weil keine Feldmarkskarten vorhanden wären, widersetzte sich Bresegard solcher Teilung auf das Ernstlichste, denn es hatte bisher stets die größten Viehherden auf die Weide getrieben.

Allein Krams ließ nicht nach und so mussten sich die Bresegarder schon fügen.

Als aber auch von den Gerichten die Scheide mitten durch die Weide gezogen werden sollte, widersetzten sie sich aufs Neue und behaupteten, dass die eigentliche Grenze viel weiter nach Krams hinan gelegen habe. Es traten sogar Leute aus Bresegard auf, welche vorgaben, die alte Grenze genau zu kennen, da sie ihnen von ihren Vätern oft gezeigt worden war, mit dem Bemerken: „Hier hat Bresegards Feld ein Ende!"

Die Gerichte mussten Notiz von solchen Aussagen nehmen, obwohl sie einsehen konnten, dass solches eine offenbare Unwahrheit sei, denn die von diesen Leuten bezeichnete Grenze lag keinen Steinwurf von dem Dorfe Groß-Krams.

Krams konnte gegen solche Aussagen nichts machen, es konnte nicht mit Gegenbeweisen kommen, weil die ältesten Leute des Dorfs die Grenze nicht kannten, auch deren Väter und Großvater sie nicht mehr gekannt hatten.

Jahre waren schon mit diesen Streitigkeiten vergangen und noch immer war das eigentliche Urteil nicht gesprochen. Da erbot sich ein Hauswirt aus Bresegard, zu schwören, dass seine und vieler Bresegarder Aussagen durchaus auch die Aussagen ihrer Väter wären, wie sie solche wohl hundertmal gehört hätten. Und er schwur es.

Solcher Schritt machte denn allen Streitigkeiten ein Ende, aber er brachte auch Krams um ein Vierteil seiner Feldmark und um das Ganze seiner Viehweiden, und zwang es, alle in den Jahren der Prozesse entstandenen Kosten zu bezahlen.

Der Hauswirt aber, der diesen Schwur geleistet hatte, fand keine ruhige Stätte mehr auf Erden; unstät und menschenscheu durcheilte er oft tagelang die mit dem Heil seiner Seele erkaufte Weide; selbst Nächte verbrachte er hier in stillem Brüten. Jedoch solche Gewissensstrafe war für ihn nicht groß genug, ein höherer Richter verdammte ihn zum „Scheirperr'n" *) nach seinem Tode.

*) Scheidetreten — Grenzetreten. —

Seit jenem Herbstmorgen, wo man denselben tot in der Weide fand, wandert seine Gestalt allnächtlich, besonders um die Zeit seines Schwurs, welches auch seine Todeszeit ist, über die richtige Grenze und schreit sein: „Hunt! hier geht die Scheir!"*)

Vor etwa zwanzig Jahren soll es einem Geisterbanner aus Eldena gelungen sein, die Erscheinung zu verbannen, jedoch nur so lange dieser lebte; jetzt da derselbe gestorben ist, soll sie aufs Neue ihr

„Huut" vernehmen lassen.

*) „Hört! Hier geht die Scheide!“