Der Hexenkeller und die letzte Hexenverbrennung in Penzlin

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 2
Autor: Von A. C. F. Krohn zu Penzlin, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Penzlin, Hexenkeller, Hexenprozesse, Aberglauben, Hexenverbrennung, Feuertod, Folter
Zu den wenigen weltlichen Gebäuden, welche sich aus dem Mittelalter in unsere Zeit gerettet haben, gehört auch die sogenannte alte Burg zu Penzlin. Die Zeit ihrer Erbauung fällt in die erste Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts.

Es war nämlich im Jahr 1414, als Schloss, Stadt und Land Penzlin von den Herzögen von Mecklenburg an Lüdecke Maltzan auf Wolde verpfändet wurden, der nun auf dem fürstlichen Burgwalle eine Burg erbaute, von der noch einige Reste vorhanden sind und die man, im Gegensatze zu dem derzeitigen reichsfreiherrlich von Maltzan'schen Wohnhause zu Penzlin, die alte Burg nennt. Was von dem ursprünglichen Gebäude übrig ist, ist freilich sehr wenig, nämlich nur ein Torgebäude.

Hatten die Penzliner Burgherren anfänglich auch ihren Sitz auf der Burg, so zogen sie doch mit der Zeit das Wohnen auf ihren umliegenden, reichen Gütern vor und gaben sich darum wenig Mühe, das alte Gebäude zu erhalten; ja zu Anfang dieses Jahrhunderts ließ sogar der damalige Inhaber der Burg den südlichen Flügel derselben ganz abtragen, und die Steine beim Bau seines neuen Wohnhauses, der neuen Burg, verwenden. So blieb denn nur das Torgebäude übrig, das man zu mehreren kleinen Wohnungen einrichtete.

Schon von außen kann man dieser Ruine ihr bedeutendes Alter anmerken, — die Sage schreibt ihr tausendjähriges Bestehen zu, was aber nach den obigen Angaben zu berichtigen ist; bemüht man sich aber in das Innere, namentlich in den unter der Erde gelegenen Teil derselben, so wird man noch mehr an längst vergangene Zeiten erinnert. Dort befindet sich nämlich noch eins jener schrecklichen Gefängnisse, ein sogenanntes Burgverlies, die der liebe Leser vielleicht nur dem Namen nach kennt. Diese bilden hier gleichsam ein zweites Stockwerk, abwärts unter dem ersten Keller. Sie sind im Ganzen noch recht gut erhalten, was wohl daher kommt, dass weder Licht noch frische Luft in diese Räume gelangen kann; und man sieht hier noch die Nischen, sechs an der Zahl, mit den Überresten von Hals-, Arm- und Beineisen, in welchen die armen Gefangenen in sitzender Stellung so angeschlossen wurden, dass sie weder Hand noch Fuß zu rühren vermochten. Solcher Gemächer oder Keller sind dort zwei. Nur aus dem kleineren führt ein langer, sehr enger Kanal ins Freie; indes sonst beide Verließe noch mit Tür und Riegel verrammelt werden konnten.

In Penzlin und Umgegend und vielleicht auch noch weiterhin sind diese Verließe unter dem Namen Hexenkeller allbekannt, und, der Sage' nach, diente eine neben der zum Hexenkeller führenden Treppe befindliche, backofenförmige Höhlung zum „Schmöken"*) der zum Tode verurteilten Hexen.

Mit diesem Hexenkeller hängt nun folgende Begebenheit zusammen, die sich zu der Zeit zutrug, als man noch mit Feuer gegen die der Hexerei Beschuldigten wütete, und wo rote Haare und rote Augen, irgend eine unbesonnene Äußerung oder Tat, oder auch nur böswillige Anklage hinreichten, um Jemand der Zauberei zu beschuldigen.

In jenen Zeiten war es eben, als der Hirte, welcher auch die Kühe des Burginsassen hütete, in den Verdacht der Zauberei fiel. Es ereignete sich nämlich, dass eine der ihm anvertrauten Kühe beim Melken Blut statt Milch gab. Sogleich hieß es: „die Kuh ist behext”, und es galt nun nur den Schuldigen ausfindig zu machen. Da traf es sich unglücklicherweise, dass, als der Kuhhirte am nächsten Morgen, wie er stets aus Pflichtgefühl zu tun pflegte, sehr frühe aufstand, um nach seinen Kühen zu gehen, ihn eine Frau sah, die vielleicht absichtlich auf der Lauer gestanden hatte. Nun war's richtig, der Kuhhirte und Niemand anders hatte die Kuh behext. Die Frau hatte denn auch nichts Eiligeres zu tun, als ihre Entdeckung ihrer Nachbarin, welcher die Kuh gehörte, mitzuteilen, und diese säumte wiederum nicht, den Hirten ob seines vermeintlichen Frevels anzuklagen.

Dazumal aber stellten an vielen Orten die Gerichte förmliche Treibjagden auf Hexen an, und so kann es uns nicht wundern, dass man den Verklagten sogleich einzog. Zwar beteuerte er mit den heiligsten Versicherungen seine Unschuld und erzählte den wahren Sachverhalt, aber was half ihm das? Er wurde ohne Gnade in jenes Burgverlies geworfen und, damit er ja recht unschädlich wäre, in eine der Nischen so eng wie möglich angeschlossen. Vergebens waren seine Klagen, die ihm die dumpfen Mauern gleich als aus Hohn wieder zurückgaben, sie drangen nicht bis zur Oberwelt; und hätten sie es auch vermocht, was hätte ihm das genutzt. Denn die, die ihm allein helfen und ihm Rettung und Befreiung verschaffen konnten, seine Richter, waren ja von vorneherein gegen ihn eingenommen; und bei ihnen war sein Tod so gut wie beschlossen.

*) Schmoren, braten.

Nur einmal führte man den Unglücklichen noch ans Tageslicht, als er nämlich verhört werden sollte. Doch was war das für ein Verhör! ähnlich dem in der Leidensnacht vor Caiphas. Er sollte ein Verbrechen bekennen, das er niemals begangen und etwas eingestehen, was er nicht konnte, ohne zu lügen. Seine Richter dachten nicht im Entferntesten daran, dass er auch unschuldig sein konnte; sie hielten vielmehr seine beharrliche Beteuerung der Unschuld für hartnäckiges Leugnen, und als die im Wautzen") mit ihm angestellte Wasserprobe**) ungünstig für ihn ausfiel, verurteilten sie ihn ohne Weiteres zum Feuertode.

*) Ein in der Nähe des Burggartens befindlicher Teich.
**) Wasserprobe war eins der bewährtesten Gottesurteile bei den alten Deutschen. Es gab zwei Arten solcher Wasserproben: 1) die des kalten Wassers, wo man die verdächtige Person, mit gebundenen Händen und einem Strick um den Leib, auf das Wasser setzte, und, sobald sie auf der Oberfläche schwamm, für unschuldig hielt. Hieraus entstand das sogenannte Hexenbad. 2) Die Probe des heißen Wassers, wo der Angeschuldigte die Hand in einen Kessel voll siedenden Wassers bis an den Ellbogen stecken musste, welche dann von Priestern verbunden, versiegelt und nach drei Tagen wieder besehen wurde. Zeigte sich keine Verletzung, so wurde der Angeklagte für unschuldig erklärt. Die Probe des heißen Wassers wendete man besonders bei Dieben und Falschmünzern an.


Wohl jammerte der Arme, als er das schreckliche Wort vernahm, und flehte, doch seiner armen Frau und seiner hilflosen, unversorgten Kinder zu gedenken. Er bat und beschwor seine Richter bei Allem, was ihnen heilig und teuer sei, ihn doch nicht schuldlos zu verdammen. Vergebens — es blieb bei dem grausamen Spruche: „durch Feuer vom Leben zum Tode!"

Nur eine kurze Frist vergönnte man dem Unglücklichen, um sich auf seinen letzten Gang vorzubereiten.

Auch sein Weib und seine Kinder durfte er noch einmal vor seinem Tode sehen. Er versuchte, so viel er vermochte, sie über sein schreckliches Ende zu trösten und wies sie an Den, Der auch der Witwen und Waisen Vater ist; und als sie nun endlich unter Jammern und Klagen von ihm Abschied genommen hatten, da erbat er sich im stillen, brünstigen Gebete Stärkung von Dem, Der einst selbst den bittersten Kelch geschmeckt. Bat Ihn im Angesichte des Todes mit reuigem, bußfertigem Herzen um Vergebung aller seiner Sündenschuld und empfahl seine arme Seele und die lieben Seinigen Seiner göttlichen Gnade. Seinen ungerechten Richtern vergab er von Herzen; nur bat er den Herrn, Er möge, und sollte es auch erst nach seinem Tode sein, der Welt seine Unschuld durch ein sicheres Zeichen bezeugen, damit man ferner Niemand mehr, wie ihn, ohne Ursache zum Tode bringe.

Bis gegen die Mitte des 15. Jahrhunderts erhielten sich diese Arten Gottesurteile, auch Ordalien genannt, und wurden vielfach von unsern Vorfahren angewendet; dann aber kamen sie nach und nach ganz außer Gebrauch. Der Herausg.

Gestärkt und ermutigt erhob er sich mit der freudigen Zuversicht, dass der Herr auch seine letzte Bitte erhören werde, und gefasst und getrosten Mutes trat er seinen letzten Gang an.

Zwar hörte er auch jetzt noch nicht auf, seine Unschuld zu beteuern, aber man hörte nicht darauf. Und als die Henkersknechte ihn ergriffen, um ihn in den glühenden Ofen zu werfen, da erklärte er seinen hartherzigen Richtern und allen Umstehenden feierlichst, wie er den Herrn um ein Zeugnis seiner Unschuld gebeten. Es würden aber gleich nach seinem Tode vor dem Burgtore drei Blumen aus der Erde wachsen, dergleichen weder vorher gewesen, noch nachher sein würden, die auch Niemand jemals gesehen hätte und kein Mensch kennen werde. Daran sollten sie erkennen, dass er unschuldig an dem Verbrechen gewesen, dessen sie ihn geziehen; denn er habe es ihnen vorher gesagt. Müsse er nun auch sterben, so beschwöre er sie doch bei dem lebendigen Gott, keinen Menschen wieder um solcher Ursache willen und ohne Schuld dem Flammentode zu überliefern.

Man sollte denken, dies hätte seine Richter doch stutzig machen müssen, und wirklich schien auch der eine oder der andere wankend zu werden, aber die meisten überstimmten sie, und der arme Mensch wurde dem grausigen Flammentode preisgegeben.

Als die schreckliche Handlung beendet war, da mochte sich wohl, wie das gewöhnlich zu geschehen pflegt, bei Diesem und Jenem das Gewissen regen, und Manche machten sich Vorwürfe: sie hätten vielleicht doch wohl mit dem armen Hirten zu voreilig gehandelt; indes Andere sich in ihrem Irrwahne überredeten, ein Gott wohlgefälliges Werk getan zu haben. Diese waren es denn auch, die sich von vorneherein von der Unwahrheit der letzten Worte des Hingerichteten überzeugt hielten. Aber sie sollten bald eines Bessern belehrt werden.

Denn siehe, am andern Morgen erblühten wirklich vor dem Burgtore drei, Allen völlig unbekannte, wunderschöne Blumen.

Wie ein Lauffeuer ging die Kunde hiervon durch die Stadt, und die Richter geriehen in nicht geringe Gefahr. Denn das Volk, so sehr es auch vorher gegen den Hirten eingenommen war, so fest glaubte es nun an die Unschuld des Verbrannten, und laut murrte es gegen die, welche einen Schuldlosen zum Tode gebracht hatten. Die Richter ihrerseits taten freilich alles Mögliche, um Jemand ausfindig zu machen, dem die Blumen schon bekannt wären. Sie ließen Gärtner von nah und fern kommen und verschickten die Blumen weit und breit an die berühmtesten Pflanzenkenner; aber da war Niemand, der sie kannte, oder sich erinnerte, sie irgendwo gesehen zu haben.

Jetzt war erst die Bestürzung groß. Leider ließ sich das, was einmal geschehen war, nicht mehr ändern. Man suchte freilich, so viel man vermochte, das Unrecht an den Nachgebliebenen zu vergüten, indem man sie mit Allem reichlich versorgte, und sie so äußerlich vor Mangel schützte; aber war ihnen damit der Gatte, der Vater wieder zurückgegeben?

Doch ließen sich die Herren des Gerichts dies ein warnendes Beispiel für die Zukunft sein. Einmütig beschloss man, künftig Niemand auf bloße Anklage und die eigene Überzeugung hin zu verdammen, sondern dies erst nach Beibringung vollgültiger Beweise zu tun.

Der Patron des Gerichts aber, nämlich der Burgherr, verordnete, dass das Gericht sich künftighin nicht mehr mit Hexenprozessen befassen und am allerwenigsten einen der Zauberei Angeklagten verbrennen lassen solle.

Also berichtet die Sage, und nach ihr hat das Verließ seit der Zeit aufgehört, als Hexenkeller zu dienen, obwohl es noch bis heute diesen Namen behalten hat.

Der Hirte soll der Letzte gewesen sein, der zu Penzlin der Hexerei wegen verbrannt ist.