Der Heilige Damm von Doberan

Aus: Europa - Chronik der gebildeten Welt für das Jahr 1875. Nr. 32
Autor: Redigiert von Dr. Hermann Kleinsteuber, Erscheinungsjahr: 1875

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Presse, Magazin, Zeitschrift, Doberan, Ostseebad, Heilige Damm, Geschiebe, Steine, Strand, Küste, Ostsee

Wem die Insel Capri bekannt, dem werden die Millionen kleiner eiförmig abgerundeter Geschiebe aus weißem Marmor aufgefallen sein, die man an der dortigen Küste findet. Wer bei Saßnitz und Stubbenkammer auf Rügen den Strand aufsucht, dem bieten sich unzählige eiförmige Feuersteine dar; wer die Insel Helgoland und Havre de Grace aufsucht, hat dasselbe Schauspiel. Nicht bloß Feuersteine in Unmasse, sondern auch eiförmiger Quarz und Granit ist charakteristisch für die Insel Gotland.

Wer von Warnemünde aus eine Exkursion nach dem malerisch gelegenen Doberan, diesem gefeierten Seebade, unternimmt, wird dann auch, will er sich in der Ostsee erfrischen, eine der großartigsten Anhäufungen von Geschieben in mehr oder minder plattgedrückter Eiform erblicken müssen, die den berühmten „Heiligen Damm“ von Doberan bildet.

Dieser dehnt sich als Düne eine Wegstunde lang hin und weist bei einer Höhe von 10-15 Fuß die respektable Breite von 100 Fuß auf.

Hier findet man alle Felsarten aus dem Wassergebiet der Ostsee vertrete: Granit, Syenit, Quarz, Achat, Jaspis, Feuerstein, Porphyr und andere Gesteinsarten.

Die Sage geht, dass das Meer diese Steine in einer Nacht, vielleicht durch ein Erdbeben aufgeregt, ausgeworfen habe, während dagegen die Naturforschung lehrt, dass vielleicht Jahrtausende dazu gehören, um diesen kolossalen Damm aufzutürmen.

Die erwähnten Geschiebe, welche sich an den Seeküsten finden oder in solchen Binnenländern, die, wie das sächsische Elbtal zwischen Königstein und Meißen, Jahrhunderte lang einen See einschlossen, enthalten meist abgerundete, und zwar vorzugsweise solche Geschiebe, die der Eiform sich nähern, sämtlich aber mehr oder weniger plattgedrückt sind aus dem Grunde, weil die stets kreisende Bewegung der geschlossenen See eine solche Einwirkung auf das Gestein hervorrufen musste.

In kulturhistorischer Beziehung ist dies ein hochwichtiges Material, welches die Vorsehung dem Menschen für seine Werkzeuge darreicht, und was demselben zugleich auch als Modell diente, wenn er sich eines anderen Stoffes für diesen Zweck meistern wollte.

Vergessen wir dabei nicht, dass diese Geschichte, und zwar die von der vollendetsten Form, meist die Größe besitzen, welche die für die menschlichen Werkzeuge passendste ist, und in der sie auch noch heutzutage für den Handgebrauch in Metall ausgeführt werden. –

Wandern wir jetzt vom Heiligen Damm und der dort gelegenen ältesten deutschen Seebadeanstalt, die im Jahre 1793 gegründet wurde und unlängst in die Hände einer Aktiengesellschaft überging, durch den schönen, grünen Wald zur alten Kirche des romantisch gelegenen Doberan.

Wir lassen die Lustschlösser, Logierhäuser und zierlichen Villen hinter uns, welche nur vornehme und reiche Gästebund auch diese nur in geringer Zahl bewohnen und bedauern, dass das pittoreske Bad wegen seiner Kostspieligkeit nur der „günstig situierten Minorität“, den „upper ten thousands“ zugänglich ist, während das nahe Warnemünde, obschon lange nicht so anmutig gelegen, wegen seines erfrischenden Bades, seiner mäßigen Preise, seines harmlosen, gemütlichen Tones Tausende von Patienten und „Luftschnapper“ anzieht, zu denen die neue Kaiserstadt kein unbedeutendes Kontingent zählt. Wir suchen in Doberan die Begräbnisse der alten Herzoge von „Mikilenburg“ auf, sowie vieler anderer interessanter Persönlichkeiten. Abgesehen von den höchst ergötzlichen Reliquien des uralten Gotteshauses, z. B. einem Stücke von der ägyptischen Finsternis, den Windeln der Madonna und anderen Quisquilien, die der ehrsame Küster uns mit halb ehrbarer, halb schalkhafter Miene anpreist und die unter glas vor annektierungslustigen Engländern vorsichtig geborgen sind, werden wir durch den unfreiwilligen Humor der zahlreichen meist mit plattdeutschen Inschriften versehenen Grabsteine nicht wenig für den langen Gang entschädigt. Zunächst tritt „Herzog Magnus“, gestorben 1503, vor uns auf und expektoriert sich folgendermaßen:

      „In dieser Welt hab’ ich meine Lüst’
      Allein mit Kalter-Schalen gebüßt.
      Hilff mir Herr in der Freuden Sahl
      Und gieb mir die ewige Kalteschal’“

Jedenfalls hat ein „kleiner Herr“ des 14. Jahrhunderts, der biderbe Hans von Bülow, einen viel energischeren Durst entfaltet und kneipt „mit Grazie in infinitum“ weiter nach §11 des bekannten Comments, der schon in jenen grauen Tagen begeisterte Verehrer zählte:

      „Wieck, Düfel, wieck, wieck wiet van my,
      Ick scheer my nig en Haar üm die.
      Ick bün ein Mecklenbörgsch Edelmann,
      Wat geit die, Düfel, min Supen an?
      Ick sup mit mienen Herrn Jesu Christ,
      Wenn du, Düfel, ewig dösten müßt,
      Und drinck mit em soet Kolleschahl,
      Wenn du sitzt in der Hellenqual,
      Drüm rahd ick, wieck, lop, rönn un gah,
      Efft (oder) bey dem Düfel ick to schlah.“ –

Ein alter Klosterkoch scheint die Mönche seines Convents auch gar zu kümmerlich mit Speise und Trank versehen zu haben. Wie die in ihren heiligsten Gefühlen tief Gekränkten sich „gerochen“ haben, lehren folgende ergötzliche vier Zeilen:

      „Hier rauet Peter Klar,
      He kaakte selden gar,
      Dartho ganz unflädig,
      Gott sy siener Seelen gnädig.“

Friedrich Franz, Großherzog von Mecklenburg-Schwerin

Friedrich Franz, Großherzog von Mecklenburg-Schwerin

Der Heilige Damm und die Ostsee.

Der Heilige Damm und die Ostsee.

Das Salon- und das Badehaus in Heiligendamm.

Das Salon- und das Badehaus in Heiligendamm.

Die Kirche - Das Doberaner Münster.

Die Kirche - Das Doberaner Münster.

Das Innere der Kirche zu Doberan.

Das Innere der Kirche zu Doberan.

Der Heilige Damm von Doberan

Der Heilige Damm von Doberan

Das Sommerhaus der Alexandriene.

Das Sommerhaus der Alexandriene.

Das Großherzogliche Palais in Doberan.

Das Großherzogliche Palais in Doberan.

Original-Cover 1939

Original-Cover 1939

Cover der Neuauflage

Cover der Neuauflage

Der Kamp in Doberan

Der Kamp in Doberan