Der Grapenwerder bei Penzlin und was man sich von demselben erzählt.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Von A. C. F. Krohn zu Penzlin, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sagen, Volkssagen, Penzlin, Grapenwerde, Schatzfund, Lapitz, Grapenwerder, Bauern, Juden, mecklenburger Natur, Quersack, Goldstücke, Kindelbier, Kindtaufe, Schatzgräber, Kellerberg, Münzen, Bodenfunde, Streitäxte, Tonscherben, Burg, Burgherr, Burgplatz, Trennelkoppel, Penzliner See, Radegast, Rhetra, Sachsen, Heinrich der Löwe, Wenden, Sachsenherrschaft, Christenblut, Dankopfer, Christenherrschaft, Wendentum, Christentum, Graf Grapen
Schon früher ist einmal der Grapenwerder bei Penzlin erwähnt worden. *) Wie das gewöhnlich mit den Plätzen geht, welche irgend ein Denkmal längst vergangener Zeiten herbergen, so macht auch der Grapenwerder mit seiner alten Burgstelle viel von sich reden. Es knüpft sich an denselben Manches, was sich schön die Väter in alter, alter Zeit erzählt haben; Manches dagegen auch, was man in neuerer Zeit erlebt haben will.

Auf dem Grapenwerder, so erzählt man sich, stand zu den Zeiten, als die Wenden noch in Mecklenburg hausten, eine gar mächtige Burg. Auf dieser residierte ein Reichsgraf, dem alles Land rund umher untertan war. Wernicke**), so hieß dieser Graf, hatte Rechte wie ein Fürst und kam einem solchen auch an Macht und Reichtum gleich. So hatte er auch das Recht, Münzen zu schlagen; und wenn er seine Burg verließ, so begleitete ihn stets ein ganzer Hofstaat von Edelleuten, Knappen und Dienern.

Wernicke aber war einem noch mächtigeren Fürsten, dem Könige von Rhetra***) untertan.

*) Siehe Anmerkung 2, Seite 49 zweiten Bandes.
**) Der Name dieses Grafen wird verschieden angegeben; Manche nennen ihn Graf Grapen, Andere Graf Werder und wieder Andere Wernicke.
***) Siehe Seite 3 zweiten Bandes die Sage: Die Kirchenglocken zu Prillwitz bei Neu-Strelitz.


Dort in Rhetra war auch der Hauptgott der Wenden, Radegast, von dem man sich erzählt, er sei von purem Golde und so groß gewesen wie ein 18 jähriger Jüngling, und habe auf einer tonnenförmigen Säule von massivem Golde gestanden.

Hierher nach Rhetra nun kam Wernicke, wenn ihn sein König dahin beschied, oder wenn irgend ein Fest des großen Wendengottes gefeiert werden sollte.

Wohl beging man zu Wernickes Zeiten diese Feste noch mit alter gewohnter Pracht und vielleicht auch mit mehr Pomp und Glanz als ehedem. Aber so fröhlicher, ungetrübter Stimmung war man nicht mehr, wie in früheren Zeiten; drohte doch vom deutschen Reiche her dem Wendentum große Gefahr, ja, wie Mancher wohl ahnte, völliger Untergang. Öfter schon hatten Boten des Evangeliums das Wendenland umher durchzogen; aber nur gezwungen und auf kurze Zeit beugte man den harten Nacken unter das sanfte Joch Christi, um es bei erster bester Gelegenheit unter Morden und Wüten wieder abzuschütteln.

Es war noch gar nicht lange her, dass man sich abermal im wilden Aufruhr von der verhassten Sachsenherrschaft freigemacht und dabei auch viel Christenblut vergossen hatte, als wieder einmal das Fest des großen Radegast gefeiert werden sollte. Auch Wernicke erschien zu Rhetra mit großem Trosse. In trunkener Siegesfreude brachte man dem Götzen blutige Dankopfer, und in Rausch und Taumel suchte man die Jahre der Christenherrschaft zu vergessen.

Da erscholl plötzlich die Schreckenskunde: „Die Sachsen und ihr mächtiger Herzog, Heinrich der Löwe, ziehen gerüstet mit großem Heere zur Rache heran!"

Das war wie ein Donnerschlag aus klarer Luft. Alles floh so schnell als möglich; denn man wusste wohl, was man zu erwarten hatte. Auch Wernicke jagte durch die eiserne Pforte mit den Seinen zur sichern Burg zurück, indes die Bewohner von Rhetra und mit ihnen die Radegastpriester um das Südende des Penzliner Sees durch unwegsame, sumpfige Gegenden zu entkommen suchten.

Dieser letztere Trupp führte auch das Radegastbild mit sich. Man wollte es, wenn irgend möglich, vor den Christen retten. Doch kam man nicht weit mit demselben, weil der Feind schon auf den Fersen war; schon in der Nähe von Penzlin musste man es in einem Sumpfe, der sogenannten Trennelkoppel*), bis auf günstigere Zeiten hin, versenken. Dieser Trupp kam übrigens nur bis in die Gegend von Warm, dort wurde er vernichtet. Das Bild aber blieb in dem Sumpfe.

Auch Wernicke durfte sich nicht lange mehr auf der Burg seiner Väter aufhalten. Spione hatten ihm die Nachricht hinterbracht, das die Deutschen im Anzuge und nicht mehr weit entfernt seien. So suchte er denn noch das Wertvollste von seinen Sachen in Sicherheit zu bringen, um dann mit den Seinen auch in das Dickicht der Wälder zu flüchten.

Zu den zahlreichen Kostbarkeiten Wernickes aus edlem Metall gehörte unter Anderem auch eine Wiege, die ganz von massivem Golde war. Diese hatte man ihrer Schwere wegen auf einen Wagen besonders geladen. Nun geschah es aber, dass der Knecht, welcher sie fahren sollte, nicht zeitig genug schwenkte, als er von dem Burgplatz herunter jagte, und so mit seinem Wagen samt der kostbaren Ladung in das vor der Auffahrt befindliche, sogenannte große blanke Soll geriet.

*) Die Trennelkoppel ist eine Wiese links an der Chaussee von Penzlin nach Neu-Strelitz, in der Gegend der Stadtmühle.

An Rettung war nicht mehr zu denken; denn das blanke Soll ist tief, sehr tief, ja wie Manche sagen, so ist in dem weichen, morastigen Grunde desselben gar kein fester Boden zu finden. Wernicke ließ daher die Wiege, wenn auch nur ungern, im Stiche, um nur sich und die Seinen zu retten. Bevor er aber davon jagte, warf er einen Feuerbrand in seine Burg, und als die Christen die Stätte erreichten, fanden sie nur einen rauchenden Trümmerhaufen.

Wernicke kehrte nie wieder zurück. Er fiel im Kampfe gegen den Feind. Seine Burg blieb verwüstet und bewuchs mit Dorn und Strauch, bis man später das Land urbar machte. Nur rund um den eigentlichen Burgplatz her ließ man eine Hecke, gleich einem großen Kranze, stehen, welche ihn vor gänzlichem Verfalle schützt. Sonst wird der ganze Grapenwerder, so weit es geht, nebst dem Burgplatze und auch eine kleine neben demselben liegende Erhöhung, „der Kellerberg", beackert.

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Von dem blanken Soll, welches selbst die seit zwei Jahren herrschende Dürre nicht auszutrocknen vermochte, behauptet man, dass es noch die goldene Wiege birgt. Man hat auch verschiedene Versuche gemacht, derselben habhaft zu werden, aber es hat bis dahin noch Keinem recht glücken wollen. So ließ unter Andern auch der Besitzer eines angrenzenden Ackerstückes einen noch vorhandenen Graben, zur Ableitung des Wassers aus dem blanken Soll, anlegen. Bevor derselbe die gehörige Tiefe erlangt hatte, ermüdete man aber schon bei der Sache. Aufgegeben ist sie aber darum keineswegs, sondern Mancher denkt noch darauf, wie wohl dem Schatze beizukommen sei.

Ähnlich geht es auch mit dem goldenen Radegastbilde in der Trennelkoppel. Es ist dasselbe schon zu verschiedenen Zeiten Ziel der Schatzgräber, aber immer ohne Erfolg, gewesen.

Auf dem Grapenwerder soll man übrigens beim Ackern, außer Streitäxten, antiken Topfscherben und dergleichen, auch schon einzelne uralte Geldstücke gefunden haben, welche man für das vom Grafen Wernicke gemünzte Geld ausgibt. Ja, von einem Penzliner Bürger, der nun aber schon längst tot ist, behauptet man, dass er seinen Reichtum einem glücklichen Funde auf dem oben erwähnten Kellerberge zu verdanken habe. Er soll dort nämlich einen großen Topf voll sogenannter Henkelthaler vom feinsten Silber gefunden und diesen Schatz für sich behalten haben; und soll auch der Jude, der ihm beim Auswechseln der Münzen behilflich gewesen, hierdurch reich geworden sein.

Es lässt sich leicht denken, dass hierdurch nicht wenig die Gier der Schatzgräber angestachelt worden ist. Diese haben denn auch schon von jeher ihr Unwesen auf dem Grapenwerder getrieben, wobei es freilich oft an ergötzlichen Szenen nicht gemangelt haben soll. Am meisten aber hat der Schatzgräberei auf dem Grapenwerder folgende Geschichte, welche sich dort zugetragen haben soll, Vorschub geleistet:

Es war einmal vor Jahren, als ein Lapitzer Bauer, der aber nun schon lange tot ist, von Penzlin heimkehrte. Er hatte dort mehrere Einkäufe gemacht, weil er „Kindelbier" *) auszusteuern hatte. Dabei ward wohl etwas mehr getrunken, als dienlich ist, und weil nun auch der Abend ziemlich dunkel war, so verfehlte der Mann den rechten Weg und anstatt grade aus nach Lapitz zu gehen, ging er rechts über den Grapenwerder-Damm nach dem Grapenwerder. Als er hier ankam, sah er ein Feuer brennen und bei demselben zwei Männer beschäftigt.

*) Kindtaufe.

„Da kannst du dir mal schön deine Pfeife anbrennen”, dachte unser Bauer in seiner Einfalt, und weil er etwas wortkarg von Natur war, so trat er, ohne ein Wort zu sagen, näher, nahm sich eben so stillschweigend eine Kohle und legte sie auf seine Pfeife. Das aber schienen gar närrische Kohlen zu sein; fürs Erste waren sie gar nicht heiß anzufühlen, obwohl sie durch und durch glühten, und dann waren sie auch alsobald verglimmt und schienen Steine geworden zu sein, sowie sie auf der Pfeife lagen.

Eine echt mecklenburgische Natur lässt sich indes nicht so leicht aus der Fassung bringen, und so langte sich denn auch der gute Bauer, als es mit der ersten Kohle nicht gehen wollte, eine zweite und mit derselben Seelenruhe eine dritte, vierte u. s. w. und warf die unbrauchbaren eben so unverdrossen bei Seite. Zuletzt, als er sah, dass all sein Bemühen vergeblich war, wollte er sich auf den Rückweg machen. Da winkte ihn aber einer der Männer und bedeutete ihm, seinen Quersack aufzutun.

Unserm Bauern mochte jetzt ein Licht aufgehen und so leistete er willig Folge. Die beiden Männer aber schütteten ihm von den glühenden Kohlen, die übrigens gleich verloschen, so viel in seinen Quersack, als er nur irgend zu tragen vermochte. Damit machte er sich denn endlich auf den Weg nach Hause, wo er erst spät in der Nacht keuchend und in Schweiß gebadet anlangte.

Hatte man auch wegen des Bauern langen Ausbleibens daheim viel Angst ausgestanden, so war nun doch die Freude um so größer, als er seinen Quersack ausschüttete und lauter blanke Goldstücke aus demselben auf den Tisch rollten.

Nun musste der Glückliche erzählen, was ihm auf dem Wege begegnet war und wie er den großen Schatz erlangt hatte.

Am andern Morgen ganz frühe aber machten sich etliche von seinen Leuten auf, um an der bezeichneten Stelle nachzusehen, ob dort nicht noch mehr von dem edlen Metall zu finden wäre. Sie konnten jedoch nichts entdecken, nur fanden sie die Goldstücke, welche der Bauer am Abend vorher, als unbrauchbare Kohlen, bei Seite geworfen hatte.

Von diesem Funde soll sich des erwähnten Bauern Reichtum, welcher mindestens in Lapitz sprichwörtlich war, herschreiben; und auch seine Nachkommen sind noch bis auf diesen Tag wohlhabende Leute.

Außerdem erzählt man sich noch von dem Grapenwerder, dass sich dort zu Zeiten ein kleines graues Männchen sehen lasse, und gibt es Leute zu Penzlin, welche dasselbe in dem Gesträuch wollen gesehen haben, wie es eiligst umhergekrochen ist. So soll es unter Andern auch einmal einen Knaben beim Vogelnestsuchen dermaßen erschreckt haben, dass derselbe davon krank geworden ist und wochenlang das Bett hat hüten müssen.

Heinrich der Löwe - aus Simrock:

Heinrich der Löwe - aus Simrock: "Die deutschen Volksbücher" 1845