Der Erinnerungspfahl auf dem Quwetziner Felde bei Plau - 2. Die Feuersbrunst

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1858

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage,
Mitternacht war herangerückt; zwölfe schlug es vom Kirchturme. Der Mond, der zuerst so hell und freundlich geschienen, hatte sich nach und nach immer mehr verschleiert, gleichsam als wolle er sein Angesicht verbergen, aus Trauer über das bevorstehende, entsetzliche Unglück. Ein kalter Wind hatte sich erhoben und blies pfeifend durch die öden Gassen Quetzins. Wiederum begann der alte Wächter seinen nächtlichen Umgang; soeben beendete er nach Abrufung der Stunde das alte bekannte:

      „Ein Jeder bewahre sein Feuer und Licht,
      Dass dem Nachbar kein Schade geschicht.
      Preiset Gott den Herrn!"

und war schon im Begriffe — wie's früher noch allgemein im Lande üblich war, — mit feierlicher Stimme einen Bibelvers anzustimmen, als plötzlich ganz leise die Seitentüre eines der Häuser geöffnet wurde, durch die ein Knabe hervorhuschte. Ängstlich blickte sich derselbe zuerst nach allen Seiten um, dann aber eilte er im Fluge über die Gasse und verschwand bald darnach in der dichten Finsternis. Trotz der kleinen Entfernung hatte der alte Wächter doch Alles deutlich mit angesehen, Alles genau mit seinen scharfen Augen beobachtet und in dem davoneilenden Knaben sogleich auch unsern Johann erkannt.

Kopfschüttelnd stand der alte Mann noch da und dachte über die Ursache dieser nächtlichen Flucht nach, als ihm auch schon der nächste Augenblick dies Rätsel löste und seine entsetzliche Ahndung bestätigte. Eine dicke Rauchwolke quoll durch das Strohdach des eben von Johann verlassenen väterlichen Hauses, und gleich darauf wirbelte auch schon die hohe lichte Lohe zu Gottes nächtlichen Himmel empor.

„Gott sei uns gnädig!" murmelte schaudernd der alte Wächter, dann aber stieß er in sein Horn, wieder und wieder und immer mächtiger, dass es weithin schallte durch die stille Nacht, um dadurch die sorglos Schlafenden zu erwecken, um ihnen dadurch die große Gefahr zu verkünden, worin sie Alle schwebten.. Denn angefacht vom Winde, griff das Feuer mit entsetzlicher Eile um sich. Überallhin sprühten Verderben bringend schon die brennenden Funken, gierig züngelnd sprangen die hellen Flammen von einem Dache zum andern hinüber und schon begann auch das zweite Gehöft zu brennen.

Nicht lange und es war dem Wächter gelungen, die Schläfer zu erwecken, denn schon erschallte aus vielen Kehlen der jähe Schreckensruf „Feuer, Feuer!“ durch das Dorf und schauerlich tönte dazwischen das ernste Geläute der Sturmglocke.

Und taghell wurde die dunkle Nacht. Grausig beleuchtet lag das friedliche, teilweise schon in lichten Flammen stehende Quetzin da und ein blutroter, sich weithin am Himmel erstreckender Feuerschein verkündete den Leuten fern und nah, welch Unglück das Dorf getroffen, in welcher Not sich seine armen Bewohner befanden.

Bald herrschte auch das regste Leben und Treiben in dem sonst so stillen Orte. Aber welch ein Leben und Treiben — Alles rannte und schrie, rettend, hilferufend, jammernd und weinend, wild durcheinander; es war ein furchtbares Gewirr von Bestürzung und Entsetzen, von Angst und Not.
Trotz der angestrengtesten Tätigkeit, trotz der aufopferndsten Hingebung und Selbstverleugnung, trotz der immer wachsenden Hilfe, die von allen Seiten, namentlich aus Plau und den umliegenden Dorfschaften herbeiströmte, war doch an keine Rettung zu denken, es war unmöglich Herr des Feuers zu werden. Denn was vermag menschliche Kraft gegen die Macht des ungezügelten Elementes! —

Mit rasender Wut und Geschwindigkeit breitete sich das Feuer von Minute zu Minute immer weiter aus; es fand zu viel Nahrung in den mit reichem Ernte Segen angefüllten Gebäuden, es wurde von dem stärker werdenden Winde nur noch immer mehr angefacht. Und bald war das ganze Dorf ein einziges, großes Flammenmeer; es war unrettbar verloren. —

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

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