Der Erinnerungspfahl auf dem Quwetziner Felde bei Plau - 1. Ein ungeratenes Kind.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1858

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage,
Es war im Spätherbst. Stille und friedlich, vom Monde sanft beschienen, lag das Dorf Quetzin da. Auf dem Kirchturme hatte es soeben 10 Uhr geschlagen. Alle die tätigen Hände der fleißigen Dorfbewohner ruhten; die Lichter in ihren Wohnungen waren bereits sämtlich verlöscht. Alles schlief schon; Alles hatte sich sorglos dem erquickenden Schlafe in die Arme geworfen, um auszuruhen von des Tages Last und Müh, um sich neu zu stärken für das Werk des kommenden Tages.

Und während drinnen in den Häusern Alle schliefen, wachte draußen für sie der alte, redliche Nachtwächter. Mit gemessenen, weithinschallenden Tritten durchschritt er, seinen treuen Genossen, den wachsamen Hund zur Seite, die Gassen des Dorfes, um es zu bewahren vor Feuer und Unglück, vor Einbruch und Diebstahl.

Doch waren auch wohl alle Lampen in den Wohnungen längst schon ausgelöscht, schien auch Alles in denselben zu schlafen, es wachten dennoch in dem einen Hause zwei Augen, die Augen eines bösen, schändlichen Buben, der, Hass und Rache im Herzen, Tod und Verderben brütete. Es war Johann, ein zwölfjähriger Knabe, der im stillen Kämmerchen des elterlichen Hauses sich unruhig auf seinem Lager umherwälzte, mit Ungeduld die ihm zu seinem abscheulichen Plane günstig scheinende Stunde erwartend.

Obgleich auch der Sohn braver Eltern, obgleich noch so jung an Jahren, war Johann doch schon ein ausgelernter Taugenichts, das schändlichste, schlechteste Geschöpf von der Welt. Er log und betrog, stahl und raubte nicht nur auf die frechste Weise, er widersetzte sich auch, wurde er bei seinen Schlechtigkeiten ertappt, gegen Jedermann, gleichviel ob's nun seine Eltern, sein Lehrer, oder fremde Leute waren. Keine Strafe, keine Züchtigung half, nichts fruchtete mehr bei ihm; sein Starrsinn, seine Widersetzlichkeit und Verworfenheit wuchsen nur noch immer ärger mit dem fortschreitenden Alter. Mit tiefbetrübten Herzen, mit Angst und Zagen dachten die verzweifelnden Eltern oft daran, wie es in Zukunft dereinst noch mit dem ungeratenen Kinde werden solle. Sie wussten keinen Ausweg, keinen Rat wenn sich Gott ihrer nicht erbarmte, und entweder eine Änderung mit dem Knaben eintreten ließ, oder ihn sonst lieber zu sich nehme. — So ungern sich auch sonst liebende Eltern von ihrem Kinde trennen, so unnatürlich auch ein solcher elterlicher Wunsch erscheinen mag, so war er doch diesen jetzt nicht zu verdenken, ja er war natürlich und gerecht. Denn lieber sehen wohl alle braven Eltern ihr Kind nach dem Kirchhofe tragen, als einen Taugenichts daraus werden, der am Galgen oder Rad endet! Und ach, von einem solchen Knaben wie Johann war, ließ sich leider mit Recht das Schlimmste befürchten, das Entsetzlichste erwarten. —
Diesen Abend wieder hatte ihn der Vater ertappt, wie er, einer geringen Ursache willen, wütend auf die alte fromme Großmutter losschlug, dass sie, aus einer Kopfwunde blutend, ohnmächtig niedersank. Das von ihr gewartete jüngste Schwesterchen des bösen Buben erhob ein lautes Angstgeschrei und gerade trat der hierdurch herbeigerufene Vater hinzu, als Johann im Begriffe stand, der besinnungslos daliegenden, alten 70jährigen Frau einen zweiten, vielleicht den Todesschlag zu versetzen.

Der Vater außer sich vor Zorn, wie er seine alte, brave Mutter so daliegen sah, erfasste den abscheulichen Jungen und züchtigte ihn so derbe, dass er sich schreiend und heulend zu seinen Füßen wälzte. Aus Leibeskräften wehrte sich auch jetzt wieder der ungeratene Sohn und stieß und schlug mit Händen und Füßen um sich, dabei die scheußlichsten Drohungen und Flüche auf den armen, bedauernswerten Vater schleudernd. Mit kräftigem Arme erfasste ihn aber dieser, schleppte ihn nach seiner Schlafkammer, warf ihn dort hinein und schob den Riegel hinter ihm zu. Anfangs lärmte und tobte der vor Wut schäumende Junge zwar noch fort, bald aber wurde es stille in seinem Gemache. Als bald darnach Alles im Hause zur Ruhe gegangen und auch der Vater sein Lager aufsuchen wollte, ging er zuvor noch einmal in Johanns Schlafkammer. Da er diesen scheinbar ruhig schlafend fand, verließ er ihn sofort wieder, ohne ihn zu stören und begab sich dann ebenfalls zu Bette.

Johann aber wachte. Als er den Vater kommen hörte, schloss er schnell die Augen und stellte sich schlafend, während er, Rache und Hass im Herzen, über seinen schauderhaften Plan weiter nachdachte. Das unnatürliche Kind wollte sich wegen der erhaltenen Züchtigung rächen, es wollte dafür den eigenen Vater und mit ihm seine ganze Familie unglücklich machen, es wollte sie Alle verderben. —

Oh Ihr Eltern alle, die Euch Gott gute Kinder geschenkt hat, erkennet dies auch stets wahrhaft an! Auf Euren Knien danket und preiset den Höchsten dafür; den unglücklichen Eltern dieses Kindes aber weihet eine stille Träne des Mitleids und der Teilnahme! —

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

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