Das Wahrzeichen am Steintor zu Rostock.

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Von A. C. F. Krohn zu Penzlin, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Rostock, Steintor, Inschrift, Wahlspruch, Gewohnheit, Wahrzeichen, Wappenschild
Unsere Vorfahren hatten die löbliche Gewohnheit, irgend einen schönen sinnreichen Spruch, etwa einen Bibel- oder Liedervers, den sie sich zum Wahlspruche genommen, über die Pforte ihres Hauses zu schreiben. Hier, wo man täglich ein und aus geht, stand er mit großer, deutlicher Schrift, zum fortwährenden Gedächtnis und zu fruchtbringender Beherzigung. So versah man auch häufig öffentliche Gebäude, Kirchen, Schulen, Rathäuser, Tore und dergleichen, bei denen viel Verkehr stattfand, mit passenden Sinnsprüchen und fügte nicht selten ein bedeutsames Sinnbild hinzu, um die Wahrheit des verzeichneten Spruches noch mehr zu veranschaulichen und zu verdeutlichen.

Dass man auch zu Rostock diese Gewohnheit hatte, bezeugt unter Anderen das Steintor daselbst. Dasselbe enthält an der inneren und äußern Seite die Wappenschilder Rostocks und Mecklenburgs und trägt außerdem noch nach Innen die Inschrift:

Sit intra te concordia et publica felicitas*)

*) In Deinen Mauern wohne Eintracht und staatliches — öffentliches — Wohlsein.

Über der Inschrift befindet sich dann noch das Brustbild eines Mannes, der gleich als zum Schutze mit der Linken einen runden Schild vor sich hält. Zu seinen Seiten steht endlich geteilt die Jahreszahl 1314.

Da das Steintor erst im Jahre 1575 gebaut sein soll, so hat die vorhin erwähnte Jahreszahl hiermit gewiss nichts zu tun, vielmehr scheint sie sich nebst den übrigen Darstellungen auf die Beendigung des rungeschen Aufstandes, die Aussöhnung der Stadt mit Herzog Heinrich dem Löwen von Mecklenburg*) und die Wiederherstellung der alten Ordnung zu beziehen. Durch den Verrat des königlich dänischen Statthalters zu Rostock, Hermann von Glöden oder Klödt, gelang es nämlich dem Herzoge die Stadt im Januar 1314**) beim Steintore zu überrumpeln und so die vorhin erwähnten Resultate zu erzielen.***)

Die Sage erzählt über den Ursprung des obgedachten Brustbildes Folgendes:

Gegen das Jahr 1314 hatte Rostock, wie damals häufig, Krieg. Die Feinde hatten die Stadt schon lange und vergeblich belagert. Sie konnten sie nicht überwältigen, und auch das Aushungern wollte nicht recht gehen. Da nahm man zum Verrate seine Zuflucht, und zwar war es einer der Bürgermeister, der sich durch das Gold der Fremden blenden ließ. Er beging das Bubenstück und überlieferte die Stadt, indem er ihre Blöße verriet, den Feinden.

Die Sache war fein genug angelegt, kam aber doch an das Tageslicht. Und als nun die Rostocker nach außen hin Frieden hatten, ergriffen sie den Verräter und sperrten ihn ein.

Damals bestrafte man oft geringe Vergehen sehr hart; und so ist es leicht erklärlich, dass man hier nicht bloß hart, sondern sogar grausam verfuhr. Man schleppte den Unglücklichen nach dem Mauerturme unweit des Steintores — hinter den Häusern an der neuen Wallstraße — und schloss ihn hier in schwebender Stellung vermittelst Hals-, Arm-, Brust und Fußeisen also an, dass er nur die Hände zum Munde bewegen konnte.

So quälte man ihn jämmerlich und langsam zu Tode; denn zur täglichen Nahrung ward ihm nur ein Schillingsbrot — Rundbrot — und ein wenig Wasser gereicht.

Das Bild soll hier dann späterhin zur Warnung für Jedermann angebracht sein, und will man an demselben auch die Hals- und Armeisen erkennen. Den Schild aber hält man für ein Abbild des Rundbrotes.

*) Siehe Anmerkung Seite 164 des zweiten Bandes.
**) In diesem Jahre starb auch Fürst Nikolaus das Kind — Junker Klas — Herr zu Rostock, der letzte Spross dieser mecklenburgischen Fürstenlinie. Er war mit in die erwähnten Weiterungen verwickelt und hatte sie vielleicht teilweise selbst veranlasst.
***) Siehe Reinholds Chronik der Stadt Rostock, Seite 12 bis 19.

Rostock - Giebelhäuser bei der Nicolaikirche

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Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

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Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

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