Das Tonnenabschlagen auf dem Darß.

Aus: Die Volkssagen von Pommern und Rügen
Autor: Gesammelt von Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1840
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Pommern, Sitten und Gebräuche,
Auf dem Darß hat man noch heut zu Tage ein altes Volksfest, das aus der heidnischen Wendenzeit herrührt, und dessen frühere religiöse Bedeutung man jetzt nicht mehr kennt. Es wird alljährlich zu einer gewissen Zeit gefeiert. Auf einem Anger in der Nähe des Dorfes werden alsdann zwei Pfähle aufgerichtet, in deren Mitte wird eine Pech- oder Teertonne, welche mit Birkenzweigen umwunden ist, aufgehangen, gerade so hoch, dass ein Reiter darunter herjagen kann. Das Fest, zu welchem das ganze Dorf zusammenkommt, beginnt damit, dass die unverheirateten Burschen des Dorfes in der Versammlung langsam, im Paradeschritt, umherreiten. Voran gehen einige Musikanten. Dann reitet zuerst der vorjährige Tonnenkönig. Die Anderen reiten, wie das Los die Reihenfolge bestimmt hat. Reiter und Pferde sind mit Bändern, Federn, Knittergold, Blumen etc. bunt geschmückt.

Wenn sie so einige Male herumgezogen sind, begeben sie sich an das Ende der abgesteckten Rennbahn, und von hier aus jagt Jeder von ihnen, einzeln, Einer nach dem Andern, in derselben Reihe, in der sie vorhin geritten waren, im vollen Galop unter der Tonne weg, und schlägt mit einem Knittel an dieselbe. Dies dauert, da sie mehrere Pausen machen, oft mehrere Stunden, bis ein Stück der Tonne nach dem anderen heruntergefallen ist, und zuletzt nur noch ihr oberer Boden hangen bleibt, durch welchen der Strick geht, mit dem sie aufgehangen ist. Wer das letzte Stück von der Tonne abschlägt, der ist Tonnenkönig.

Dieser muss nun geschwinde machen, dass er fortkommt; denn wenn er nicht zuerst im Kruge ankommt, sondern einer von den übrigen Tonnenreitern ihn vorher einholt und einfängt, so muss er die ganze Gesellschaft freihalten. Er jagt daher im vollsten Galop hin, sobald er den glücklichen Schlag getan hat, und es ist lustig anzusehen, wie alle seine Kameraden hinter ihm her jagen, und jeder ihn zu erreichen sucht, und wie alles Volk schreiend und lärmend hinterdrein rennt. Im Kruge kommt darauf Alles wieder zusammen. Er ist von außen und von innen mit Birkenzweigen und Schiffsflaggen geschmückt, und es wird darin, nachdem der König sich eine Königin gewählt hat, gezecht und getanzt bis zum zweiten Morgen.

Gewöhnlich wird dies Fest um die Johanneszeit gehalten. Mehrere benachbarte Dörfer feiern es nach einander, indem sie sich gegenseitig dabei besuchen.

Ähnliche Tonnenfeste, jedoch mit einigen Abweichung gen, werden im Lüneburgischen und auf der Dänischen Insel Amak gefeiert.

Der Darß und der Zingst, von A. v. Wehrs, S. 89—93.
Gedruckt bei den Gebr. Unger.

Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller

Temme, Jodocus Donatus Hubertus (1798-1881) Politiker, Jurist und Schriftsteller