Das Teufelsgitter um den Taufstein in der St. Marien-Kirche zu Wismar

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 3
Autor: Von C. Struck zu Dargun, Erscheinungsjahr: 1860
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Wismar, St. Marien-Kirche, Taufstein, Teufel, Schlosserhandwerk
Mehrere Freunde saßen an einem Winterabende gemütlich bei einander und plauderten von ihrer lieben Vaterstadt Wismar. Sie gedachten der vielen Nöten, welche die Stadt in Kriegszeiten erfahren hatte und waren so, ehe sie noch wussten wie, auch auf die prächtigen Kirchen gekommen, die Zeugnis ablegen von dem frommen Glauben der Väter. Besonders war es die Marienkirche, die vielen Stoff zur Unterhaltung gab. Da nahm einer der Freunde das Wort und sprach: „Ihr kennt alle den Taufstein mit der kunstreichen eisernen Umkettung, schwerlich aber die Sage von ihrer Entstehung." Alle baten, um die Erzählung, rückten die Stühle näher, und der Freund begann:

„Es war im Jahre 1344, da hatten die Schlosser zu Wismar gar viele Arbeit, denn manches Schloss und mancher Riegel musste geliefert werden für das Innere der St. Marienkirche. Die meiste Arbeit aber hatte der Schlosser Velten, denn er galt für einen geschickten Arbeiter, der eine Ehre darin suchte, die schönsten Schlosserarbeiten zu liefern. Was nicht aus seiner Werkstatt hervorging, das war nicht gut; mithin konnte es auch nicht fehlen, dass er Arbeit die Hülle und Fülle hatte. Seine vier Gesellen schmiedeten und feilten den ganzen Tag und konnten doch nicht so viel beschaffen, als verlangt wurde, daher denn auch der Meister tüchtig mitarbeiten musste. War dieser nun auch reich, so schämte er sich doch der Arbeit nicht, wie dies so viele heutigen Tages tun, er setzte vielmehr ordentlich eine Ehre darin, der Erste und Letzte bei der Arbeit zu sein.

Seine wackere Hausfrau war ihm schon längst gestorben, und von allen Kindern war ihm nur die achtzehnjährige Mechtild übrig geblieben. Diese war des Meisters Augapfel, und wie konnte es auch anders sein, denn sie besorgte die Küche und hielt das Haus rein und sauber. Aber nicht bloß der Vater hatte sie lieb, sondern Jeder, der sie kannte. Aus ihren blauen Augen sprach so recht die große Innigkeit ihres Gemüts, ihr blondes Haar stand gar lieblich zu den roten Wangen, und ihr züchtiges Wesen nahm Jedermann für sie ein.

In der Werkstatt war der sonderlichste Geselle von allen Kurt. Der Meister hatte ihn als Kind zu sich genommen, weil die Eltern ihm früh gestorben waren. Zwei Jahre arbeitete er schon bei seinem Lehrmeister als Geselle, und er war nicht bloß ein fleißiger Arbeiter, sondern in seinem Gewerk auch wohl erfahren, denn er ersann die kunstreichsten Schlösser. Früher war er ein munterer Bursche, sang bei der Arbeit ein fröhlich Lied, was der Meister gern geschehen ließ, denn er rührte dabei desto schneller die Feile. Seit einem Jahre war er aber ganz anders geworden. Freilich war er fleißig, ja er arbeitete noch mehr denn zuvor, aber seine Einsilbigkeit wurde so groß, dass er die Fragen seiner Mitgesellen selten beantwortete. Nur wenn Mechtild kam, um zum Frühstück oder Mittag zu rufen, dann schaute er wohl auf und sah die liebe Maid mit so seelenvollen Blicken an, dass man auf den ersten Blick wusste, wie teuer sie seinem Herzen war.

Sein stilles Wesen hatte auch seinen guten Grund. Denn als er und des Meisters Tochter vor einem Jahre, nach der Messe, traulich im Garten standen und sich offenbarten, wie lieb sie einander hatten, da trat Velten hervor und sprach zu Kurt: „Du bist ein tüchtiger Geselle und wohlerfahren in Deiner Kunst, aber meine Tochter ist für Dich zu hoch gewachsen. Könntest Du ihr 100 Goldgulden zum Mahlschatz bringen, dann ließe sich die Sache hören, so aber kann nichts daraus werden; darum lass fernerhin ab, das Herz meines Kindes zu betören, wenn nicht, so musst Du mein Haus räumen."

Das Haus aber konnte Kurt um keinen Preis verlassen, darum hielt er sich nach des Meisters Worten. So wurde er still und verschlossen, denn er dachte nur an Mechtild und an die 100 Goldgulden.

An einem Festtage ging Kurt in Gedanken versunken ins Feld hinaus. Früher freute er sich über jede Blume am Wege, heute aber sann er darauf, wie es anzufangen sei, reich zu werden. So war er bis an den Galgenberg gekommen, als ihm Jemand von hinten auf die Schulter klopfte und ihn fragt: „Warum so traurig, junger Gesell!"

Er drehte sich um und sah einen feinen Herrn, der aber in seinem Gesicht keine Zutrauen erweckende Mienen zeigte. Unwillig, gestört zu sein aus seinen Zukunftsplänen, wollte er schon weiter gehen, als der fremde Herr ihm den Grund seines Kummers aufdeckte.

Kurt war freilich darüber erstaunt, aber der Fremde sprach ihm so liebreich zu, dass er ihm endlich ohne Hehl seinen Kummer aufdeckte.

„Du jammerst mich”, sprach der Herr, „aber so Du nur willst, so will ich Dir helfen.“ „Morgen”, so redete er weiter, „werde ich zu Deinem Meister gehen, um bei ihm ein Gitter um den Taufstein in St. Marien zu bestellen, doch wird er die Arbeit nicht übernehmen, da sie aus einem Stücke geflochten sein soll. Da trete Du denn kühn hervor, lasse Dir den Riss zeigen und sprich: „Meister, um Verlaub, ich getraue mir die Arbeit zu übernehmen!" Vollendest Du diese vom Hahnenschrei bis Nachts l Uhr, dann sind 100 Goldgulden Dein Lohn, wenn nicht, so bist Du mein!"

Bei dieser Rede ward dem Kurt ganz angst und bange, denn er wusste nun deutlich, dass es der Teufel sei, welcher mit ihm redete. Erst zauderte er noch, doch Meister Urian wusste ihm den Besitz der holden Mechtild so reizend zu schildern, dass er endlich darein willigte.

Der Böse holte nun den Kontrakt aus der Tasche, und Kurt unterschrieb mit seinem eigenen Blute.

Am Dienstag früh begab sich unser Geselle nach der Kirche und schlug seine Werkstatt in einem Seitengewölbe auf. Ehe er jedoch an sein Werk ging, betete er laut ein Vaterunser; still für sich aber zu Gott um Vergebung seiner Sünde und um Hilfe zu seinem Werk. Darauf glühte er die Stangen, bog, schmiedete, feilte, maß die einzelnen Teile nach der Zeichnung, und erst gegen Abend erquickte er sich durch Speise und Trank.

Bald war er wieder in voller Tätigkeit, seine Kräfte schienen riesenmäßig zu wachsen, je mehr er das Werk gefördert sah. Gegen 10 Uhr Abends stellte er das Gitter um den Taufstein auf und hämmerte tüchtig darauf los. Doch so flink und frisch er sich auch rühren mochte, die Zeit schwand immer mehr. Zwölf hatte die Uhr schon lange geschlagen, nur noch ein Stift war umzunieten, dann die Arbeit vollendet und der Preis sein.

Da hörte er, wie, die Uhr Eins ansagte, aber dies nicht allein, sondern auch ein Getöse wie Sturmgeheul, das immer näher kam. Er sah auf, und siehe, der Teufel schwebte in leibhaftiger Gestalt mit grinsendem Gesicht über ihm, in der einen Hand den Kontrakt, in der andern den Beutel mit dem versprochenen Lohn. Arbeiten konnte er nicht mehr, schon glaubte er sich in des Satans Händen, da fiel ihm zu guter Stunde ein das Gebet: „Errette uns aus der Gewalt des Teufels!" Und er rief an in dieser Not Gott, Jesum und die heilige Jungfrau. Da schlug es Eins vom Turme. Ein furchtbares Geheul ertönte durch die weiten Räume der Kirche, dann hörte er einen schweren Fall und fort war seine Besinnung.

Kaum dämmerte der Morgen, da erwachte Kurt aus seiner Ohnmacht, neben sich sah er seine Verschreibung und den Beutel mit den 100 Goldgulden liegen. Sofort ging er zu einem Priester, beichtete und bekam Vergebung seiner Sünden.

Bald verbreitete sich das Gerücht von der wunderbaren Errettung des Gesellen aus Teufels Hand durch die ganze Stadt. Dem Meister aber ging's zu Herzen, er gab dem fleißigen Gesellen sein lieb Töchterlein zum Weibe.

Kurt fertigte noch manch schönes Schlosserwerk für St. Marien an, vergaß nie des Gebetes und lebte mit seiner Mechtild in glücklicher Ehe viele Jahre. Das Gitter hieß aber von Stund an das Teufelsgitter und heißt also bis auf den heutigen Tag."

Die Freunde gaben sich die Hand, wünschten einander gute Nacht; aber die Sage von dem Teufelsgitter konnten sie nicht wieder los werden, sie sprach noch oft zu ihnen: „Das Gebet verscheucht den Teufel."

*) Obgleich schon Seite 127 des zweiten Bandes eine Sage über dies Teufelsgitter von mir mitgeteilt worden ist, so lasse ich doch auch jetzt noch die mir später hierüber gewordene Erzählungswelse nachfolgen, da sie anders lautet und wesentlich von der ersteren abweicht. Der Herausg.

Wismar, Ansicht aus der 2ten Hälfte des XVII. Jahrhunderts

Wismar, Ansicht aus der 2ten Hälfte des XVII. Jahrhunderts

Wismar - Die Marienkirche um 1800

Wismar - Die Marienkirche um 1800