Das Riesenkönigsgrab oder der Trünnelberg bei Melkhof, unweit Gagenow

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 4
Autor: Von L. Kreutzer zu Parchim, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage, Wittenburg, Hagenow, Steintor,
Wer aus Wittenburg durch das Steintor kommt, oder aus Hagenow unter dem Schlagbaum hindurch über das Kiesende geht — denn die guten Hagenower haben statt der Tore Schlagbäume; warum? das werde ich dem geehrten Leser, will's Gott, ein andermal erzählen — und anderthalb Stunden oder zwei tüchtig marschiert, oder reitet, oder fährt, der trifft das Dorf Helm; versteht sich, wenn er den richtigen Weg dorthin einschlägt. Und erblickt er rechts und links die verräucherten Kathen in demselben und unter den Füßen den grauen Flugsand und die dunklen Tannenwaldungen in der Nähe und Ferne, so soll er's nun und nimmer verraten, und wäre er noch so klug und könnte Gras wachsen und Mücken niesen hören, welch eine gewaltige Stadt Helm einst gewesen ist, mit Toren und Türmen so fest und hoch, wie sie heut zu Tage keine Stadt in Mecklenburg aufzuweisen hat*).

Die Helmer Feldmark erstreckte sich in einem Kreise von rings zwei Meilen um die Stadt, und hier und dort noch oft einen „Hundeblaff weit“ **) darüberhinaus. Und reich waren die Helmer, davon war Ende und Zahl weg.

*) Wodurch Helm soweit heruntergekommen ist, weiß die Sage auch nicht.
**) „Hundeblaff weit" heißt, so weit die Stimme eines bellenden Hundes dringt.


„Arm Lühr möht borg'n, und riek Lühr heft Sorg'n!"*) sagte der Lübtheener Schulze, da lebt' er noch. Und Sorgen kamen über die Helmer mit Haufen und mehr, als ihnen lieb waren. Denn der Riesenkönig hatte von ihrem grausamen Reichtume gehört, und er dachte: Blöde Hunde werden nicht fett, und zu sich nehmen fackelt nicht. Und dieweil einen Knittel wohl findet, wer einen Hund schlagen, und einen Strick, wer einen Dieb hängen will, so hatte er eine Ursache zum Kriegen bald gefunden. Mit einer Kriegserklärung beeilte er sich eben nicht groß, desto mehr aber mit dem Kriege selbst.

*) „Arme Leute müssen borgen, und reiche Leute haben Sorgen!"

Die guten Helmer dachten an nichts Arges, aßen und tranken, freiten und ließen sich freien, da zog schon der Riese heran, und hinter ihm drein sein ganzes Kriegsvolk, Mann an Mann, wie eine Wetterwolke so dicht, dabei unbändig und grausam und in großer Menge.

Das gab ein Zetergeschrei in der Stadt, als die Hiobspost noch gerade zur rechten Zeit, doch kurz vor Torschluss, dort anlangte. Der Eine verlor den Kopf und der Andere das Herz — und die Feinde waren nur noch eine gute Tagereise entfernt und kamen mit jeder Stunde näher. Zum Glück behielt der Bürgermeister Kopf und Herz auf dem rechten Flecke, und mit ihm ein tüchtiger Haufe handfester Burschen und Männer, die sich bis auf den letzten Blutstropfen zu wehren beschlossen.

Und das war dem Riesenkönige ein Strich durch die Rechnung, und zwar ein grimmig dicker. Denn in seinem Übermute dachte er nicht anders, als dass die Helmer ihm ihre Schätze entgegentragen, oder wenn's hoch käme, die Tore und Türen verriegeln und verrammeln und nach Erstürmung der selben sich geduldiglich wie Regenwürmer spießen lassen würden. Darum zog er mit den Seinen wohlgemut drauf los in größter Unordnung, hier ein Haufe und dort einer, dieser singend, jener schwatzend, wie Bauern vom Jahrmarkte.

Das ging gut, aber nur bis an die helmer Stadtgrenze. Da brachen aus den Wäldern und hinter den Hügeln und Hecken die Helmer hervor, unvermutet, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel. Sie stürmten grimmig auf die Feinde ein, und es hagelte Hieb auf Hieb und Schlag auf Schlag.

Wohin ein Helmer traf, wuchs kein Gras mehr, und mancher Riesenschädel zerflog, wie ein vom Sturm geschüttelter, überreifer Borsdorfer, oder Gravensteiner, oder Prinzapfel, oder trug eine Wunde heim, wogegen der geschickteste Doktor alle Heilsalben und Pflaster der ganzen Welt vergebens verstrichen und verklebt hätte.

Dennoch mussten die Helmer unterliegen; denn die Übermacht der Feinde war zu groß, und „geg'n Backab'n lett sick nich anhojahn'n*)." Nach langem Kampfe zogen sie sich in die Stadt zurück. Dort erwarteten sie auf und hinter den Mauern den Feind.

*) „Gegen einen Backofen lässt sich nicht angähnen!"

Sie hatten aber gut warten, denn kein Feind ließ sich blicken.

Den Riesenkönig gelüstete nämlich nimmermehr nach den Schätzen der Helmer, dieweil er erschlagen auf dem Schlachtfelde lag. Jetzt war er zufrieden mit dem, was ihm sein Kriegsvolk gab — drei Särge und ein Grab. Sein Leib wurde in einem goldenen Sarg gebettet, den man wieder mit einem kupfernen und dann mit einem eisernen umschloss. Nicht weit von Melkhof wurde das Grab gegraben und nach der Beerdigung des Leichnams mit einem gewaltigen Grabhügel bedeckt, der noch heute vorhanden und unter dem Namen „Trünnelberg" dort Alt und Jung bekannt ist.

Die Särge ruhen noch heute im Trünnelberge. Mancher Glücksritter hat schon den Schatz zu heben versucht, wie noch deutliche Spuren auf demselben zeigen, aber immer vergebens. Das macht, der Teufel selbst hält Schildwache bei demselben, und der lässt sich seinen Raub nicht nehmen, selbst durch Zauberformeln und Bannsprüche nicht.

Nur einmal ist es einem Haufen Bauern aus der Umgegend gelungen, den Schatz zu erblicken. Und das ging so zu:

Ein reisender Schatzgräber war nach Melkhof gekommen und hatte Diesen und Jenen beredet, mit ihm in Gemeinschaft den Schatz zu heben und zu teilen. In einer Johannisnacht ging die Arbeit vor sich.

Eine Wünschelruthe war mitgenommen und wurde von dem Banner um und über den Berg getragen. Ziemlich auf dem Scheitel des Hügels neigte sich die Ruthe, und dort lag der Schatz.

Vor Beginn der Arbeit ließ der Banner sich von jedem Einzelnen heilig versprechen, während derselben kein Wort, auch nicht das allerkleinste sprechen zu wollen. Denn das kleinste Wort bricht auch den kräftigsten Zauber. Dann sprach der Schatzgräber seine Zauberformel, und die Arbeit begann.

Schon nach einer Stunde klapperten die Schaufeln auf dem eisernen Sarge. Derselbe wurde eiligst von der ihn umschließenden Erde völlig befreit und mit armdicken Tauen umspannt. Bis jetzt war Alles in säuberlicher Ordnung vor sich gegangen. Keiner hatte ein Wörtchen gesprochen, und kein Hund mit tellergroßen Augen, oder sonst etwas hatte sie gestört.

Die Bauern erfassten die Taue und Hebel. Jetzt ein kräftiger Ruck und Zuck, und der Schatz hätte sich gehoben — da erschien der leibhaftige Teufel.

"Dat is micn un blift, wo't ligt!"*) sagt er kurz und herrisch.

*) „Das ist mein und bleibt mein, wo es liegt!"

„Dreck ist Dien!"**) gibt ihm ein naseweiser Bursche zur Antwort, der vielleicht glaubt, weil er den Schatz vor Augen habe, könne er ihm nicht mehr entgehen.

**) Soviel als: „Es ist nicht wahr, es ist doch nicht Dein!"

Das war aber, was Beelzebub gewollt hatte, eine Antwort nämlich.

Sarg und Teufel verschwanden hiernach sogleich, die Grube stürzte krachend zusammen; und wer mit langer Nase abziehen musste, das waren die Schatzgräber.

Das ist das letzte Mal gewesen, dass Schatzgräber versucht haben, den dreifachen Sarg des Riesenkönigs zu heben.