Das Haus der Berliner Frauen.

Im Dienst der Sicherung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts.
Autor: Ring, Max (1817-1901) deutscher Mediziner, Journalist und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1874
Themenbereiche
In der Königgrätzer Straße befindet sich eines der interessantesten Häuser von Berlin, das in seiner Weise gewiss einzig in ganz Deutschland und vielleicht auch in der übrigen Welt dastehen dürfte, obgleich es äußerlich wenig oder gar nicht in die Augen fällt und sich höchstens durch die über dem Thorwege angebrachte Büste des durch seine humanen Bestrebungen berühmten Präsidenten Lette bemerkbar macht. Erst auf Befragen erfahren wir, daß dieses schlichte, bescheidene Haus eine große Bedeutung für die Frauenwelt hat, da es eine Reihe von wichtigen Instituten in sich schließt, die der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts dienen. Das Haus selbst heißt das Lette-Haus und ist erst seit Kurzem Eigenthum des Berliner Lette-Vereins.

An einem milden Herbsttage des Jahres 1864 besuchte der Schreiber dieser Zeilen mit mehreren Bekannten den berühmten Vater der deutschen Genossenschaften, unsern Schulze-Delitzsch, in seiner Villa zu Potsdam. Nach Tische machten wir einen kleinen Spaziergang durch den schönen Garten unseres Wirtes, wobei ich mit dem ebenfalls anwesenden Präsidenten Lette in ein interessantes Gespräch über die Lage der unversorgten Frauen geriet. Die Veranlassung gab ein in dem von mir früher redigierten „Volksgarten“ erschienener Aufsatz „Über das Loos der unverheirateten Mädchen“ von Ellen Lucia, worin die unbekannte Verfasserin mit vielem Geiste die Mängel unserer weiblichen Erziehung, die daraus entspringende Not der unversorgten Töchter schilderte und die Mittel zur Abhülfe vorschlug, ohne jedoch mit den gewöhnlichen Phrasen die sogenannte Frauenemanzipation zu fordern.

Mit dem ihm eigenen jugendlichen Eifer fasste der ausgezeichnete, für alles Gute und Edle begeisterte greise Lette den von mir nur leicht hingeworfenen Gedanken auf, einen Verein zur Beseitigung dieser in die Augen springenden Übelstände zu bilden. Da er selbst zu sehr durch seine vielseitigen Geschäfte in Anspruch genommen wurde, ersuchte er mich, ihm einen kurzen Entwurf zu geben und ihm die nöthigen Materialien zu verschaffen, wozu ich gern bereit war. Nach meinen flüchtigen Angaben verfasste er eine ausführliche, ebenso gediegene wie geistvolle Denkschrift, die er dem Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen überreichte.

Schon am 13. Dezember 1865 fand auf Grund dieser Denkschrift eine vorbereitende Versammlung statt, an der sich eine große Anzahl angesehener Männer und Frauen beteiligten. Nach mehrfach eingehender Besprechung wurde am 26. Februar 1866 „Der Verein für Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts“ gebildet und zum Vorsitzenden der unermüdliche, hochverehrte Lette gewählt. Seinem bewunderungswürdigen organisatorischen Talente, seiner angesehenen Stellung und persönlichen Liebenswürdigkeit, seinem milden, humanen Wesen und seiner versöhnenden Natur gelang es auch, alle Schwierigkeiten und Vorurteile zu besiegen und dem Vereine zahlreiche Gönner und Freunde zu erwerben, an deren Spitze bald die von dem gleichen Geiste beseelte Kronprinzessin Victoria als Protektorin trat. Schon im ersten und schwersten Jahre belief sich die Zahl der Mitglieder auf fünfhundert Personen, die der Beiträge auf tausend bis elfhundert Taler.

Leider erlitt der Verein durch den am 3. Dezember 1868 erfolgten Tod des Stifters einen schweren, fast unersetzlichen Verlust. Noch auf dem Sterbebette dachte der edle Greis an seine Schöpfung, indem er ihr ein Capital zur Gründung einer Vorschusskasse vermachte. Seine Stelle übernahm der für alle humanen Ideen tätige Professor von Holtzendorff, einer jener seltenen Gelehrten, die durch ihre Betheiligung an dem öffentlichen Leben das Ideal mit der Wirklichkeit zu vermitteln und zu versöhnen suchen. Nach mehrjähriger angestrengter Tätigkeit sah sich jedoch Professor Holtzendorff durch seine überhäuften Berufsgeschäfte genöthigt, im April 1872 den Vorsitz niederzulegen, welcher nun der Frau Schepeler-Lette, der würdigen und auch geistesverwandten Tochter ihres berühmten Vaters, übertragen wurde.

Unter ihrer Leitung entwickelte sich der Verein immer kräftiger und segensreicher, nachdem er schon unter ihren Vorgängern mit verhältnismäßig geringen Mitteln Bedeutendes geleistet hatte. Durch das Arbeitsnachweisungsbureau erhielten bereits zahlreiche Frauen unentgeltlich eine lohnende Beschäftigung oder ein sicheres Unterkommen. Ferner wurde eine Handelsschule eingerichtet, eine Frauenindustrieausstellung veranstaltet, ein Verband sämtlicher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine in Deutschland gegründet und zum Organ desselben der „Frauen-Anwalt“ bestellt.

Aber diesen vereinzelten, höchst anerkennenswerten Leistungen fehlte der Mittelpunkt eines eigenen Hauses, worin alle die zerstreuten Institute ein dauerndes Unterkommen finden sollten. Nur ein solcher Grundbesitz konnte die feste Basis, den sicheren Boden abgeben, auf dem allein der Verein gedeihen konnte. Es war daher ein ebenso glücklicher als kühner Gedanke, ohne zureichendes Vermögen einen solchen notwendigen Besitz zu erwerben. Männliche Kraft und weibliche Ausdauer ließen das schwere Werk gelingen. Zu diesem Zwecke wurde zunächst eine Sammlung bei den Gönnern und Freunden des Vereins veranstaltet, an der sich vor Allem die hohe Protektorin mit einer bedeutenden Summe beteiligte.

Mit der gewiss höchst bescheidenen Summe von achttausend wurde der Ankauf des Hauses für den Preis von fünfundneunzigtausend Talern gewagt, nachdem sich noch in der letzten Stunde ein verborgener Woltäter bereit erklärt hatte, fünfundzwanzigtausend Taler unter den liberalsten Bedingungen vorzustrecken. Da aber mit dem Ankauf auch ein nicht zu umgehender Umbau vorgenommen werden mußte, so reichte das vorhandene Geld nicht hin. Jedoch der gute Genius und der Schutzgeist des Vereins sorgte für neue Mittel; unter dem Schutze der Frau Kronprinzessin wurde in dem sogenannten Prinzessinnen-Palais ein „Bazar“ zum Besten des Lette-Hauses eröffnet. Wie durch Zauber verwandelten sich die Räume des Fürstenschlosses in eine prächtige Markthalle, worin die Protektorin mit den reizendsten Verkäuferinnen schaltete und die Elite der Gesellschaft herbeizog.

Die ersten Künstler Deutschlands, Andreas Achenbach, Begas, Passini, Paul Meyerheim, Knaus, Richter, A. von Werner, Knille, Harrach, Kalkreuth, Eschke etc. hatten ihre werthvollen Gaben auf den Altar unserer lieben Frau niedergelegt, der Maler Angeli aus Wien sich schriftlich verpflichtet, ein ihm zuzuweisendes Portrait zu malen und das dafür gezahlte Honorar von tausend Talern dem Vereine zu überlassen. Auch die Frau Kronprinzessin, die selbst als ausübende Künstlerin Bedeutendes leistet, gab eine wertvolle Arbeit von ihrer eigenen Hand, eine Zeichnung, ihre beiden ältesten Töchter darstellend. Besonderen Anklang fanden die höchst originellen humoristischen Federskizzen berühmter Künstler, die auf Veranlassung des genialen Meyerheim in einer heitern Stunde mit zauberhafter Geschwindigkeit auf ordinäres Papier mit gewöhnlicher Tinte in übermütiger Laune hingeworfen und ebenso schnell vergriffen wurden, sodass sie fortwährend nachgeliefert werden mußten, da man sich förmlich um die im Stile der Münchener Bilderbogen gezeichneten komischen Blätter riß. Auch die Schriftstellerwelt war durch eigens für den Bazar bestimmte geistvolle Autographen vertreten; außerdem fehlte es nicht an reizenden Arbeiten von zarter, schöner Hand, an Quincaillerien, Wäsche und Stickereien, an silbernen und goldenen Schmuckgegenständen. Die Prinzessin Charlotte hatte einen selbstgenähten Kinderanzug, Prinz Waldemar eigene Papparbeiten und die übrigen kronprinzlichen Kinder Bücher und Spielsachen aus ihrem Vorrat geschenkt.

Durch das Zusammenwirken aller dieser Kräfte wurde natürlich auch ein höchst glänzender Erfolg erzielt und die Summe von fünfzehntausend Talern zum Besten des Lette-Hauses eingenommen, worin jetzt der Verein mit allen seinen verschiedenen Anstalten sich dauernd angesiedelt hat. Um diese genauer in Augenschein zu nehmen, wollen wir dem so interessanten Gebäude einen kurzen und hoffentlich lohnenden Besuch abstatten.

Treten wir durch das Portal in das Innere des Gebäudes, so erblicken wir zunächst einen großen Saal, die im Erdgeschosse gelegene Restauration worin die in dem sogenannten „Victoria-Stifte“, das wir uns noch später ansehen werden, wohnenden Damen, aber auch andere Frauen, für sieben und einen halben Groschen, im Abonnement für sechs Groschen, einen guten, kräftigen Mittagstisch erhalten. Der zahlreiche Besuch spricht ebenso sehr für die Notwendigkeit einer besonderen Speiseanstalt für Damen, wie auch für die Güte und Solidität der Bewirtung. In der überaus freundlichen und sauberen Küche, die sich im Souterrain befindet, werden junge Mädchen auf Wunsch im Kochen einer guten Hausmannskost und anderen wirtschaftlichen Arbeiten unterrichtet. Steigen wir eine Treppe höher, so gelangen wir aus der materiellen Sphäre der Küche in die geistige Region der Schule, die auch hier als die Wurzel und der Schwerpunkt des Ganzen angesehen wird. Durchschnittlich erhalten hier jährlich hundert Schülerinnen in den verschiedensten Fächern eine hinreichende Ausbildung teils für den kaufmännischen, teils für einen gewerblichen Beruf.

Gegen ein Honorar von fünfzig Talern wird in der Handelsschule bei genügenden Vorkenntnissen der nötige Unterricht im Buchführen, kaufmännischen Rechnen, in Comptoirarbeit und Korrespondenz, Handels- und Gewerbekunde, Geld- und Wechselwesen, in englischer und französischer Sprache, im Deutschen und in der Geographie von den besten Lehrern und Lehrerinnen erteilt. Ebenso wird in der Gewerbeschule in ein-, zwei- und mehrmonatlichen Kursen gewerbliches Zeichnen, Kleider- und Wäschezuschneiden nach wissenschaftlichen Prinzipien, Nähen mit der Hand und mit der Maschine, französische Blumenfabrikation, Putzfach, Handschuhnähen, Malen auf Porzellan, in Aquarell und Guache gelehrt. Eine große Zahl der zwischen fünfzehn bis dreißig Jahren stehenden Schülerinnen, deren Gesamtzahl schon jetzt weit über tausend beträgt, hat bereits in den verschiedensten Geschäften lohnende Stellungen gefunden und fast ohne Ausnahme sich bewährt. Der Verein verleiht auch Freistellen für junge, talentvolle Mädchen, die sich besonders auszeichnen und sich durch ihre Zeugnisse empfehlen.

Zu der Handels- und Gewerbeschule ist noch in letzter Zeit das telegraphische und typographische Institut hinzugetreten. Nachdem die Petition des Vereins an den deutschen Reichstag um Zulassung der Frauen zum Eisenbahn- und Postdienst eine günstige Aufnahme gefunden, erfolgt jetzt die Ausbildung weiblicher Aspiranten nach den gesetzlichen Bestimmungen unter Leitung und Aufsicht der Kaiserlichen Telegraphendirektion unentgeltlich in einem besondern Saale des Hauses, worin die jungen Mädchen unter Aufsicht eines höhern Beamten mit dem Morse’schen Apparate arbeiten.

Vom 1. Oktober 1873 bis Ende Februar 1874 sind im Ganzen bereits achtundvierzig Telegraphengehilfinnen ausgebildet worden, von denen dreizehn ihr Examen gut bestanden und eine vorläufige Anstellung im Staatsdienste mit einem Gehalte von sechs Talern wöchentlich erhalten haben. Im Allgemeinen lautet das Urteil der Kaiserlichen Telegraphendirektion über ihre Leistungen folgendermaßen: „Die Gehilfinnen lassen es ohne Ausnahme nicht an Fleiß und Eifer beim Erlernen fehlen, und die Fortschritte, die sie gemacht haben, sind zufriedenstellend. Einzelne sind im Telegraphieren verhältnismäßig schon ziemlich gewandt, während das Regulieren der Apparate ihnen fast ausnahmslos schwer fällt. Den Gehilfinnen werden zur Zeit nur die weniger frequenten Apparate zur Bedienung überwiesen, weil die Aufregung während der immerhin nicht leichten Beschäftigung des Telegraphierens dieselben mehr oder weniger so angreift, daß ihnen eine anhaltende Beschäftigung noch nicht zugemutet werden kann.“

Bedenkt man die kurze Zeit und die zugestandene Schwierigkeit des Dienstes, so wird man nicht an dem günstigen Erfolge zweifeln können. Noch bedeutender und hoffnungsvoller sind jedoch die Leistungen des typographischen Instituts, welches sich unter Leitung des Herrn Buchdruckereibesitzers Schwabe vorläufig noch in der Wilhelmstraße Nr. 122 befindet. In der kurzen Zeit von einigen Monaten sind bereits zweiundzwanzig Setzerinnen so weit ausgebildet worden, daß sie den an sie gestellten Anforderungen genügen und durchschnittlich sechs bis sieben Taler in der Woche verdienen. Die jungen Damen arbeiten in einem besondern Raume, teils sitzend, teils stehend, acht bis zehn Stunden am Tage, ohne daß sich bis jetzt ein nachtheiliger Einfluss auf ihre Gesundheit zeigt. Ihr Lehrherr rühmt ihren Fleiß, und die von ihnen gelieferten Arbeiten zeichnen sich durch Sauberkeit und Korrektheit aus, wie die vorgelegten Proben beweisen.

Von ganz besonderer Wichtigkeit ist das in der dritten Etage gelegene Arbeitsnachweisungsbureau unter der Leitung der Frau Betty Lehmann, einer hochgebildeten Dame, welche täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage die gewünschte Auskunft erteilt und die nötige Korrespondenz besorgt. Von dem Umfange dieser Tätigkeit kann man sich erst einen Begriff machen, wenn man erfährt, daß im vergangenen Jahre dreitausendfünfhundertneun Briefe eingegangen und zweitausendachthundertachtundachtzig geschrieben worden sind. Außerdem verzeichnen die sorgfältig geführten Listen zweitausendvierhundertdrei Besuche, darunter tausendsechshundertfünfzig Stellensuchende und neunhundertfünfzig Stellenbietende. Durch unentgeltliche Vermittlung erhielten vierhundertsechszehn Personen teils ein dauerndes Unterkommen, teils eine vorübergehende Beschäftigung. Darunter befanden sich hundertneunzig Lehrerinnen für Sprachen, Schulwissenschaften, Musik und Zeichnen, neunundachtzig Bonnen und Kindergärtnerinnen, acht Gesellschafterinnen, achtundneunzig Handarbeiterinnen, drei Directricen für Wäschegeschäfte, neun Comptoiristinnen, sechs Verkäuferinnen, elf Wirtschafterinnen und zwei Stenographinnen.

In neuester Zeit hat das so nützliche Arbeitsnachweisungsbureau noch eine zweckmäßige Erweiterung und Ergänzung dadurch gefunden, daß es auf Bestellung Arbeiten nach ausgelegten Mustern anfertigen lässt. Zweimal in der Woche sind zu diesem Zwecke zwei dem Ausschusse angehörende Damen anwesend, um sowohl die eingegangenen Muster zu prüfen, wie auch die eingehenden Bestellungen entgegenzunehmen und den Preis festzusetzen. Auf diese Weise werden die Frauen vor jeder Ausbeutung geschützt und wird ihnen die Gelegenheit zu einem lohnenden Erwerbe geboten.

Das in der dritten und vierten Etage befindliche Victoriastift, ursprünglich eine Schöpfung der Frau Kronprinzessin und erst seit einigen Jahren mit dem Vereine verbunden, bietet den in Berlin verweilenden Erzieherinnen, aber auch andern Damen, die sich wegen ihrer Ausbildung hier aufhalten, für den mäßigen Preis von zwanzig Talern monatlich ein sicheres Asyl und eine gute Verpflegung, auch ärztliche Behandlung und noch andere Vortheile. In zwölf geräumigen und komfortable eingerichteten Zimmern können achtunddreißig Pensionairinnen ein ebenso angenehmes wie billiges Unterkommen finden. Ein großes, elegantes Konversationszimmer mit einer kleinen auserlesenen Bibliothek und einem trefflichen Pianino dient zur gemeinschaftlichen Benutzung. Die jungen Damen, welche ohne Ausnahme den höheren gebildeten Ständen angehören, darunter Künstlerinnen, welche die Hochschule für Musik oder das Atelier eines berühmten Malers besuchen, genießen hier alle Vortheile eines schönen Familienlebens. Außer vier Freistellen hat die hohe Protektorin noch zur Weihnachtsbescherung eine ansehnliche Summe gewährt, welche mit einem Zuschusse aus der Stiftskasse zur Anschaffung eines gemütlichen Weihnachtsbaumes und passender Festfreuden verwendet wurde. Für das Inventar bewilligte die Gnade des Kaisers außerdem noch fünfhundert Taler aus den Überschüssen der im Winter abgehaltenen Subskriptionsbälle.

Nicht minder wohltätig und segensreich bewährte sich die aus dem Vermächtnisse des verstorbenen Präsidenten gebildete Lette-Stiftung und der damit verbundene Nähmaschinenfond. Beide Institute verfolgen den Zweck, Frauen und Mädchen durch ein Darlehn bis zur Höhe von dreihundert Talern gegen genügende Bürgschaft und bei allmählicher Abzahlung die Gründung eines selbstständigen Geschäftes zu ermöglichen. Durchschnittlich werden im Jahre zweitausend bis dreitausend Taler ausgeliehen, deren Zurückzahlung meist pünktlich erfolgt ist. An Nähmaschinen wurden vom 1. März 1873 bis 8. Februar 1874 siebenundfünfzig Stück an unbemittelte Frauen überlassen und dafür durch Abschlagszahlungen die Summe von tausendvierhundertdreißig Talern und fünfzehn Silbergroschen abgetragen. Zahlreiche Familien, besonders verlassene Witwen, verdanken dieser Einrichtung nicht nur ihre Existenz, sondern in einzelnen Fällen sogar einen stets wachsenden Wohlstand.

In dieser Weise wirkt der Letteverein nach allen Seiten und mit allen Kräften für die Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts, die keineswegs mit der sogenannten Emanzipation der Frauen verwechselt werden darf. In den von der Natur und der Gesellschaft gegebenen Schranken sucht derselbe seine Aufgabe zu lösen, indem er durch eine zweckmäßige Bildung der Mädchen und Frauen neue, ihnen bisher unzugängliche Kreise einer lohnenden Tätigkeit erschließt, ihnen durch die eigene Arbeit eine selbstständige, unabhängige Stellung gibt, ohne sie deshalb der Familie und ihrer wahren Bestimmung zu entziehen. Er bietet den Verlassenen eine Heimath, den Unbemittelten seine Hülfe, den Witwen und Waisen eine Stütze, den unversorgten Töchtern ein Unterkommen, das sie vor der Sorge um das tägliche Brod und öfters auch vor der ihnen drohenden Verführung schützt. Sein Streben ist von der reinsten Humanität beseelt, sein Ziel die echte und einzig wahre Emanzipation der Frau durch Arbeit, Bildung und Sittlichkeit.