Das Gedenkkreuz bei Barkow, zwischen Plau und Lübz

Aus: Mecklenburgs Volkssagen. Band 1
Autor: Gesammelt und herausgegeben von M. Dr. A. Niederhöffer, Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Sage, Volkssage,
An der früher von Plan nach Lübz führenden, alten Landstraße, nicht weit vom Kirchdorfe Barkow, nach der Barkow-Wessentiner Feldscheide zu, befindet sich, dicht am Wege auf einer kleinen Anhöhe, ein einfaches kleines Kreuz. Dasselbe ist schon sehr alt, der Zahn der Zeit hat's schon stark benagt, das zeigt auch das verwitterte und morsche, mit graugelblichen Moosflechten bedeckte Holz, woraus es gefertigt ist, sowie auch seine halbumgesunkene, schiefe Lage. Rund um das Kreuzchen erblickt man eine große Menge abgebrochener Baumzweige, die die fromme Einfalt und Pietät der Landleute von nah und ferne hier zusammen getragen hat.

Wie die Sage geht, ist vor vielen Jahren an dieser Stelle ein blutjunges Mädchen aus Barkow ermordet worden. Froh und vergnügt, ein Körbchen am Arm kehrte dasselbe aus der Stadt zurück nach ihrem heimatlichen Dorfe, als sie unterwegs plötzlich von einem umherstreifenden Halunken überfallen wurde. Da sich das Mädchen zuerst weigerte, dem Räuber freiwillig das wenige Geld welches sie bei sich führte auszuliefern, so tötete er sie auf die grausamste Weise. Das arme Geschöpf, die den Unbarmherzigen, als er ihr den ersten Schlag mit seinem dicken Knotenstocke versetzt, so flehentlich aber vergeblich um Schonung ihres jungen Lebens bat, wehrte sich darauf in der Todesangst mit Aufbietung aller ihrer Kräfte, wodurch der Schändliche nur noch wütender wurde und immer ärger auf sie eindrang. Bald jedoch musste sie seiner Übermacht unterliegen und aus tausend Wunden blutend, unter grässlichen Todeszuckungen entfloh endlich ihre unverdorbene schöne Seele und schwang sich auf zu jenen lichten Höhen, ein Engel rein und schuldlos. —

Dreizehn Schillinge nur fand der Räuber in der Tasche seines Schlachtopfers! — Das war also das Resultat seines abscheulichen Verbrechens, das war das Resultat seines Raubmordes! — Oh, und welch' eine schwere Blutschuld, welch' eine große, große Sünde hatte er dadurch auf sein Haupt geladen; welch' unendliches Leid, welchen unsäglichen Kummer hatte er dadurch über die armen Eltern der Erschlagenen gebracht? Er hatte ihnen Alles, Alles geraubt, er hatte sie namenlos unglücklich, namenlos elend und arm gemacht! —

Wer vermag wohl den Schmerz, den Jammer der unglücklichen Eltern zu schildern, als ihnen, durch bald darnach des Weges gekommene Leute, die blutige, grässlich verstümmelte Leiche der geliebten Tochter in das Haus gebracht wurde? — Am Morgen dieses Tages noch war das junge Mädchen blühend und gesund gewesen, hatte den guten Eltern noch bei ihrem Fortgehen so schmeichelnd die Backen gestreichelt, so liebevoll den Mund geküsst. Mit dem Versprechen, bald wieder heimzukehren, war sie dann fortgehüpft, leicht und flink wie ein Reh; oft noch hatte sie sich umgeschaut, den ihr nachblickenden Eltern freundlich zunickend, bis sie ihren Augen entschwunden, und jetzt schon mussten sie dieselbe so wiedersehen. —

Unsäglich war der Schmerz und die Trauer des schwergeprüften Elternpaares. Ach die Armen verloren in ihr nicht nur ihr letztes liebes Kind, — all die andern hatte ihnen der unerbittliche Tod schon früher genommen, sie hatten sie alle schon, bis auf dies letzte, nach dem Kirchhofe tragen lassen müssen, — sondern sie verloren auch die beste, treuste Tochter, ihr Alles, ihr ganzes, ganzes Lebensglück; die Freude und der Trost ihres Alters, ihre Hoffnung und ihr Stolz wurde mit ihr zu Grabe getragen! — Ja mit Recht konnte sie als die Freude und der Stolz der Eltern gelten, denn nicht allein war sie das schmuckste und schönste Mädchen des Dorfes und der ganzen Umgegend, sie war auch ein wahres Muster von Frömmigkeit, von Tugend und Sittsamkeit, ein Muster von Bescheidenheit, Fleiß und Tätigkeit, dabei den Eltern die liebevollste, dankbarste und gehorsamste Tochter und gefällig, freundlich und zuvorkommend gegen Jedermann. Deshalb hatten sie auch Alle lieb und das ganze Dorf betrauerte wahrhaft und von Herzen mit den alten Eltern ihren Verlust. „Sie war zu gut für diese Welt, darum rief der Herr sie schon wieder zu Sich in Sein Freudenreich!" sprach tiefbewegt, mit Tränen in den Augen, ein 80jähriger Greis des Dorfes, als er die Todesbotschaft vernahm.

Die Blutspuren, die der Mörder durch das Ringen mit seinem Opfer an der Kleidung davon getragen, führten bald darauf zu seiner Entdeckung. Und als die trostlosen Eltern im Vereine mit den trauernden Bewohnern des Dorfes den bekränzten Sarg mit dem lieben, schuldlosen Kinde in die kühle Gruft gesenkt, da fiel auch bald darnach durch Henkershand das Haupt des schändlichen Raubmörders.

Der alte Vater des Mädchens setzte an den Ort, wo sein liebes Kind, sein ganzes Glück auf so entsetzliche Weise geendet, das noch jetzt vorhandene, von ihm selbst verfertigte einfache Holzkreuzchen, und benetzte und weihte es mit seinen reichlich dabei vergossenen Tränen. Die Bewohner des Dorfes aber trugen nach alter Sitte, als Zeichen ihrer Trauer und Teilnähme, und im frommen Glauben, dass dadurch der Geist der Gemordeten desto eher Ruhe finde, grüne Zweige herbei; und andächtig entblößten Hauptes, stille Gebete für das Seelenwohl der Dahingeschiedenen zum Himmel sendend, legten sie dieselben nieder um das Kreuz, — was die vorbeikommenden Landleute auch hier, wie auf andern ähnlichen Stellen im Lande, bis auf den heutigen Tag fortgesetzt haben. —

Die alte Landstraße ist vor einigen Jahren gelegt worden, seitdem führt aber, etwas entfernt von ihr, eine schöne Chaussee von Plau nach Lübz. Wegen der nunmehrigen, weiteren Entfernung vom Wege wird dieser Ort seit der Zeit auch weniger, wie sonst, besucht; doch kann man, wenn man die Chaussee passiert, das Kreuz auch von dort aus ganz deutlich sehen, sowie auch das umherliegende Buschwerk. Auch jetzt findet man darunter, neben alten, schon ganz oder erst halbvergangenen Sträucher und Zweigen, auch noch ganz frische und grüne.

Hieraus ersieht man, dass, trotz der Entfernung von der Straße, trotz der materiellen Richtung der Jetztzeit, der Ort doch noch immer von diesem oder jenem schlichten Landmanne besucht wird, der, im frommen Glauben seiner Väter und ihre ehrwürdigen Bräuche ehrend, auch noch heute zum Seelenheile der Gemordeten seinen Zweig hier niederlegt.

Mecklenburgs Volkssagen - Band 1

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