DIE OKTOBERPOGROME 1905 - I. Gouvernement Bessarabien. Strascheny

Aus: Die Judenpogrome in Russland
Autor: Redaktion A. Linden, Erscheinungsjahr: 1910
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Ostjuden, Einwanderung, Einwanderer, Deutschland, Russland, Polen, Progrome, Gewalt, Krieg, Vertreibung, Wohnungsnot, Gründe, Not, Elend, Arbeitsplätze, Flüchtlinge, Solidarität, Glaubensfreiheit, Religion, Nächstenliebe, Wahrheitsliebe, Berichterstattung, Medien, Wahrheit, Öffentlichkeit, Kultur, Parteien, Gerechtigkeit
Strascheny.
(Nach der „Bessarabskaja Schisn", 1905, Nr. 269.)

Ein Augenzeuge der Ereignisse teilte folgende Einzelheiten mit: Ein Bewohner des Orts hörte zufällig eine provokatorische Rede mit an, unter deren Eindruck zwei Stunden danach die Bauern Zacharias Wessarion und Fedor Schilipow Zurkan den Laden des Monasche Sadigursky betraten und Manufakturwaren hinauszuwerfen begannen. Als der Besitzer zu schreien anfing, erhoben die Moldauer ihre Knüttel und drohten mit Prügeln. Darauf lief er zur Polizei und holte den Dorfschreiber und den Sotskyi *) Peter, bei deren Erscheinen die Moldauer Reissaus nehmen wollten, aber der dabeistehende Sotsky Georgy Kroitor rief: „Wir brauchen auf den Schreiber nicht zu hören, er ist nicht unser Vorgesetzter." Nun begaben sich die oben genannten Bauern zu J. S. und begannen die Hausbewohner zu misshandeln. Von dort gingen sie zu Froime B., wo sie nur seine Frau vorfanden. Sie jagten sie aus dem Hause, erbrachen einen Schrank und nahmen einen Pelz heraus. Da kam die Frau Froimes mit dem Sotsky Daniel Bersan wieder, und dieser vertrieb die Plünderer. Nach der Polizei aber kam eine Deputation von Bauern, Iwan Bolg, Matwey Bolg u. a., und bat den Schulzen Iwan Kroitor um die Genehmigung, die Juden zu plündern und zu töten. Der Schulze erwiderte, dass das nicht geschehen dürfe, und drohte ihnen mit gerichtlicher Belangung. Da erklärten die Bauern, dass sie alle die Erlaubnis hätten und darum auf ihn nicht hören wollen. Der Schulze beschwor sie, nichts Böses zu tun, da während seines langjährigen Dienstes nichts Derartiges vorgekommen sei; schließlich bat er, die Demolierung wenigstens einen Tag aufzuschieben, bis er sein Amt niedergelegt hätte. Dann könnten sie tun, was sie wollten. Die Bauern entgegneten, sie seien nicht gewillt zu warten, da die für die Zerstörung eingeräumte Frist, wie ihnen mitgeteilt sei, sehr kurz wäre.

*) Von der Dorfgemeinde gewählter Polizeiaufseher, Vorgesetzter über 100 Mann.

Um zehn Uhr begann die völlige Zerstörung des Eigentums von J. S. Die Waren wurden teils vernichtet, teils auf Wagen geladen und fortgebracht. Der Wein wurde aus den Fässern gegossen. Die Familie des S. rettete sich zu einem Bauer, ohne irgend etwas mitzunehmen. Die Käserei der Rowdys ging so weit, dass sie ein dabeistehendes Kalb ergriffen und mit dem Ruf: „Wo sind die Juden? Wir brauchen noch ihr Blut!" das arme Tier lebendig in Stücke zerrissen. Nachdem in diesem Hause kein Stein mehr auf dem andern geblieben war, begab sich die Menge zu David G. und plünderte und vernichtete sein Eigentum vollständig. Die immer größer werdende Menge zog unter wilden Hurrarufen weiter und setzte die Plünderung und Verwüstung des jüdischen Eigentums fort. Gegen Morgen war in der aller Selbstbeherrschung baren Menge fast das ganze Dorf vertreten. Bei der Zerstörung des M. Sadigurskischen Hauses waren schon am Morgen des 22. Oktober beide Ortsgeistliche aufgetreten und hatten versucht, die Plünderer von ihrem Tun abzuhalten, aber diese hatten ihnen damit gedroht, auch sie zu misshandeln. Als am Morgen der Exzess noch immer kein Ende nehmen wollte, versammelten sich alle ins Elend gestürzten Juden auf dem Bahnhofe, um in der Flucht nach Kischinew Rettung zu suchen.

Im Hause Germanskys war ein zehnjähriges Kind, das man nicht mehr hatte retten können, zurückgeblieben. Ihm wurde die Schädeldecke eingeschlagen. Grausame Misshandlungen erlitten noch andere, sowohl Erwachsene als Kinder. Viele langten, bis zur Unkenntlichkeit mit Blut überströmt, in bloßen Hemden auf dem Bahnhofe an. Der Sohn des J. S., Schüler der dritten Klasse der Handelsschule, lief auch im bloßen Hemde zur Bahn, versäumte aber den Morgenzug. Die Moldauer holten ihn ein und wollten ihn schlachten; ein Portemonnaie, das er zufällig bei sich hatte und in dem im ganzen 25 Kopeken lagen, rettete ihn vor dem sicheren Tode. Er warf das Portemonnaie auf die Erde, und während die Moldauer sich damit abgaben, gelang es dem Jüngling, zu entkommen.

Die Verluste im Dorfe erreichten die Höhe von 100.000 Rubeln. Die Mehrzahl der geplünderten Familien war buchstäblich ohne Obdach und Nahrung geblieben.

Auch die Thorarollen hatten die Plünderer vernichtet.

Russland 025. Haus eines reichen Bauern der nördlichen Waldregion

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Russland 023. Industriearbeiter aus Jaroslaw

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Russland 023. Inneres eines nordrussischen Bauernhauses

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Russland 027. Wäscherinnen im Flusse Moskwa

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Russland 029. Großrussisches Mädchen a. d. Gouvernement Twer

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Russland 029. Junge aus dem Gouvernement Twer

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Russland 046. Kleinrussin

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Russland 047. Großrusse

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Russland 050. Eine Altgläubige (Raskolniza)

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Russland 054. Bauernkinder aus dem Gouvernement Orel

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