Aus früherer Zeit. Band 1 - Wilde Zeit. 01. Die Pferde.

Schwedisch-pommersche Zustände auf der Insel Rügen
Autor: Ruge, Arnold (1802 in Bergen auf Rügen-1880 in Brighton) Schriftsteller. 1848/1849 Angehöriger der Frankfurter Nationalversammlung, Vertreter der demokratischen Linken, Erscheinungsjahr: 1862

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Insel Rügen, Tromper Wiek, Heimat, Ostsee, Heimatinsel, Strand, Meer, Fischer, Bauern, Landleben, Franzosenzeit, Sitten und Bräuche, Jugenderinnerungen, Schwedenzeit
Die Schweden zogen nun in den Krieg. Lassen wir sie ziehen; sie haben uns ohnehin schon zu weit fortgerissen; aber sie sowohl als die Franzosen sollten nur dazu dienen, die Zustände unseres Ländchens und unseres Hauses an Begebenheiten zu knüpfen, die eben so sehr unser Schicksal, als das allgemeine bestimmten und aus denen man zugleich meine Eltern und ihren Kreis kennen lernt.

In diesem Abschnitt will ich eine Zeit nachholen, deren ich mich immer noch mit vielem Vergnügen erinnere und die so mancher zu seinem Schaden verliert, die wilde Zeit, die mir mein Vater gewährte.

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Feld und Wald waren zu meiner Verfügung, und als ich noch ein ganz kleines Bürschchen war, nahm mein Gönner, der Großknecht Peter Bins, mich vor sich aufs Pferd und ließ mich mit zu den Pflügern oder ins Garbenfeld reiten, wenn eingefahren wurde. Sobald ich etwas größer war, setzte er mich aufs Beipferd und gab mir die Mähne in die Hand mit den Worten: „so, halte Dich fest und falle nicht herunter!"

Auf diese Weise lernte ich sehr zeitig reiten und gewöhnte mich so daran, mit Pferden umzugehen und fest zu sitzen, dass ich bei all meinen Abenteuern zu Pferde kaum öfter als dreimal heruntergefallen bin. Es versteht sich, dass immer ohne Sattel, sehr oft auch mit der bloßen Halfter, also ohne Zaum geritten wurde.

Es waren vier Gespann, also 16 Zugpferde auf dem Hofe, gelegentlich noch einige Füllen. Diese kannte ich alle sehr genau, und hatte sie alle geritten, außer dem Hengst Nathan, der zu wild war und immer nur von dem Kutscher selbst gehandhabt wurde.

2. Dieser Kutscher spielte übrigens einmal meiner Mutter und mir einen Streich, der ihn um seinen soliden Ruf brachte. Er hatte uns zum Jahrmarkt nach Sagard gefahren und dort sich unvorsichtig den Freuden der Flasche ergeben. Am Abende fuhr er vor, wir stiegen ein, und auf sein Zeichen mit der Peitsche setzten sich die Pferde in Trab. Es ging ziemlich rasch zum Flecken hinaus, kaum aber hatten wir den Feldweg erreicht, so fielen die Pferde in Galopp und, trotz der Befehle und Bitten meiner Mutter, vom gewöhnlichen in den gestreckten Galopp; es ging nach Hause, und offenbar hielten die mutigen Tiere einen förmlichen Wettlauf nach dem Stalle. Mir war dies höchst belustigend, aber meine Mutter schwebte in Todesangst und das um so mehr, da Niclas Wessel, der Kutscher, auf alles Rufen und Schelten nicht antwortete, sondern sich offenbar nur mit der größten Mühe auf seinem Sitze erhielt. Ich stellte mich hinter ihn, sah nach den Zügeln und berichtete meiner Mutter, er hielte sie ganz straff und müsste wohl wissen, dass es gut ginge. Aber meine Mutter beruhigte sich nicht; sie wollte selbst die Zügel ergreifen, und die Pferde bändigen. Alles umsonst, sie rannten fort im wilden Zuge, hielten aber genau vor unserer Haustür an. Äußerst aufgeregt und erschreckt stieg meine Mutter ab; ich war längst hinabgeklettert und vor die Pferde hingetreten, um sie zu klopfen und zu liebkosen. Da bemerkte ich, dass sie gar nicht aufgezäumt waren, sondern die Zäume lose über den Ohren hängen hatten. Sogleich rief ich: „Niclas, die Pferde sind ja gar nicht aufgezäumt!" Niclas aber brauchte selbst Hilfe und Beistand; und mein Ausruf diente nur dazu, seine Schuld ins grellste Licht zu setzen. Am andern Tage wurde ihm angekündigt: „man könne ihn nicht wieder auf den Jahrmarkt fahren lassen; anderswo hat es keine Gefahr", sagte mein Vater. Aber meine Mutter vergaß es ihm sobald nicht, und sagte sehr oft, wenn sie in den Wagen steigen wollte: „Niclas, sind die Pferde auch ordentlich aufgezäumt?" was ihn allemal sehr verdross.

3. Im Winter ritten wir Jungen die Pferde aus dem Stall zur Tränke. Der Bach war nicht weit vom Hofe. Aber im Sommer standen alle Pferde, außer dem Hengst und den andern Wagenpferden, dem Gespanne des Kutschers, vor den Wicken. Das Wickenfeld war bisweilen weit von der Tränke entfernt, und bei der Gelegenheit hielten wir dann die schönsten Wettrennen. Eigentlich waren die Wettrennen nicht erlaubt, aber wir hatten scharfe Augen und wussten allemal ganz genau, wann und wo wir jagen konnten, ohne meinem Vater über den Weg zu reiten. Die Pferde waren an Leinen, die am anderen Ende so in die Erde gepflöckt wurden, dass sie einen gewissen Ausschnitt der Wicken abfressen konnten, dies hieß im Plattdeutschen, sie standen am „Tüder!" Der „Tüder" ist kein Zaum, er ist sogar noch bequemer, als eine Halfter, diente uns also nur wenig zum Lenken der Pferde, wenn wir sie zur Tränke ritten; und wenn wir im vollen Rennen betroffen wurden, so konnten wir uns leicht damit entschuldigen, sie seien uns durchgegangen. Natürlich wussten wir sehr genau, welche Pferde gut liefen und welche mit einander in die Wette laufen konnten; da jeder aber auch ein Handpferd mitnehmen musste, so wurde die gerechte Verteilung noch schwieriger. Der Hauptspaß blieben die beiden letzten Pferde, die wir einzeln nehmen konnten und wozu wir uns die besten Renner aufsparten.

Um schneller bei ihnen anzulangen, fiel es mir einmal ein, wir könnten es machen, wie die Rosskamme, die mit einer Reihe von Pferden einherzogen immer eins an den Schwanz des andern gebunden. Gleich das nächste Mal wurde dieser kühne Plan ins Werk gerichtet. Es gelang uns, die Schwänze der ganzen Reihe aufzuschürzen und dann immer jedes an dem Schwanze des Vorderpferdes zu befestigen. Knipps und Brüning, unsere beiden Renner, ließen wir vor den Wicken stehen; mit den übrigen zogen wir zur Tränke ab, ich auf dem vordersten, mein Gefährte auf dem hintersten Ross. Bis zum Wasser ging alles vortrefflich; hier aber zeigte sich ein Übelstand; wir hatten den Pferden nicht Leine genug (nich nooch Bott) gegeben, um mit dem Maul ins Wasser zu langen, und die Vorderpferde machten den andern den Bach trübe. Beides hatten wir nicht bedacht, als wir uns die Züge der Rosstäuscher zum Muster nahmen. Nun waren aber die Tiere durstig und wurden äußerst ungeduldig, als sie so im Wasser standen und nicht trinken konnten. Ich befahl meinem Freunde ins Wasser zu springen und eins nach dem andern länger zu binden; aber es war zu spät; die Pferde fanden sehr bald, dass uns das Aufschürzen der Schwänze und das Befestigen des „Tüders" daran nur unvollkommen gelungen war; die hintersten zupften, die vordersten schlugen aus und in wenig Augenblicken war die ganze Reihe aufgelöst. Sie soffen nun nach Gefallen und liefen dann auf die Wiese, die in der Nähe war, den Tüder hinter sich herschleppend, wiehernd und ausschlagend. Wir schämten uns über die Unordnung und Verwirrung, die wir angerichtet; vergebens suchten wir die Flüchtlinge wieder einzufangen, auch treiben wollten sie sich nicht lassen; und, was wir gefürchtet hatten, traf ein, mein Vater kam grade in dem Augenblicke der ärgsten Auflösung dazu. Er war sehr aufgebracht, besonders, weil auch ihm das Einfangen der losgerissenen Pferde nicht gleich gelingen wollte, und fand, dass diese vorwitzige Neuerung ernstlich bestraft werden müsse. Statt um die Wette zu reiten, hatten wir nun um die Wette zu weinen und wurden durch diese üble Wendung der Sache allerdings bedeutend vorsichtiger beim Tränken der getüderten Pferde.

Ruge, Arnold (1802-1880) in Bergen auf Rügen geborener Schriftsteller, Verleger und Politiker

Ruge, Arnold (1802-1880) in Bergen auf Rügen geborener Schriftsteller, Verleger und Politiker

Pferdestall auf dem Gut

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Reiter, Landjugend

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Pflügen, vierspännig Pferde

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Getreideernte, ein Fuder Getreidegarben

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Pferdeknecht beim Pferdefüttern

Pferdeknecht beim Pferdefüttern

Pferdetränke

Pferdetränke