Aus früherer Zeit. Band 1 - Kindheit. 26. Die Regierung.

Schwedisch-pommersche Zustände auf der Insel Rügen
Autor: Ruge, Arnold (1802 in Bergen auf Rügen-1880 in Brighton) Schriftsteller. 1848/1849 Angehöriger der Frankfurter Nationalversammlung, Vertreter der demokratischen Linken, Erscheinungsjahr: 1862

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Insel Rügen, Tromper Wiek, Heimat, Ostsee, Heimatinsel, Strand, Meer, Fischer, Bauern, Landleben, Franzosenzeit, Sitten und Bräuche, Jugenderinnerungen, Schwedenzeit
Ich habe allerlei Erinnerungen an die Zustände der Schwedenzeit mitgeteilt. Ich sage nicht, dass wir den Luxus, den man Regierung nennt, nicht gehabt hätten, nicht nur das, auch einige Regimenter Soldaten, die Leibregimenter hießen, hatten wir; aber die Verordnungen der Regierung standen nicht hoch in Ansehen. Das L. S. in einem Kreise linker Hand, loco sigilli, pflegte man auszulegen: „Lügen sinds"; und die allerhöchsten Verordnungen wurden eben so schnell vergessen, als sie erschienen. Um Wegebauten, und um die Stralsunder Gosse, die offen in der Mitte der Straße lief und im Winter manchmal halsgefährliche Löcher bildete, kümmerte sich das hohe Kollegium nicht. Um einen Begriff von dem Zustande der Landstraßen in Schwedisch Pommern zu erlangen, braucht man nur zu wissen, dass sie weder durch Gräben, noch durch Bäume bezeichnet waren, dass sie daher bei dem ersten Schneefall vollkommen ins Allgemeine verschwanden, und dass ich einmal auf einer Fahrt bei Tauwetter von Triebsees nach Stralsund das Leinpferd unsers Viergespanns bis übers Kreuz in einem Wasserloch mitten im Wege verschwinden sah. Man hätte doch denken sollen, Wege und Brücken gehörten unter die Gegenstände dieses landesväterlichen, völlig absoluten und geheimen Kollegiums; aber die Herren wagten lieber ihren Hals auf den grundlosen und marklosen Landstraßen, als dass sie ihr blödes Gehirn mit Plänen zu Wegebauten belästigt hätten. Usus und Abusus regierten in angenehmem Dusel neben einander, und dabei war alle Selbsttätigkeit des Volks für allgemeine Angelegenheiten völlig lahm gelegt.

2. Dennoch hatten diese paradiesischen Zustände warme Anhänger, nämlich alle so ziemlich erblichen Mandarine dieses Chinesentums, und so zu sagen gar keine Gegner, denn das Volk, selbst die Stadtbewohner, waren gegen Stadt- und Staatssachen völlig gleichgültig, und lebten gedankenlos hin, nur mit dem Broterwerbe beschäftigt.

3. Das einzige Überbleibsel alter bürgerlicher Selbstherrlichkeit war in Stralsund die Predigerwahl, welche die Gemeinden, wenn auch nicht ohne Leitung und Einfluss des Burgemeisters, selbst vollzogen. Die Kandidaten, die sich bewarben, hielten Probepredigten Einer nach dem Anderen. Alsdann versammelten sich alle Bürger des Kirchspiels in der Kirche; ein verschlossener Mahagonikasten, der oben einen Spalt hatte, nahm die Stimmzettel der Bürger mit dem Namen des Gewählten auf; die Wahl dauerte nur einige Stunden; dann wurden die Schlüssel herbeigeholt, die Stimmzettel ausgeschüttet und gezählt. Wer von den beiden Kandidaten, die auf die Wahl gekommen waren, die Mehrheit hatte, der war gewählt und seine Wahl wurde sogleich durch den Burgemeister verkündigt. Wer aber auf die Wahl kommen sollte, das dächt' ich, hätte der Rat bestimmt, allemal nachdem eine Anzahl junger Männer zur Probe gepredigt.

Ruge, Arnold (1802-1880) in Bergen auf Rügen geborener Schriftsteller, Verleger und Politiker

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Bernadotte, Jean Baptiste (1763-1844) schwedischer Oberbefehlshaber der alliierten Nordarmee gegen Napoleon, von 1818 an als Karl XIV. Johann König von Schweden

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Wilhelm Malte I. Fürst zu Putbus (1783-1854) Großgrundbesitzer und Politiker (2)

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Stralsund, Rathaus

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Stralsund, Semlowertor

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