Aus früherer Zeit. Band 1 - Kindheit. 09. Die Robben

Schwedisch-pommersche Zustände auf der Insel Rügen
Autor: Ruge, Arnold (1802 in Bergen auf Rügen-1880 in Brighton) Schriftsteller. 1848/1849 Angehöriger der Frankfurter Nationalversammlung, Vertreter der demokratischen Linken, Erscheinungsjahr: 1862

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Insel Rügen, Tromper Wiek, Heimat, Ostsee, Heimatinsel, Strand, Meer, Fischer, Bauern, Landleben, Franzosenzeit, Sitten und Bräuche, Jugenderinnerungen, Schwedenzeit
Die Tromper Wiek friert nicht zu, wenn das Eis im Bodden (dem Binnenwasser) und zwischen Stralsund und Rügen auch ellendick wird. Bisweilen aber brechen die Stürme das Eis im Bothnischen Busen los, und führen es in großen Massen herüber. Dies geschieht etwa im Februar. Und so füllt dann dieses Treibeis die ganze Bucht. Aber es ist keine ebene Fläche, sondern ein Geschiebe der verworrensten Art, in dem sich oft kleine Eisberge aus zerbröckelten Schollen auftürmen. Manchmal bleibt auch ein ganzer Teich offen, und einmal hatte eine große Menge Robben, um einen solchen Teich gelagert, die Fahrt aus dem Norden mitgemacht, um hier von den Bauern erschlagen zu werden.

2. Nun hatt' ich einen Freund und Altersgenossen, der mir von den Heldentaten der Bauern und Fischer gegen die Robben erzählte. Die Robben waren etwa eine halbe Meile vom Lande entfernt gewesen, die Bauern hatten sie durch einen Flankenmarsch von ihrem Teich im Eise abgeschnitten und so eine Menge von ihnen in ihre Gewalt bekommen. Dies beschlossen wir, ihnen nachzutun; vielleicht erlegten wir einen von den übrig gebliebenen Seehunden. Wir rüsteten uns mit einem Schlitten und einem Beil aus. Dann nahmen wir einen ziemlich langen Strick mit; diesen band ich mir um den Leib, und mein Gefährte band sich das andere Ende um; wenn ich einbräche, sollte er mich mit dem Strick wieder herausziehen; ich ging nämlich voraus mit dem Beil, und er folgte mit dem Handschlitten.

Wie diese höchst unsinnige Unternehmung ausgefallen sein würde, wenn wir uns ganz wären überlassen geblieben, kann ich nicht sagen. Wir waren aber kaum einige Flintenschüsse vom Lande entfernt, als mein Vater, der zufällig an den Strand heruntergekommen war, uns bemerkte, und sich nun anstrengte so laut zu rufen und zu pfeifen, als er konnte. Ich erinnere mich nicht, ob wir ihn hörten, wohl aber, dass wir ihn bemerkten und winken sahn. Wir hielten einen kurzen Kriegsrat und beschlossen dann, umzukehren, um seine Einwilligung, wenn nicht seine Mitwirkung zu erlangen. Aber bei der Rückkehr schlugen wir nicht den nämlichen Weg ein, den wir gekommen waren. Die Eisberge sahen einander so ähnlich, und wir hatten auch eben kein Gewicht darauf gelegt, ob es gerade der nämliche Weg sei, sonst wäre nichts leichter gewesen, als genau der Spur des Schlittens zu folgen, da das Eis eine bröcklige Oberfläche hatte, und die Spur deutlich zeigte. Der neue Weg führte uns aber an eine offene Stelle, und wir erschraken nicht wenig, als wir uns plötzlich durch einen langen breiten Graben vom Lande abgeschnitten sahen. Dabei fiel mir ein, dass ich von meinem Vater gehört hatte, dies Eis halte nicht fest zusammen, sobald das Wasser sich in Bewegung setze, bräche es stellenweise auf, und ein guter „Wind vom Land führe dann die ganze Eisdecke so rasch von dannen, als sie gekommen sei.“ War dieser Graben ein solcher Bruch, und waren wir schon so weit abgesegelt? Die Eisberge ließen uns nicht mit einem Blick aufs Reine kommen, denn sie versperrten uns überall die Aussicht. Wir sahen jetzt ein, dass keine Zeit zu verlieren sei, und rannten eilig den Graben entlang in der Richtung, wo wir unsern ersten Weg zu finden hofften. Dies dauerte ziemlich lange, und mein Vater war in nicht geringer Aufregung, als er unsre Verlegenheit bemerkte. Um uns jedoch nicht zu erschrecken, ließ er uns ruhig gewähren. Endlich kam das Ende des verwünschten Grabens und zu gleicher Zeit die Schlittenspur, die dicht an ihm vorbeiführte, aber, wo sich uns vorhin, hinter einigen aufgeschobenen Eisbergen, der Graben verborgen hatte. Wir sahen jetzt auch, dass wir bei der Rückkehr gerade auf meinen Vater zugesteuert und dadurch von unserem Hinwege abgekommen waren. Nun ging's im vollen Laufe ans Land, und mein Vater empfing uns mit dem Ausruf: „Was in aller Welt fällt euch ein, ihr Jungen? Wisst ihr denn nicht, dass der Wind vom Lande bläst, und dass dies Eis bald wieder auf und davon sein wird? Was wolltet ihr auf dem Eise?"

Robben schlagen, Vater, erwiderte ich.

Jetzt fiel ihm unser Aufzug in die Augen; er verbiss sich das Lachen und sagte: „solche Dinge dürft ihr mir nicht heimlich unternehmen, das muss ich allemal wissen, hörst Du wohl?"

Dieses, „hörst Du wohl?" war ein sehr ernsthafter Ausdruck und prägte mir das Verbot gehörig ein. Es versteht sich aber, dass ich es nur auf das Robbenschlagen bezog; denn wer konnte wissen, was Alles sonst noch nicht heimlich unternommen werden durfte?

Wir gingen zusammen nach Hause. Am andern Morgen war keine Spur mehr von dem Eise zu sehen, und es kam mir jetzt vor, als hätt' es sich schon gestern unter unseren Füßen gehoben und geregt.

Ruge, Arnold (1802-1880) in Bergen auf Rügen geborener Schriftsteller, Verleger und Politiker

Ruge, Arnold (1802-1880) in Bergen auf Rügen geborener Schriftsteller, Verleger und Politiker

Robben, Walross

Robben, Walross