Aus dem Leben eines deutschen Schulmannes. Friedrich Herrmann (1775-1819) Pädagoge, Publizist und Professor am Katharineum zu Lübeck.

Aus: Unterhaltungen am häuslichen Herd. Herausgeber: Gutzkow, Karl. Neue Folge . Band 3
Autor: Asmus, Heinrich (?), Erscheinungsjahr: 1858
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Mecklenburg-Schwerin, Doberan, Badekur, Wismar, Lübeck, Exil, Franzosenzeit, Befreiungskrieg, Patriot, Universität Leipzig, Mitweida,
An einem wetterwendischen Apriltage des Jahres 1792 bezog ein blühender Jüngling, mit vollen, roten Wangen und unverzagt in eine Zukunft blickend, die ihm wenig Erfreuliches darbot, die Leipziger Universität, um auf derselben den theologischen und besonders den philologischen Studien obzuliegen. Seine ganze Barschaft bestand in einem Speziesthaler, in einigen Nahrungsmitteln und etwas Wäsche.

Dieser Jüngling hieß Friedrich Herrmann. Er ward in dem sächsischen Fabrikstädtchen Mitweida von sehr armen Eltern am 28. Juni 1775 geboren. Sein Vater hatte als Soldat den Siebenjährigen Krieg mitgemacht und erhielt nach empfangenem Abschied eine kleine Pension, später eine Akziesestelle in Leipzig, die ihm wöchentlich noch keinen preußischen Thaler einbrachte. Hier in Leipzig empfing der Knabe in einer Winkelschule den ersten Unterricht, musste aber dieselbe verlassen, als sein Vater bald darauf eine Torschreiberstelle in Naumburg erhalten, wodurch die Eltern zwar in bessere Umstände versetzt wurden, aber dessen ungeachtet mit Nahrungssorgen zu kämpfen hatten. Auch wurde der Unterricht des Kleinen in einer Winkelschule fortgesetzt, bis er endlich in die dortige Stadtschule überging, wo es aber freilich mit dem wilden und lebensfrohen Knaben eben nicht ans der Stelle wollte. Erst von seinem zehnten Jahre an wurde er plötzlich fleißig und arbeitete sich unter den ungünstigsten häuslichen Verhältnissen so empor, dass er schon in seinem zwölften Jahre weit altern Schülern Nachhülfe im Lateinischen und Griechischen erteilen konnte. Für die Stunde empfing er einen Pfennig; später jedoch gab er auch bei einigen Familien im Französischen Unterricht, der schon besser, mit sechs Pfennigen, honoriert wurde. Wie im Fluge erreichte er Prima und seine kleine, unbedeutende Gestalt stand wie ein Kind neben den andern Primanern, denen sein ärmliches Äußere oft zu Neckereien Anlass gab und wodurch der gutmütige Jüngling sich tief gekränkt fühlte und oft mit stillem Neid auf seine wohlhabenden Kameraden blickte, mit denen er auch nicht die unschuldigsten Vergnügungen teilen konnte. Und doch hätte er es ihnen gar zu gern gleichgetan! So erzählte uns Herrmann selbst, dass er sich einst ohne Vorwissen seiner Eltern wie die übrigen Primaner gepudert hätte; kaum aber entdeckte der Vater diesen „Frevel“, so blies er so lange und eifrig auf den hoffärtigen Schwarzkopf los, bis dieser sich wieder in seiner natürlichen Farbe darstellte. Die Zeit seiner Reise ruckte näher; doch als Herrmann glaubte, endlich der Sorge bei seinen akademischen Studien bar zu sein, da stieß das Geschick diese seine Hoffnung wie ein Kartenhaus um. Ein Bruder von Herrmanns Mutter nämlich, der Prediger Feilgenhauer in Dresden, hatte ihm versprochen, ihn aus seinen Mitteln studieren zu lassen; allein er starb einige Wochen früher, ehe Herrmann für die Universität reif erklärt wurde. Somit waren alle Hoffnungen, alle Aussichten mit Einem Schlage dem strebsamen Jünglinge vernichtet, allein sein eiserner Wille ertrotzte sich das gleichsam vom Schicksal, was es ihm zu verweigern schien, und so haben wir ihn mit Mut und Lebenslust in Leipzig einwandern sehen.

Ganz auf sich, seine Kraft und die inneren Hilfsmittel angewiesen, finden wir den siebzehnjährigen Jüngling unter den härtesten Bedürfnissen unausgesetzt seine Wege nach der Aula machen und mit ganzer Liebe den Wissenschaften obliegen. Es gehörte in Wahrheit Mut und Kraft dazu, unter solchen Umständen zu studieren! Allein Herrmann war erfinderisch, wenn die bleiche Sorge allzu stark an die Tür klopfte. Anfangs bemühte er sich um Privatstunden und erhielt auch einige, unter denen die bei dem Professor Hindenburg zu erwähnen sind; später versuchte er sich als Schriftsteller. Sein erstes Buch, ein Roman, hieß: „Don Vejos, der Vatermörder“; diesem folgte „Lucio Chioramonti“ und andere, die noch jetzt in Leihbibliotheken zu finden, aber größtenteils nicht mit seinem Namen als Verfasser versehen sind. Einmal bemerkte er, als er einen Roman schon über die Hälfte fertig hatte, dass sein Held keinen Charakter habe. Hurtig schrieb er: „Doch, lieber Leser, du wirst fragen: „Was hat denn der Held für einen Charakter? Ich antworte: Keinen, und eben das ist sein Charakter, dass er keinen hat!“ Später versuchte er sich als Gelegenheitsdichter; er verfasste kleine Flugschriften über Mordtaten, Hinrichtungen und andere Aufsehen erregende Ereignisse; kurz er wusste immer Rat, dass sein Geldbeutel, wenn er der Form einer abgezogenen Aalhaut glich, in eine gefälligere verwandelt wurde. Hatte er den Tag hindurch für das Leben gearbeitet, so lebte er des Nachts seinen Studien oder verließ häufig mit dem Hahnenruf schon wieder das Bett, in dem er kaum warm geworden. Dass eine derartige Anstrengung selbst auf den kräftigsten Menschen nachteilig einwirken musste, ist erklärlich; auch Herrmann erfuhr dies leider bald; es zeigten sich mitunter Anfälle von Blutauswurf. Übrigens hörte er aber nicht sehr viele Collegia; am liebsten waren ihm die philosophischen eines Platner, die philologischen eines Beck und die physikalischen eines Hindenburg. So verweilte Herrmann sieben Jahre in Leipzig. Um Fastnacht 1798 erhielt er das Doktordiplom und ließ sich in die Loge „Apollo zu den drei Akazien“ als Freimaurer aufnehmen.

Die letzten Jahre über wohnte Herrmann bei einem Leipziger Bürger, Knorr, in dessen Familie er bald als ein Glied angesehen wurde, das zu beleben und zu schmücken verstand. Es entspann sich zwischen ihm und der Tochter vom Hause ein inniges Verhältnis, das bald seinen Wunsch nach einer festen Anstellung rege machte. Da wurde das Konrektorat in Lübben in der Niederlausitz erledigt; der junge Mann hielt darum an, kam aber ohne Hoffnung nach Leipzig zurück und erhielt dennoch einige Wochen später unerwartet die Vokation. Im September 1799 trat er schon, 24 Jahre alt, sein Amt an und gegen Wettmacht erfolgte seine Verheiratung. Aber sein Amt brachte ihm jährlich höchstens 230 Thaler ein. Davon sollte er seine Familie ernähren und die in Leipzig notgedrungen gemachten Schulden abzahlen. Um Dies und Jenes einigermaßen auszugleichen, gab er täglich 14 Schul- und Privatstunden und verwandte die übrige Zeit an Arbeiten für Buchhändler. So schrieb er für den Buchhändler Gotsch eine moralische „Kinderbibliothek“, auf deren Veranlassung er 1804 von dem schwarzburg-rudolstädtischen Hofe das Diplom als Hofrat empfing; auch für Hinrichs in Leipzig schrieb er mehre Sachen und wurde überdies Mitglied mehrerer gelehrten Gesellschaften. Die Folgen dieser übermäßigen Anstrengung stellten sich auch bald ein: der Bluthusten wurde stärker. Dessen ungeachtet studierte er aber unausgesetzt seine Lieblinge, die alten lateinischen und griechischen Klassiker, und erlernte einmal in den Sommerferien die italienische Sprache und später ebenfalls auf ähnliche Weise die spanische; selbst in der englischen Sprache war er größtenteils sein eigener Lehrer.

Wenn Herrmann in Lübben auch mit dem Leben kämpfen musste, so bezeichnete er doch die dort verlebten sechs Jahre als die schönsten seines Lebens, und er hatte Ursache dazu: er ward geehrt, geachtet und gern gesehen. Namentlich war es aber der intime Umgang mit dem Landespräsidenten von Trozsky, den beiden Freiherren von Manteuffel, dem Kammerherrn von Löben, dem General Lessing und dem Bürgermeister Alberti, welcher ihm den Ort so lieb machte und wo er seine Bestrebungen gedeihen und anerkannt sah. Aber sein größtes Glück und seine reinsten Freuden fand er doch im engeren Familienkreise; häufig nahmen daran teil der Buchhändler Gotsch und ein schlichter Bürgersmann, Donath. Mit Hilfe dieser beiden Männer wurde der Hof, welcher an die Wohnung stieß, in einen Garten umgewandelt und in demselben eine Kegelbahn angelegt, auf der des Sonntags an manch schönem Nachmittage nach Herzenslust Kegel geschoben wurde, wobei der alte Donath selbstverständlich nie fehlen durfte. Im Sommer wurden auch mitunter Landfahrten auf die benachbarten Dörfer gemacht oder eine Wasserpartie in den Spreewald verabredet, und hier unter den alten ehrwürdigen Eichen und entfernt von jeder menschlichen Wohnung brachte die kleine Gesellschaft, nur der Natur und ihren Genüssen lebend, einen frohen Tag hin.

Durch mehre politische Aufsätze, die Herrmann für die „Minerva“ geliefert, war er auch mit deren Herausgeber, mit Herrn von Archenholz in Hamburg, bekannt geworden. Dieser Mann war durch seine Monatsschrift reich geworden, eine Seltenheit in Deutschland, und um diesen Reichtum nun mit mehr Gemächlichkeit verzehren zu können, sah er sich Herrmann als Redakteur aus, machte ihm die glänzendsten Vorschläge und lud ihn ein, die Sommerferien bei ihm zuzubringen. Herrmann entsprach diesem Wunsche und war bei seiner Rückkehr ganz eingenommen für den Herrn von Archenholz und dessen Verheißungen. Jedoch schrieb er an den Oberhofprediger Reinhard in Dresden und an andere Freunde und bat um ihren Rat. Alle rieten ab, namentlich die Leipziger Freunde, wo Archenholz früher gelebt hatte und bekannt war. Schon schwankte Herrmann in seinem Entschlusse, aber die Lockungen des Herrn von Archenholz und die Aussicht auf endliche Errettung aus seiner drückenden Lage trugen den Sieg davon. Er kam um seine Entlassung ein und reiste gegen Johannis 1805, von seiner Familie begleitet, von Lübben ab: er ging dem schrecklichsten Jahre seines Lebens entgegen.

In Lübben hatte Herrmann wenn auch nur ein kärgliches; doch sicher nährendes Amt gehabt, in Hamburg sah er sich gänzlich der Willkür von Privatpersonen übergeben, die nicht nur ihre Zusicherungen gänzlich umgingen, sondern ihn auch aus eine gefühlverletzende Weise behandelten. Zur ersten Einrichtung waren ihm 200 Thaler versprochen, er empfing — 30 Mark. Eine anständige Wohnung nannte man einen elenden Raum, in dem Herrmann mitten unter den Wintervorräten arbeiten musste. Sein Gehalt wurde geschmälert, wo es nur tunlich, und die Auszahlung desselben noch überdies so lange verzögert als nur irgend möglich; mit einem Worte: Herrmann war mit den Seinigen in einer recht misslichen Lage, sodass es ihm oft, trotz der unermüdlichsten Tätigkeit, an dem Notwendigsten gebrach und er durch die Geburt einer Tochter in keine kleine Verlegenheit geriet. Aber das alte Sprichwort bewährte sich auch bei Herrmann. Er war durch seinen Hilfsunterricht, den er am Johanneum gab, mit dem Direktor Gurlitt bekannt geworden und dieser hatte ihn als Schulmann liebgewonnen. Als kurz darauf (1806) an dem Lübecker Gymnasium eine Professur zu besetzen war, schlug Gurlitt den Privatdozenten Herrmann vor und hatte die Freude, dem jungen Manne die Vokation nach einigen Wochen schon überreichen zu können. Am Himmelfahrtstage zog Herrmann mit seiner Familie nach Lübeck. Es war in Wahrheit eine Fahrt in den Himmel. Mit Archenholz entstand ein Prozess, den ein Vergleich später beilegte.

Hier in Lübeck nun wirkte Herrmann mit Lust und Liebe als Lehrer, Bibliothekar, Redner in der Loge und als Schriftsteller; aber fort und fort lösten Leiden die Freuden ab. Jedoch fühlte er sich glücklich; er kannte in Lübeck keine Nahrungssorgen, er war geachtet und geehrt, sowohl von seinen Kollegen wie auch von den Bürgern und seinen Schülern. Und wäre die politische Lage der Stadt eine bessere gewesen, Herrmann hätte wenig zu wünschen gehabt. Aber das Joch, welches die Franzosen Lübeck geschmiedet, griff ihn stark an und er sprach sich darüber in der Loge ungezwungen aus, wodurch er sich bald in die gefährlichste Lage brachte. Auch starb in diesem Jahre (1806) sein Vater, dem die Mutter 1810 folgte. „So vermindert sich“ — schrieb er seinem Schwager — „der Kreis Derer, die uns teuer sind, von Jahr zu Jahr. Aber wem soll man auch in diesen Zeiten zu leben wünschen? So viel muss uns, dünkt mich, immer klarer werden, dass, mit Schiller zu reden, der Tod „der Übel größtes“ nicht ist.“

Zu dem ersten Konflikt, in welchen Herrmann mit den Franzosen geriet, gab seine freisinnige Zeitschrift „Erhebungen“ Veranlassung. Der lübeckische Verleger des Blattes erhielt von Leipzig aus die Warnung, wach zu sein, da man daselbst bereits einen Buchhändler verhaftet habe, der die Zeitschrift debitierte. Herrmann hatte indes fürs Erste keine weitere Belästigung, als dass er die „Erhebungen“ sistierte. Als man jedoch später bei einer Haussuchung einige Nummern dieser Zeitschrift vorfand, erfuhr auch Herrmann eine zweimalige Haussuchung. Glücklicherweise hatte er aber Zeit gehabt, eine Menge ihm wichtiger Papiere, die ihn kompromittieren konnten, zu verbrennen; darunter waren namentlich ein Handschreiben der Königin Luise von Preußen und einige Briefe von Mitgliedern des „Tugendbundes“, dessen Mitglied auch Herrmann war. Um diese Zeit erschien sein Buch: „Der Nationalfall“, wodurch der Hass der Franzosen gegen ihn nur noch mehr angestachelt wurde. Herrmanns Abneigung gegen die Fremdlinge entstand aber keineswegs aus blindem Nationalhass, er verkehrte mit mehren höheren französischen Militärpersonen und verbrachte in ihrer Gesellschaft manche Stunde in wissenschaftlichen Gesprächen; allein er konnte die Franzosenwirtschaft nicht gutheißen, die jedes Gesetz außer Acht ließ. Diese Unannehmlichkeiten seiner drückenden Stellung wurden noch vermehrt durch geschwächte Gesundheit. „Meine Brust“ — schrieb er 1811 einem Freunde — „tut, ich weiß nicht warum, nicht mehr die gewohnten Dienste. Meine Stunden werden mir sauer, die Stimme versagt mir und ist heiser, mein Atem sehr kurz, Schmerz und Beklemmung auf der Brust hören selten auf.“ Dieser geschwächte körperliche Zustand war unzweifelhaft eine Folge der übermäßigen Tätigkeit, welcher er sich unausgesetzt hingegeben, und ward bald Veranlassung, dass seine Teilnahme an gesellschaftlichen Zirkeln bedeutend abnahm und die früher an ihm gewohnte Heiterkeit sich allmählich verlor. Jedoch mit Aufmerksamkeit folgte sein Geist dem wechselvollen Gange des großen und allgemeinen Kampfes, den die Deutschen gegen Napoleon bestanden, dessen Verwicklungen ihn später zwangen, nach Mecklenburg zu entfliehen.

Zu dieser Flucht gab Folgendes Veranlassung. Am 30. Mai 1813 hatten die Franzosen, vereint mit den Dänen, Hamburg wieder genommen und Furcht und Schrecken verbreiteten sich auch nach kurzem Freiheitstraum über Lübeck. Herrmann aber hatte vor Allen Ursache, auf seiner Hut zu sein, denn er hatte Manches getan, was in den Augen rachsüchtiger Bonapartisten des Todes schuldig erscheinen konnte: er hatte eine Jubelhymne gedichtet, er hatte einen Triumphwagen, den man in Lübecks Straßen umherfahren ließ, mit Inschriften versehen, er hatte mit allen Kräften für die Errichtung eines Freikorps gewirkt, indem er öffentlich in einer Versammlung, auf den Schultern eines Freundes sitzend, damit man ihn sehen konnte, mit flammenden Worten für die gute Sache aufgemuntert und Hunderte von Jünglingen zur Einzeichnung bewogen. Und als das Freikorps auszog, hatte Herrmann auf öffentlichem Markte eine Rede gehalten, in welcher er zum Leben und Sterben für die heilige Sache ermahnte. Das Alles war in damaliger Zeit hinreichend, seine Freiheit unsicher zu machen und ihn zur Flucht anzutreiben. Schon am andern Morgen nahm er von seiner Familie und seinen Freunden Abschied und einige Tage später rückten die Franzosen in Lübeck wieder ein.

Herrmann verlebte in dem Hause eines mecklenburgischen Gutsbesitzers, dessen Sohn früher das Catharineum besucht hatte, vier glückliche Wochen in ländlicher Ruhe; dann begab er sich nach Doberan, wo er auf Anraten seines Arztes sechs Wochen das Bad gebrauchte und auch andere schmerzhafte Kuren nicht scheute, um, wenn möglich, seine zerrüttete Gesundheit wiederherzustellen. Aus den Briefen, die er von hier aus an seine Gattin schrieb, ersehen wir, dass er anfangs die Hoffnung hegte, durch das Bad seine Gesundheit wiederzugewinnen. Unterm 10. Juli schreibt er: „Ich bin insofern hier glücklich, dass ich meine Gesundheit immer mehr zunehmen sehe. O, wenn es mir gelingt, wieder der gesunde Mann zu werden, der ich vormals war, so will ich auch in meinen Schicksalen dieses Jahres die Güte der Vorsehung verehren, die mich mit Gewalt aus Lübeck stieß, um, solange noch Rettung möglich war, mich Rettung finden zu lassen. Denn ich sage dir, es war weit mit mir gekommen! Noch ein Winter in diesem Zustande — und ich war nicht mehr, oder ich war wenigstens nicht mehr fähig, meinem Amte vorzustehen und meiner Familie Ernährer zu sein. Was ich seit einem Jahre gelitten habe, teils am Körper, teils im Geiste, das weiß der Himmel!“*)

Allein die Franzosen hielten Lübeck länger besetzt, als Herrmann gedacht, und da er seine Freiheit nicht ohne Grund gefährdet glaubte, wenn er jetzt nach Lübeck zurückkehrte, so verweilte er länger in seinem Exil, als er anfangs glaubte. „Ich verließ dich und meine Kleinen“ — schreibt er am Michaelistage an seine Frau — „auf zwei oder drei Wochen, wie ich glaubte, und wir haben heute schon Michaelis. Ich wähnte den Sommer noch mit euch zuzubringen, und die zunehmende Kälte erinnert mich, dass der Winter vor der Tür ist. Und noch ist nicht mit Bestimmtheit zu erblicken der lang ersehnte Tag, der uns wieder vereinigen wird, so bunt und verworren sieht Alles aus. Freilich sind wir nicht die Einzigen, welche leiden, und das muss unser Trost sein! In der allgemeinen Not, in welcher Deutschland sich befindet, würden wir uns selbst einen Vorwurf machen müssen, wenn wir von Drangsalen verschont sein wollten. Es gilt jetzt nicht das Beste einer Stadt, nicht das Wohl eines Landes, es gilt die höchste und wichtigste Angelegenheit der europäischen Menschheit, und wie ließe sich die entscheiden, ohne dass Tausende dabei litten und Opfer bringen müssten? Gräme dich also nicht, wir dulden für eine gute Sache, und die Beharrlichkeit der Edlen krönt der himmlische Vater mit unvergänglicher Freude, wenn nicht hier, doch in einem andern Leben, zu welchem wir aus diesem kurzen, nichtigen Traume erwachen. Lange kann diese Spannung nicht dauern, sie ist zu groß; es muss in der Sache bald ein Ende kommen. Behalte also deinen Mut bei und richte ihn, wenn er wankt, auf durch den Hinblick auf das Glück künftiger Tage. Wie sich auch der große Kampf endigen mag, so viel wird immer gewonnen werden, dass es uns erlaubt sein wird, Menschen zu sein, und dies wird aufs neue Freude, Ruhe und Zufriedenheit in die Familien verbreiten.“

*) Während seiner Anwesenheit in Doberan wurde Herrmann auch häufig in den Zirkel der Großherzoglichen Familie gezogen und arbeitete für den Großherzog einen Plan zu einer gelehrten Landesschule aus, der so großen Beifall fand, dass Herrmann zwei Jahre später den Ruf zum Direktorat der Schule in Schmerle erhielt, den er jedoch mit aller Höflichkeit ablehnte.

Die Nachrichten, welche Herrmann von Lübeck und den Seinigen empfing, trugen viel zu seiner Beruhigung bei; von Seiten der französischen Behörden widerfuhr seiner Familie nicht die geringste Beeinträchtigung. Nur der Souspräfekt zeigte sich anfangs sehr aufgebracht gegen ihn, erklärte ihn für einen dem Staate und der Jugend gefährlichen Mann und konnte nur erst nach vielem Zureden und dringenden Vorstellungen der Freunde bewogen werden, für Herrmanns sichere Rückkehr Bürgschaft zu leisten. Diese zu benutzen, war denn auch Herrmann bereit; aber es fanden sich große Schwierigkeiten. „Der schwedische General Vegesack“ — schreibt er — „will mich zwar durchlassen, kann aber meinetwegen nicht mit den Franzosen parlamentieren, weil überhaupt gar nicht mit ihnen parlamentiert wird. Er rät mir dir Rückkehr ab und ermahnt mich, noch acht bis zehn Tage in Geduld zu stehen, weil dann Alles aufgeklärt werden soll.“

So entschloss er sich denn, in Geduld auszuharren und in dem Umgange seines liebenswürdigen Wirts, Pastor Schulze in Wismar, und der Lübecker Flüchtlinge, Syndikus Curtius und Pastor Geibel (Vater des Dichters Emanuel Geibel), einigen Ersatz für die Trennung von seiner Familie zu suchen, bis denn endlich der Triumphruf der Leipziger Schlacht auch nach Wismar drang und ihn mit seliger Freude erfüllte. Allein seine sehnlichste Hoffnung ging doch noch nicht sobald in Erfüllung; Lübecks Befreiung verzögerte sich bis zum 5. Dezember. Überdies war seine Gesundheit in dieser ganzen Zeit wieder äußerst schwankend, und wenn er darüber öfter die tröstlichsten Briefe schrieb, so fühlte er sich mitunter wieder dem Tode so nahe, dass er glaubte, seiner Frau den großen Schmerz nicht ersparen zu dürfen und in einem Briefe feierlich Abschied von ihr nahm. Allein es war anders beschlossen. Am 13. Dezember endlich verließ Herrmann Wismar und fuhr seiner neuen Vaterstadt zu. Es war bereits Abend, als der Wagen das Burgtor erreichte. „Gehören Sie auch zu unserer Familie?“ fragte der Torschreiber den Angekommenen. „Ja, ja!“ rief Herrmann mit Freudentränen und umfing schon in den nächsten Minuten Weib und Kinder.

Unter der treuen und sorgsamen Pflege der Seinen schien sich Herrmann nach und nach von den erduldeten Mühseligkeiten seines langwierigen Exils zu erholen, und mit aller Kraft griff er wieder zu den gewohnten Geschäften. Und diese wurden nun noch vermehrt durch die Herausgabe eines „Politischen Anzeigers“; zudem ward er Mitarbeiter an der „Jenaischen Literaturzeitung“, für welche er besonders im philologischen Fache rezensierte; auch gab er später mit dem Professor Ebeling und nach dessen Tode mit dem Professor Hartmann in Hamburg das „Magazin für die Kunde der außereuropäischen Länder und Völker“ heraus. Allein sein Siechtum verbitterte ihm fortdauernd seine frohesten Stunden; es stellten sich öfter schlimme Zufälle ein, hauptsächlich auch starke, mit Phantasien begleitete Fieberanfälle, sodass er nach und nach sich fast ganz von dem gesellschaftlichen Leben zurückzog und sich allein auf den Umgang mit seiner Familie beschränkte. Seine letzte Hoffnung war auf eine Erholungsreise gerichtet, zu welcher sein Arzt und seine Freunde schon lange geraten, die er aber erst im Juni 1817 antrat. Vorher vollendete er noch sein Nationalschauspiel: „Die Hunnenschlacht“, das am 18. Oktober desselben Jahres auf der Lübecker Bühne zur Aufführung kam.

Seine Reise brachte ihm wohl einige frohe Tage, aber keine gesunden; ihr Hauptzweck war und musste verloren sein. Seine letzte Hoffnung war dahin! Er sah sein liebes Lübben wieder, verlebte mehre heitere Tage in Leipzig und Dresden, besuchte in Naumburg jedes Plätzchen, das ihm als Knabe lieb geworden, fand in Jena bei Goethe eine freundliche Aufnahme und ging über Frankfurt in das Bad Ems, wo er sechs Wochen verweilte. Nach vollendeter Kur machte er eine Rheinreise bis Mainz, ging von da nach Heidelberg und über die Bergstraße zurück nach Frankfurt und vermochte noch bei dieser Gelegenheit den Weg von Bonn nach Remagen zurückzulegen.

Zu Anfang des Herbstes kehrte Herrmann nach Lübeck zurück, fest überzeugt, dass er für seine Übel weder Heil noch auch nur Linderung gefunden hatte. „Könntest du mich doch befreien von meinem qualvollen Dasein!“ sagte er häufig zu seiner Frau, und des Abends, wenn er zur Ruhe ging: „Ach, wie freue ich mich auf mein Bett! Die Stunden, die ich bewusstlos im Schlaf hinbringe, das sind ja meine einzigen schmerzlosen und glücklichen!“ Aber dennoch setzte Friedrich Herrmann seine Schulstunden nie aus, obgleich er gewöhnlich schon aus den Frühstunden erschöpft nach Hause kam. So verfloss ein Jahr. Kurz vor Weihnacht wurde ihm das Direktorat des Gymnasiums zu Soest angeboten, er lehnte aber auch diesen Ruf von sich ab. Das Weihnachtfest war für Herrmann das froheste im ganzen Jahre. Acht Tage vorher pflegte er schon seine Wanderungen anzustellen, um für seine Frau und Kinder einzukaufen, womit er sie am ersten Feiertag früh zu überraschen gedachte. Mehre Stunden vor Tagesanbruch, wenn noch Alle schliefen, war er schon in voller Tätigkeit, trug Alles herbei, was er bis dahin sorgfältig verborgen gehalten, zierte und schmückte das Zimmer — der große Lichterbaum durfte nicht fehlen — und legte für Jeden zurecht, was ihm beschieden war. Wenn dann endlich die Seinen eintraten, staunten, jubelten und sich freuten, dann war diese Freude seine höchste und seligste. So verlebte Friedrich Herrmann auch diese Weihnacht. Am 16. Januar 1819 hatte Herrmann den ganzen Tag über seinen Berufspflichten obgelegen und war mit den Seinen bis gegen 11 Uhr beisammen gewesen; am 17. war er nicht mehr. Schnell und schmerzlos, wie er’s oft gewünscht, war er hinübergegangen in die Wohnungen des Lichts und seine freundliche Miene schien zu sagen: „Mir ist nun recht wohl!"

Herrmann, Friedrich (1775-1819) deutscher Pädagoge, Publizist und Professor am Katharineum zu Lübeck

Herrmann, Friedrich (1775-1819) deutscher Pädagoge, Publizist und Professor am Katharineum zu Lübeck

Lübeck - Schifferhaus Außenansicht

Lübeck - Schifferhaus Außenansicht

Lübeck - Marienkirche

Lübeck - Marienkirche

Lübeck - Holsteintor

Lübeck - Holsteintor

Lübeck - Alte Speicher an der Trave

Lübeck - Alte Speicher an der Trave

Lübeck - Alte Gebäude an der Obertrave

Lübeck - Alte Gebäude an der Obertrave

Lübeck - Dom

Lübeck - Dom

Lübecker Kirchen

Lübecker Kirchen

Lübecker Bahnhof

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Lübeck - Burgtor

Lübeck - Burgtor

Lübeck - Dom und Museum

Lübeck - Dom und Museum

Lübeck - Holstentor

Lübeck - Holstentor

Lübeck - Blick auf das Holstentor

Lübeck - Blick auf das Holstentor

Lübeck - Schifferhaus, Innenansicht

Lübeck - Schifferhaus, Innenansicht

Lübeck - Schifferhaus, Außenansicht

Lübeck - Schifferhaus, Außenansicht

Lübeck - Standtansicht

Lübeck - Standtansicht

Lübeck - Holstenbrücke um 1820

Lübeck - Holstenbrücke um 1820

Lübeck - Marienkirche Innenansicht

Lübeck - Marienkirche Innenansicht

Lübeck - Marktplatz um 1820

Lübeck - Marktplatz um 1820