Aus Stralsund. Mitte August 1856. – Eisenbahn, Kirchengeschichte, Marienkirche

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 6ter Jahrgang 1856. Juli-Dezember
Autor: Redaktion - Deutsches Museum, Erscheinungsjahr: 1856
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Stralsund, Stadtgeschichte, Eisenbahn, Kirchengeschichte, Marienkirche
Schon wieder etwas Neues aus der ultima Thule, woher uns ja erst vor wenigen Wochen, erst Ende Juli berichtet ward? So mögen Sie und die Leser Ihres Blattes fragen, da dergleichen „Überstürzungen“ von hier Ihnen eben nichts Gewohntes sind. Indessen ist es auch eben nichts Neues, was diese Zeilen bringen, sondern nur eine kleine Gegenrede, dem Julikorrespondenten gegenüber; zunächst in Betreff der beabsichtigten Eisenbahnverbindung zwischen Greifswald und Passow oder Angermünde. Es wäre ein Irrtum, die Ausführung dieser Bahn schon als gesichert anzunehmen; das ist sie keineswegs, ja nach neueren Nachrichten aus Stettin ist sogar die Wahrscheinlichkeit, wenigstens auf eine geraume Zeit, verschwunden.

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Es ist ferner ein sehr erheblicher Irrtum, dass der Bau der schon vor drei Jahren konzessionierten direkten Berlin-Stralsunder Bahn irgendwie abhängig sei von jener beabsichtigten Greifswalder-Passower oder richtiger Stettin-Pasewalk-Greifswalder Zweigbahn, welche demnächst zwar auch über Passow oder Angermünde nach Berlin trachtet, aber auf so erheblichem Umwege und durch ein so ganz anderes Gebiet, dass die durch die Mitte Vorpommerns, Mecklenburg-Strelitz und den Templiner Kreis vorbereitete direkte Bahn zu jener Umwegsbahn eigentlich gar keine Beziehung hat. Wer die Verhältnisse der Eisenbahnfrage für ganz Vorpommern etwas näher kennt als der Julikorrespondent, wird nicht erwarten, dass Stralsund sich den Greifswalder Projekten anschließen könne und werde, bevor die weit wichtigere direkte Berlin-Stralsunder Bahn zur Ausführung gesichert und jedes weitere Bedenken beseitigt sein wird. Beiden Projekten fehlt es zur Zeit noch an den Geldmitteln. Für die Berlin-Stralsunder Bahn ist, vorläufig nur im Bahngebiet, bei den zunächst Beteiligten eine Aktienzeichnung eröffnet worden; diese hat namentlich in den an der Bahn liegenden Städten eine lebhafte Teilnahme erregt (es soll — Berlin ausgeschlossen — über eine Million von den Kommunen und Bewohnern der Städte gezeichnet sein). Bei den Gutsbesitzern, deren Interessen bei dieser Bahn vorzugsweise beteiligt sind, geht es, wie mit Allem in Pommern und Mecklenburg, mit der Aktienzeichnung nur langsam vorwärts; doch dürfte mit Unterstützung des Hofes in Neu-Strelitz, der, gleich dem preußischen Staate, bei dieser Bahn durch Domänen und Forsten ganz außerordentlich interessiert ist, ein hinlängliches Kapital gesichert werden können, um das Ziel zu erreichen. Viele Grundbesitzer kehren erst jetzt von ihren Sommer- und Badereisen zurück und haben eine sehr gesegnete Ernte in Empfang zu nehmen, wodurch denn auch der Mut steigen wird, zur Beschleunigung der Ausführung der für sie sehr wichtigen Bahn ihre sehr erheblichen Kapitalkräfte etwas mehr anzustrengen, als sie infolge der vorjährigen sehr schlechten Ernte bisher geneigt waren.

Was die von dem Julikorrespondenten erwähnte Generalkirchenvisitation betrifft, so hatte der Hr. Jaspis hier gerade auch nicht mit lauter geschliffenen Edelsteinen zu tun; rohe Feldsteine sind in den norddeutschen Strandgegenden häufiger. Dazu kommt noch, dass der für gute Saat sonst hier sehr fruchtbare Boden doch für die Lehre vom persönlichen Teufel und für ähnliche dürre Dogmen nicht sehr empfänglich ist und auch niemals war. Schon im Jahre 1407 wurden hier drei Pfaffen, als Verräter der Stadt und heimliche Anhänger des überstrengen Curd Borow, Archidiaconus von Tribsees, auf öffentlichem Markte, unter Anführung eines gewissen Kramer, lebendig verbrannt. Als später Pfaffenunfug die heiligsten Gefühle eines Luther und des ganzen deutschen Volks empörte, da erhob sich gerade hier der Widerstand überaus kräftig und würdig; die Gotteshäuser wurden, wenn auch etwas stürmisch, doch ohne Grausamkeit gegen die römisch-katholischen Geistlichen gereinigt, obwohl diese eifrigst versucht hatten, die Stadt den päpstlichen Bannstrahl empfindlich fühlen zu lassen und deren Straßen unter Verwünschungen mit einem Pfluge zu durchfurchen.

In Stralsund ward, in hanseatischer Selbständigkeit, eine der ersten evangelischen Kirchen- und Schulordnungen eingesetzt und trotz vieler Anfechtung von Seiten des Landesherrn aufrechterhalten. Es kam deshalb bald zu Kirchen- und Landtagen, endlich aber, nachdem Herzog Philipp Julius im Jahre mit einer Kirchenvisitation gewaltsam in die Rechte der Stadt eingedrungen, zu einem Erbvertrage (1615), worin für immer festgestellt ward, dass ein landesherrlicher Generalsuperintendent von Regierungswegen und zwar unter Zuziehung der Landstände nur in dem Falle einzuschreiten Macht haben solle, wenn Rat und Bürgerschaft mit der städtischen Geistlichkeit die Augsburgische Konfession von 1530 nicht aufrechterhalten könnten. Im Besitze dieses Rechtes befindet sich die Stadt noch jetzt und hat dasselbe, bei Zulassung des auch nur zur Information angesonnenen Besuchs des Generalsuperintendenten Jaspis, protokollarisch gewahrt. Diesen „Besuch zur Kenntnisnahme“ in eine förmliche Kirchen- und Schulvisitation umzuwandeln, war daher ein gewagtes Unternehmen, das denn auch vollständig misslungen zu sein scheint; man hat sich seitens der Visitatoren mit vielem Predigen, scharfem Examinieren der Geistlichen, öffentlichem Befragen der Gemeinden — auch mit einer Teufelspredigt — gewaltig abgemüht, doch ohne dabei den Samen christlicher Liebe ausgestreut zu haben. So wenigstens scheint hier die allgemeine Stimme zu lauten; vielleicht hat aber dabei das Missbehagen über versuchtes Eindringen in anerkannte vertragsmäßige sehr wichtige Stadtrechte — nicht etwa veraltete Satzungen — mitgewirkt. Einzelne Ausbrüche dieser Stimmung sind allerdings zu beklagen.

Die in Berlin ausgestellt gewesenen, von Sr. Majestät dem Könige der hiesigen St. - Marienkirche geschenkten, über 80 Fuß hohen und 17 Fuß breiten gemalten Kirchenfenster, sowie der in Berlin für Rechnung der St.-Nikolaikirche restaurierte Altarschrein mit kunstvoll geschnitzten Bildern sind hier angekommen. Dieser, bereits in der Aufstellung begriffen, stellt die Hauptszenen aus des Heilands Leben, namentlich die Kreuzigung dar, wobei denn auch ein personifizierter ganz abscheulicher Teufel erscheint, der mit der Seele des Schachers davonfliegt.

Stralsund vor der Alten Fähre

Stralsund vor der Alten Fähre

Stralsund, Jacobi-Kirche

Stralsund, Jacobi-Kirche

Stralsunder Hafen

Stralsunder Hafen