Aus Rostock (Journalschau, verpönte Journale) 1842

Aus: Zeitung für die elegante Welt
Autor: Kühne, J. G. Dr. (?-?) Redakteur, Erscheinungsjahr: 1842
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Stadtgeschichte, Universität, Universitätsgeschichte, Presse, Journale, Lesekabinett
Leipzig, Donnerstag, den 27. Januar und Freitag, den 28. Januar 1842
In England glaubt man nicht, dass die Wahrheit zu sagen grob oder unanständig sei, in Deutschland glaube man durch Freimut den Anstand zu verletzen, die Zensur steht als Wächterin über Anstand und gute Sitten mit der Schere bewaffnet zum Verschneiden der Auswüchse bereit; so muss man in Deutschland mehr zwischen den Zeilen zu lesen verstehen, was nicht jedermanns Sache ist. Die deutschen Journale bringen keine grobe Hausmannskost, mehr delikat zubereitete Sachen für den feinen Gaumen der haute-volée. Als solche, als Leckerei, als Naschwerk mit anderen Näschereien, genießen wir denn unsere Tagesliteratur in den Konditoreien. Fast überall in Deutschland hat sich die Journal- und Zeitungslektüre in diese Süßigkeitsanstalten, in diese Naschbuden geflüchtet, wo sie als Zugabe verabreicht und genossen wird. Nicht also in Rostock. Wir begnügen uns mit den materiellen Genüssen, die uns diese Naschbuden gewähren, einer geistigen Zugabe bedürfen wir nicht. Kaum findet sich hier und da der dreimal wöchentlich erscheinende Rostocker "Auszug aus den neuesten Zeitungen", der jedesmal ein Sammelsurium von politischen Nachrichten, einen halben Bogen stark, bringt uns Professoren, Kaufleuten, Advokaten, Bürger und Studenten den nötigen Bedarf an politischen Neuigkeiten liefert, - in der Hofkonditorei aber findet sich sogar das einmal wöchentlich in Schwerin erscheinende "freimütige Abendblatt" aufgelegt.

Unsere ganze Zeitungs- und Journallektüre konzentriert sich eigentlich in den geschlossenen Hallen der "Sozietät", einem Rauch-, Spiel- und Kegelclub, in dem jeder anständige Bürger, wenn ihn nicht einige Feinde beim Ballottement durchfallen lassen, aufgenommen werden kann. Diese äußerst zahlreiche "Sozietät" enthält Mitglieder aus allen Klassen der Gesellschaft, Professoren, fürstliche Räte, Advokaten, Ärzte, in überwiegender Mehrzahl aber Mitglieder des ehrenwerten Nähr- und Gewerbestandes, Kaufleute etc. Das Lesekabinett dieser Sozietät ist berühmt durch das ganze Land; in zwei Zimmern ist der Reichtum der periodischen Presse hier aufgestapelt und staunend bewundert der Mann aus der Provinz oder der ehrliche Landprediger, der hier eingeführt ist, die Mannigfaltigkeit dessen, was hier geboten wird. Die Mitglieder der Sozietät, gute, ehrliche, redliche Leute, aber etwas aufgeblasen vom Rostocker Bürgerstolz, nehmen den dargebotenen Weihrauch als schuldigen Tribut an und sind fest überzeugt, Rostock sei die erste Stadt der Welt und ein Lesekabinett wie das der Sozietät gebe es nicht weiter. In dem einen Lesezimmer, das gewöhnlich menschenleer und unbesucht ist, sind die wissenschaftlichen und belletristischen Sachen, die in Monats- und Wochenlieferungen erscheinen, ausgelegt, in dem anderen, das mehr besucht ist, die eigentliche politische Tagespresse. Wir finden hier die nötigen Bücher zum Nachschlagen, außer einigen englischen und französischen Zeitungen, die wir des Anstandes wegen und um sie doch zu haben halten, aber als gute deutsche Patrioten nicht lesen, die drei Hamburger Zeitungen und den Hamburger Freischützen. Drei Zeitungen aus einer Stadt schien denn doch ein bisschen viel, und so wurde vom Vorstand proponiert, nicht den Freischützen, sondern irgendeine andere der drei Hamburger Zeitungen, gleichviel welch, denn Zeitung ist Zeitung, aufzugeben, eine Proposition, die merkwürdigerweise an dem Eigensinn einiger Mitglieder der Sozietät scheiterte, indem der eine diese, der andere jene nicht aufgeben wollte. Wir finden hier unter mehreren anderen die Preußische Staatszeitung zweimal, d. h. in zwei Exemplaren, wegen der vielen Nachfrage - (nun klage man noch über preußische Zeitungen und über preußische Zensur, die Rostocker Sozietät macht alle Klagen zuschanden!) - ferner die Augsburger Allgemeine. Dass sich neben so loyalen Zeitungen das in Stuttgart erscheinende politische Wochenblatt für konstitutionelle Interessen, "Der deutsche Courier" oder die "Sächsischen Vaterlandsblätter" nicht finden, ist natürlich. Die Lektüre dieser Blätter, die sich immer eine eigene Stellung behaupten konnten, nie erst den Kopf zum Fenster hinaus stecken um umherzuschauen, woher der Wind in den höheren Regionen weht, die überhaupt eine eigene Meinung haben wollen, als Franzosenfreund bekannt, und also nicht als gute deutsche Patrioten privilegiert sind, würde uns nur beim Verdauen jener loyalen politischen Speisen irritieren und unseren ganzen politischen Glauben in Gefahr und Konfusion bringen. Nun gab es eine Zeit in Deutschland, in der Ruge in den Hallischen Jahrbüchern sagte: "die Leipziger Allgemeine Zeitung ist uns (d.h. uns Deutschen) ein Bedürfnis geworden."

Hierin, in den theologischen Zeitschriften, besteht nun die eigentliche Stärke unseres Lesekabinetts, denn wir glauben nicht, dass irgendein in Deutschland erscheinendes theologisches Journal (die katholischen natürlich ausgeschlossen) hier fehlen sollte, so dass man zu dem Glauben verleitet werden könnte, die Sozietät sein ein Verein von ehrwürdigen Geistlich und ehrbaren Kandidaten. Indes die daneben liegende Gasette medicale und einige tiefgelehrte juristische Zeitschriften überzeugen uns eines anderen. - Das Handwerk, das gelehrte Handwerk hat sich vorzugsweise bedacht; was in hiesiger Gelehrtenwelt nicht zünftig ist, das ist auch nicht beachtet. Wir haben oben gesagt, welche traurige Rolle die Staatswissenschaften an unserer Universität spielen, sie sind hier nicht zünftig, daher Pölitz' Jahrbücher für Geschichte und Politik nicht rezipiert sind. Die große Zahl der Sozietätsmitglieder, die nicht zum gelehrten Handwerksstande gehören, muss sich mit der Rezensieranstalt, die sich Blätter für Literarische Unterhaltung nennen, mit dem gelassenen Tübinger Morgenblatt, mit der Dresdner Abendzeitung und dergleichen begnügen.

Die gesamte neuere Journalistik, die die Tageserscheinungen und die Tagesfragen mehr oder minder in den Kreis ihrer Besprechungen zu ziehen sucht, scheinen von der Sozietät mit Acht und Bann belegt zu sein, da ist weder ein Telegraph noch ein Pilot noch ein Freihafen weder die Elegante noch die Eisenbahn noch das Athenäum etc. Unbegreiflich bleibt es, wie sich die ehemals Hallischen Jahrbücher hier haben einschmuggeln können, in eine Gesellschaft, in die sie nach allen Anzeichen gar nicht hingehören. Offenbar liegt, den meisten Mitgliedern der Sozietät unbewusst, bei der Wahl der anzuschaffenden Journale das orthodox-konservative Prinzip zugrunde. Früher wurde Die Elgante gelesen, man hat die ausgemerzt und such sich gegen böse Anfechtungen durch vermehrte theologische Lektüre zu stärken. Wie man in der theologischen Fakultät den Glauben auf die Beine bringen möchte, so geht man darauf aus, in der Sozietät durch die heilige Theologie durch die theologische Journalistik den Gottlosen, bei denen keine Gottesfurcht, die alles vernichten und übelreden und lästern einen Damm entgegenzusetzen. Nun sollte man aber konsequent sein, und den Antichrist und Revolutionär, der sich mit den Deutschen Jahrbüchern einschleicht, nicht länger in so ehrbarer, frommer Gesellschaft dulden.

Rostock, Universität

Rostock, Universität

Rostock, Kröpeliner Tor

Rostock, Kröpeliner Tor

Rostock, Giebelhäuser bei der Nikolaikirche

Rostock, Giebelhäuser bei der Nikolaikirche

Rostock, Kröpeliner Tor und Teufelsgrube

Rostock, Kröpeliner Tor und Teufelsgrube