Aus Rostock (Handel, Schifffahrt, Universität) 1842

Aus: Zeitung für die elegante Welt
Autor: Kühne, J. G. Dr. (?-?) Redakteur, Erscheinungsjahr: 1842
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg-Vorpommern, Hansestadt Rostock, Stadtgeschichte, Universität, Universitätsgeschichte, Handel, Wirtschaftsgeschichte
Leipzig, Montag der 24. Januar 1842.
Rostock, See- und Handelsstadt, die größte und volkreichste Stadt des Landes ist der Sitz einer Universität, des Oberappellationsgerichtes, einer Justizkanzlei, des engeren Ausschusses der Ritter- und Landschaft, des Konsistoriums, des Medizinalkollegiums. Hauptprodukt unseres Landes ist Korn, das größtenteils über Rostock ausgeführt wird, die Geldgeschäfte in den Terminen werden in Rostock abgemacht, der 14 Tage stehende Rostocker Pfingstmarkt, die Rostocker Karnevalszeit, zeigt den staunenden Landleuten Menagerien, Bereiter, Taschenspieler, Seiltänzer, alle Herrlichkeiten dieser Welt. Rostock ist in den Augen der Mecklenburger die Urbs, die Stadt der Städte. Doch ist Rostock nur in zweifacher Hinsicht bedeutend, nur in zweifacher Beziehung herrscht Regsamkeit und Betriebsamkeit - den Pfingstmarkt abgerechnet - im Kornhandel und in der Schifffahrt. Im Winter, wenn der Frost die sonst häufig unbefahrbaren Wege um Rostock geebnet, sind diese in der tat mit Kornwagen bedeckt; aus den ersten Gegenden des Landes, 12 Meilen weit, und aus einem großen Teil Neuvorpommerns strömen die Kornfuhren in Rostock zusammen, hunderte von Wagen fahren in den Straßen der Stadt und beleben diese. Die Schifffahrt und der Schiffbau auf den Werften setzen große Summen in Zirkulation; am Welthandel nimmt jedoch die Rostocker Reederei wenig Teil; sie beschränkt sich auf die Ostsee, auf die Kornausfuhr nach England, auf Fahrten zwischen Riga und Amsterdam. Die Zahl der Schiffe hat sich in neuester Zeit so vermehrt, dass es in diesem Sommer oft an Fracht fehlte. Die Umstände, die emporsteigende Vermehrung der Schiffe wird die Rostocker Flagge zwingen, ihre Fahrten in fernere Regionen auszudehnen. Dann möchte der Mangel einer guten Navigationsschule fühlbar werden. Bisher hat man die Bildung junger Seeleute lediglich alten ausgedienten Seeleuten überlassen. Mecklenburg ist überreich an Navigationsschulen, in den Dörfern des Fischlandes, der Heimat der Mecklenburgischen Seeleute, werden von ehemaligen "Kapitänen" drei Winter-Navigationsschulen gehalten, die indes wohl Manches zu wünschen übrig lassen.

Rostock ist durch seine Universität der Repräsentant des geistigen und literarischen Lebens Mecklenburgs. Die literarische Regsamkeit ist indes Mecklenburgs schwächste Seite. Man kann der Universität nicht nachrühmen, das sie dem literarischen oder wissenschaftlichen Leben des Landes einen besonderen Impuls gebe, zu geistiger Tätigkeit besonders anrege, Geister erwecke, ins Leben rufe. Die Universität, eine der ältesten Deutschlands, leidet an Altersschwäche, es ist keine universitas mehr. Die Zahl der Wissenschaften hat sich vermehrt, einzelne Wissenschaften haben für das leben an Bedeutung gewonnen, das Studium eines einzelnen Zweiges nimmt jetzt die ganze Tätigkeit eines Mannes in Anspruch, Universalität ist unmöglich. Die Zahl der Lehrer ist nicht in demselben Verhältnis gestiegen, ja man hat neuerdings eine Professur der Philosophie eingezogen und den Gehalt unter zwei Professoren verteilt, weil man keines frischen Geistes zu bedürfen, weil man am vorhandenen zur Genüge zu haben glaubte. In neuerer Zeit haben besonders die Mathematik, die Naturwissenschaften an Umfang und Bedeutung in wissenschaftlicher Hinsicht und an Einfluss auf den Nationalwohlstand gewonnen. Die gesamte Mathematik, mit Einschluss der Astronomie - für ein Seefahrt treibendes Land besonders wichtig - und die Mineralogie ruhen auf den Schultern eines einzigen Lehrers; einem anderen ist Zoologie und Botanik aufgebürdet. Wir wollen keinen Tadel gegen die rüstigen und tätigen Männer aussprechen, die diese Lehrfächer repräsentieren, sondern nur gegen den Zustand, der der sie zwingt, ihre Kräfte durch vielseitige Anforderungen zu zersplittern. Die Chemie ist sehr schwach, aber doch durch eine besondere Professur repräsentiert. Die Land- und die Forstwissenschaft, beides Wissenschaften, die auf dem weiten Felde, auf dem sie Beobachtungen und Erfahrungen einsammeln sollen, jede die volle Tätigkeit eines Mannes in Anspruch nehmen, sind den Händen eines Lehrers anvertraut, der in beiden Fächern wenig zu wirken und zu nützen scheint. Die übrigen gesamten Staats-, Kameral- und Finanzwissenschaften werden gar nicht gelehrt, wenn man nicht eine Vorlesung über mecklenburgisches Staatsrecht, die ein Jurist dann und wann beiläufig hält, hierher rechnen will. Außer diesen Streifzügen in das Gebiet der Staatswissenschaften werden die Mitglieder der juristischen Fakultät noch als Mitglieder des Spruchkollegiums, teilweise als Mitglieder des Konsistoriums vielfältig in Anspruch genommen. Die einzige junge Kraft der Fakultät, Beseler, geht zu Ostern nach Greifswald. Die theologische Fakultät besteht gegenwärtig aus drei Ordinarien und einem Extraordinarius. Fritzsche, den feinsinnigen Theologen, ließ man herzlich gern nach Gießen gehen; Hävernich hingegen, der im freisinnigen Königsberg jüngst so unfreundlich aufgenommen wurde, war man hier zu behalten eifrigst bemüht. Indem man auf die größere oder geringere Frömmigkeit oder Glaubensfertigkeit der Professoren einen besonderen Wert legt, vergisst man, dass eine Universität keine ausschließlich für die Gläubigen bestimmte Anstalt sein soll, dass hier jede Richtung vertreten werden muss, dass nicht Anleitung zum Glauben, sondern zum Denken, Forschen der Zweck ist. Altklassische Philologie wird gründlich und in Hülle und Fülle exerziert, dass indes das Studium des Altertums auf unsere Staats- und Privatzustände irgendwie zurückwirke, haben wir zu bemerken nicht Gelegenheit gehabt. Geben uns die philosophische, die juristische und theologische Fakultät durch ein schwaches Personal und durch teilweise Schwäche dieses schwachen Personals, durch immer wiederkehrende jahrelange Vakanzen kein erfreuliches Bild, so möchte die medizinische Fakultät mit dem zahlreichen Personal als die bedeutendste sich herausstellen. Dass indes der Staat für die Hilfsanstalten dieser Fakultät etwas besonderes getan haben sollte, wüssten wir nicht. Der Staat verhält sich hinsichtlich der Zuschüsse negativ; so besitzt die Universität einen botanischen Garten nicht eigentümlich; sie hat sich ein Stückchen botanischen Gartens in einem öffentlichen Garten gemietet.

Unter diesen Umständen dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Zahl der Studierenden selten bis auf 100 steigt, Ausländer sich nur selten und wie durch Zufall hierher verirren. Wir finden den Zweck des Universitätslebens keineswegs im eifrigen Hören vieler Kollegien, im Nachschreiben dicker hefte. Dieser Zweck ließe sich leichter und Wohlfeiler erreichen. Es ist das Leben, das Studentenleben selbst eine Bildungsschule, um so bildungsreicher, je mehr fremdartige Elemente zusammenströmen, sich gegenseitig anziehen oder abstoßen. In Rostock finden sich eigentlich nur Kümmeltürken, daher denn das Rostocker Studentenleben auch nie einen höheren Anflug und Aufschwung gewonnen. Wie der Materialismus in unserem ganzen Leben vorherrscht, so auch im Studentenleben. Poesie, Begeisterung für Ideale suche man unter der kleinen Schar nicht. (D. F. f.)

Rostock, Universität

Rostock, Universität

Rostock, Giebelhäuser bei der Nikolaikirche

Rostock, Giebelhäuser bei der Nikolaikirche

Rostock, Kröpeliner Tor und Teufelsgrube

Rostock, Kröpeliner Tor und Teufelsgrube

Rostock, Kröpeliner Tor

Rostock, Kröpeliner Tor

Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

Rostock - Markt, Marienkirche und Blutstraße

Hansestadt Rostock - Stadtansicht

Hansestadt Rostock - Stadtansicht

Rostock, Neuer Markt mit Ladenzeile 1967

Rostock, Neuer Markt mit Ladenzeile 1967

Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche

Hansestadt Rostock, Giebelhäuser und Marienkirche

Rostock vor dem Steintor

Rostock vor dem Steintor

Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

Rostock, Lange Straße, Marienkirche in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts

Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Hansestadt Rostock, Neuer Markt (zum Zeitpunkt der Aufnahme: Erst-Thälmann-Platz) 1967

Rostock, Neuer Markt mit Blick auf Marienkirche

Rostock, Neuer Markt mit Blick auf Marienkirche