Aus Mecklenburg-Schwerin, 12./13. Januar. (Privatmitteilung)

Juden und Judentum in Mecklenburg
Autor: Redaktion: Allgemeine Zeitung des Judentums, Erscheinungsjahr: 1847

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Juden, Judentum, Mecklenburg-Schwerin, Jüdisches Leben, Glaubensgenossenschaft, Beschneidung, Namensgebung, Glaubensbekenntnis,
Der Korrespondent dieses Blattes, welcher das mehrerwähnte Beschneidungsreskript nach seiner ganzen Ausdehnung mitteilt, hat in jener Stelle, wo von einem ehemaligen Beth-Din die Rede ist, das bedeutsame Wörtchen „fürther“ ausgelassen, wie er denn seiner Tendenz überhaupt durch Verschwiegenheit dienen zu wollen scheint, indem sein halbes Zitat aus Abot 3, 15 nur ganz gemacht werden darf, um das Gegenteil von dem zu beweisen, was bewiesen werden soll; denn gerade dort wird der Zerstörer des abrahamitischen Bundessiegels auf ein und dieselbe Linie mit dem gestellt, welcher das Heiligtum entweiht, die Festtage schändet, seinen Nächsten öffentlich beleidigt und die Worte der Tora verdrehet. Im Übrigen bedürfen die Einwände des Referenten für den Sachkenner natürlich keiner Widerlegung, und will diese Entgegnung nur zeigen, wie man von gewissen Seiten her im Kampfe gegen die Unterlassungssünde der Unbeschnittenheit sich nicht scheut, durch Beschneidung gewisser missliebiger Stellen Auslassungssünden zu begehen. Möchte man doch wenigstens da, wo es sich lediglich um ein wissenschaftliches Faktum handelt, solche Schleichwege auf geben und lieber ganz schweigen, als durch Verschweigen sich zu helfen suchen!

Aus Mecklenburg-Schwerin, 13. Januar. (Privatmitteilung) Wir wissen es Ihnen Dank, dass Sie in der A. Z. des Jud. den Streit, der die hiesigen Israeliten jetzt stürmisch bewegt, unparteiisch sich aussprechen lassen, und jeder Partei das Wort leihen. Es lässt sich in unserer Zeit nun einmal weder durch Verschweigen, noch durch irgend eine Autorität, sei es auf dieser, sei es auf jener Seite. Etwas machen, sondern es heißt überall: sprich, und wehre Dich! Noch nie waren aber die Juden Mecklenburgs so aufgeregt, wie durch die Beschneidungsangelegenheit. Ich selbst bin nicht der Mann, um die Sache theologisch beurteilen zu können, aber eine Meinung mir zu bilden, fühle ich mich befähigt, und dieser gestatten Sie wohl eine bündige Aussprache. Ob Herr Dr. Einhorn Recht hat, wenn er sagt, dass talmudisch der Unbeschnittene dem gleich steht, der den Sabbat entheiligt etc., oder nicht, weiß ich nicht zu entscheiden, und begnüge mich hierin. Nur will es mich bedünken, dass hierin in solchen Deduktionen, die Antitalmudisten eben nicht anders sind als talmudisch sind, sich an den Buchstaben hängen, und das Leben nicht befragen. Sehen wir auf dieses, so zeigt es sich, dass die Beschneidung wirklich noch die einzige und letzte Form ist, durch welche die Eltern sich dazu bekennen, ihre Kinder in den religiösen Bund Israels einzuweisen, und sie in ihm erziehen zu wollen. Ist auch diese Form gefallen, so ist das Judentum wirklich nur eine Negation der christlichen Kirchen, so ein Stück neutraler Boden, auf welchen man die Kinder stellt, und ihnen sagt: nun gehet hin, wohin ihr wollet, und zerstreuet Euch unter die Völker. Dass hiermit aber jedwede Verbindung, jedes Lebensmoment aus dem Judentume gewichen, und es der Vernichtung willenlos hingegeben ist, das sieht selbst der Blinde ein. Wahrlich, ich lege auf den Inhalt, auf die Lehre des Judentums mehr Gewicht, als auf alle Formen. Allein wir leben nimmer vom Geiste allein, und die Menschen sind nur in geringer Zahl Prinzipienmenschen, für die ein Prinzip ein volles lebendiges Band ist. Auch mich will es daher bedünken, als ob mit der Beschneidung die letzte Sichtbarlichkeit des Judentums falle, und kann daher nur dem Instinkte der Masse da ein Recht geben, auch mir will die Unterlassung der Beschneidung an einem Kinde, außer wenn Lebensgefahr vorhanden ist, wie ein freiwilliger Austritt aus der Gemeinschaft des Judentums erscheinen, und kann es der Masse nicht verdenken, wenn sie den Unbeschnittenen, der das letzte 4.000jährige Zeichen des Judentums zurückweist, nicht als zu ihr gehörig betrachtet. Ein ganz Anderes war es in Breslau, Frankfurt, Hamburg; hier wollte man den Staat zur Hilfe rufen, und sofortigen Zwang üben. Hier aber, bei uns, ist gewissermaßen der Zwang gegen die andere Seite, man will die Masse zwingen, ihn als Juden zu betrachten. Dass sie sich hiergegen kund gibt, kann man ihr nicht verdenken, und wäre es nur zu wünschen, dass es in geeigneter Weise geschehe.

Eine andre Frage ist es, hat Herr Dr. Einhorn recht gehandelt? Ich begreife seine schwierige Stellung, würdige diese allseits, muss aber doch zuletzt gestehen, dass seine Verfahrungsweise mir nicht gebilligt erscheint. Es fragt sich: sollte er das Kind ausschließen? sollte er vom Standpunkte seines theologischen Wissens und Gewissens die Ausschließung befehlen? Wir sagen: Nein! Denn man vergesse die schwierige Sache nicht: wen soll er ausschließen? Das Kind? Was weiß das von der ganzen, über eine Wiege erhobenen Streitfrage? Es ist unschuldig und schuldlos. Die Eltern? Nun, die sind doch Juden, der Vater ist beschnitten also faktisch Jude. Aber musste der Herr Dr. E. darum alsbald die Einsegnung und Namengebung anbefehlen? musste er nicht zuvor alle geistlichen Mittel der Belehrung und Überredung anwenden, um die Eltern dazu zu bestimmen, nicht die Hand an die letzte Form, an das letzte Band der Glaubensgenossenschaft zu legen? Hätte alles dies nicht gefruchtet, so konnte er öffentlich alle seine Bemühungen darlegen, konnte seinen Schmerz über die Fruchtlosigkeit aussprechen, und sagen: ausschließen kann ich aber das aus dem Samen Abrahams geborene Kind nicht, es ist dies mein Recht nicht, hier spricht die Religion selbst ein andres Wort!

Ich bedaure tief, dass Herr Dr. Einhorn so nicht gehandelt, wahrscheinlich aus seiner Ansicht heraus so nicht verfahren ist (so viel ich weiß), und dadurch ein öffentlicher Skandal bewirkt worden, der dem Judentum viel schadet, und ihm selbst seine zukünftige Wirksamkeit untergraben hat.

Dass dieser Streit auch in die christliche Welt gedrungen, wissen Sie, und die Rostocker Zeitung hat viel Übles darüber gebracht. Auch das Urteil der christlichen Welt ist sehr verschieden, und Viele stehen auf der Seite der jüdischen Masse.

Schwerin - Stadtansicht - Schloss - Hoftheater

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Schwerin - Totalansicht

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Teterow - Hechtbrunnen

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Teterow - vom Kurhaus gesehen

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