Aus Mecklenburg. Mitte Februar 1859. - Kunst und Kultur, Verein für Geschichte und Altertumskunde Mecklenburgs

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. Neunter Jahrgang 1859. Januar-Juni.
Autor: Redaktion - Deutsches Museum, Erscheinungsjahr: 1859
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Landesgeschichte, Schwerin, Kunst und Kultur, Theater, Musik, Verein für Geschichte und Altertumskunde Mecklenburgs, Jahrbücher
Der Winter dieses Jahres ist ein wunderlicher Gast; schon schreiben wir Mitte Februar und noch ist der Schweriner-See ohne die Eisdecke, unter der er seine grünen Fluten sonst in dieser Jahreszeit zu verstecken pflegt. So fehlen denn auch dem geselligen Leben unserer Haupt- und Residenzstadt Schwerin die eigentlichen winterlichen Vergnügungen; fröhliches Schellengeläute auf glatter Schneebahn klingt nur in Erinnerungen, der „schlüpfende Stahl des Wasserkothurns“ rostet ein und Schlittschuhläufer sieht man höchstens im „Propheten“. Doch ist darum übrigens an geselliger Unterhaltung kein Mangel. Obenan steht bei uns wie anderwärts das Theater; die Erholung, die es bietet, ist die bequemste, die am wenigsten eigene geistige Tätigkeit verlangt, und schon deshalb zieht es das große Publikum jederzeit am meisten an. Schwerin, eine Stadt von nicht ganz 22.000 Einwohnern, würde aus eigenen Kräften ein stehendes Theater nicht unterhallen können: allein unsere Bühne ist großherzoglich und wird als solche durch einen beträchtlichen jährlichen Zuschuss von Seiten des Staats unterstützt. Daher kommt es auch, dass die Schauspieler Sommers den Hof nach Doberan begleiten, während sie im Spätsommer kraft eines alten Vertrags in Wismar spielen. Sind nun auch jene außerordentlichen Zuschüsse noch immer nicht hinreichend, unsere Bühne zu dem Rang einer großen, epochemachenden Kunstanstalt zu erheben, so sind die vorhandenen Kräfte doch immerhin ausreichend, ihr eine ehrenvolle Stelle unter den deutschen Mittelbühnen zu sichern.

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Große Talente, das liegt in den Umständen, können nicht herangezogen werden, und auch diejenigen, die sich hier etwa entwickeln, suchen, sobald sie sich ein wenig fühlen, einen andern günstigeren Schauplatz, wo Ruhm und Gewinn ihnen in größerem Maßstab zu Teil werden. Dagegen haben wir einige recht achtbare Künstler zweiten Ranges und da auch die Regie aufmerksam und tätig, die Ausstattung geschmackvoll und anständig, das Publikum aber theaterlustig und dankbar ist, so darf man unserem Theater den Einfluss, den es auf die Geselligkeit unserer Residenz ausübt, schon gönnen. Und derselbe ist, wie gesagt, sehr groß. Mit zärtlicher Sehnsucht wird der Tag herbeigewünscht, an dem die Glieder der Schauspielergesellschaft von Doberan und Wismar in die Residenz heimkehren, treue Anhänger abonnieren von Jahr zu Jahr, und ein Logenplatz für den zweiten oder dritten Abend ist für unsere Damen ein Lieblingswunsch, auf dessen Erfüllung sie so leicht nicht verzichten.

Doch auch jene Kehrseite, die unserm gesummten Theaterwesen anhaftet, bleibt nicht aus. Die Befriedigung des geistigen Genusses, die unser Publikum im Theater sieht, steht sozusagen unter einem sinnlichen Regiment. Man will sich amüsieren, die drei Abendstunden sollen in angenehmer Zerstreuung hingebracht, höchstens eine Opernmelodie abgelauscht, ein sogenannter Witz aufgeschnappt werden, die Unterhaltung der nächsten Tage damit zu würzen. Nur ja keine Stücke, die Nachdenken verlangen, keine Vorstellung, die den Geist beschäftigt! Opern und Possen sind die Lieblingsspeise unseres Publikums und die Intendanz ist freundlich genug und kennt die Zeitrichtung hinlänglich, diesem Heißhunger des Publikums reichliche Nahrung zu bieten. Der Lieblingsautor unserer Theatergänger ist und bleibt Frau Birch-Pfeiffer: aber auch der „Weltumsegler“ und „Der artesische Brunnen“ machen jederzeit volle Häuser, ja wir haben es erlebt, dass „Berlin wie es weint und lacht“ binnen acht Tagen unter fünf Vorstellungen dreimal Parkett, Logen und Amphitheater gefüllt hat! Vereinzelt, wie eine Erinnerung an verklungene Zeiten, schreitet dann auch manchmal die tragische Muse über die Bühne: doch merkt man ihr an, wie fremd sie in dieser Umgebung ist, sie schämt sich gleichsam vor sich selbst und bittet das Publikum um Verzeihung für ihre Zudringlichkeit....

An neuen Stücken haben wir diesen Winter mancherlei gesehen. „Heinrich von Schwerin“ und „Anna Liese“ wurden gegeben, doch ohne großen Beifall; besonders Erfolg hatte „Das Testament des großen Kurfürsten“, namentlich in den politisch beziehungsreichen Stellen. Dagegen fand das Stück eines einheimischen Autors, „Der Neffe Mazarins“, ebenfalls nur eine laue Aufnahme. Der bevorstehende Geburtstag des Großherzogs (28. Februar) wird von Seiten des Theaters durch ein Gastspiel des Frl. Seebach gefeiert werden; die berühmte Künstlerin wird als Gretchen im „Faust“, ferner in „Romeo und Julia“ und „Der Widerspenstigen Zähmung“ auftreten. Außerdem wird, wie ich höre, die neue Oper des Herzogs von Sachsen-Koburg einstudiert.

Neben dem Theater blüht bei uns besonders die Musik: doch wird sie in den meisten Fällen mit derselben Oberflächlichkeit und derselben Vorliebe für das Triviale getrieben, die ich soeben bei Gelegenheit des Theaters besprach. Eine rühmliche Ausnahme bilden die Abonnementskonzerte, welche das großherzogliche Musikdirektorium veranstaltet; hier ist alles vortrefflich, Auswahl, Leitung und Ausführung und nur das Eine bleibt zu bedauern, dass die Zahl dieser Konzerte — es finden im Lauf des Winters nicht mehr als vier statt — so sehr beschränkt ist. Damit ist denn aber auch der Kreis geistiger Erhebung bei uns geschlossen. Die bildende Kunst ist ganz vernachlässigt. Ein Kunstverein existiert zwar, liegt jedoch zur Zeit noch in den Windeln und weiß offenbar selbst noch nicht, was er eigentlich will, soll und kann. Ursprünglich sollte er, wie das auch anderwärts zu sein pflegt, nur die Pflege der bildenden Kunst befördern; da das Interesse für diese jedoch bei uns allzu gering ist, so erweiterte er sich zu einem Kunstverein auf breitester Grundlage, in welchem die verschiedensten Elemente aufgenommen wurden, ja das jüngere Geschlecht hat nicht übel Lust, den stillen Tempel zu einem Salon rauschender Geselligkeit mit leichtaufgetragenem künstlerischen Anstrich umzuwandeln. Wie der Streit sich entscheiden wird, ist vorläufig noch nicht abzusehen, hoffentlich indes gelingt es den wenigen echten Freunden der Kunst, jene jugendlichen Ausschreitungen in die gehörigen Schranken zurückzuweisen. Aber auch in diesem Falle wird es noch immer ratsam sein, dem Verein durch Verbindung nach außen eine Haltung und Ausdehnung zu geben, die er aus eigener Kraft niemals gewinnen kann.

Gestatten Sie mir schließlich noch einige Worte über den „Verein für Geschichte und Altertumskunde in Mecklenburg“. Derselbe hat zwar seinen Sitz in Schwerin, ist jedoch über das ganze Land verbreitet. Alljährlich lässt er einen Band Abhandlungen erscheinen und da er bereits seit 23 Jahren existiert, so hat er allmählich eine ganze kleine Bibliothek zusammengeschrieben. Wenigstens dem Umfang nach; wie es mit dem Inhalt steht, das ist eine andere Frage. Der Mecklenburger hat eine warme Liebe für alles, was echt mecklenburgisch ist, nicht bloß für stattliche Pferde, geräucherte Gänsebrust und Speck mit Klößen, sondern auch jeder Schädelknochen und jedes alte Hufeisen, das in vordenklichen Zeiten irgendwo im Lande vergraben ward, interessiert ihn, eben weil es mecklenburgisch ist. Diese an sich sehr ehrenwerte, aber völlig unkritische und geistlose Liebe zur Heimat charakterisiert auch die Leistungen des ebengenannten Vereins; er scheint ein wahres Gelübde getan zu haben, über nichts zu schreiben und nichts zu verhandeln, wofür ein vernünftiger Mensch sich interessieren könne. Nehmen wir beispielsweise den unlängst erschienenen diesjährigen Band seiner „Jahrbücher“ zur Hand. Da ist zuerst die Rede vom heiligen Erpho; wer kennt den heiligen Erpho? Niemand. Welche Bedeutung hat er? Der heilige Erpho, der siebzehnte Bischof zu Münster, verstorben im Jahre 1097, „eine sehr merkwürdige und wichtige Erscheinung in der Geschichte“, ist, wie hier auf 13 Seiten bewiesen wird, ein geborener Mecklenburger; daher seine historische Wichtigkeit. Ein anderer Aufsatz lautet versprechender „Über alte niederdeutsche Andachtsbücher“, enthält aber in Wahrheit nichts als einige Fragmente aus alten Manuskripten, zum Teil so abgerissen und so willkürlich zusammengewürfelt, dass niemand sie verstehen kann. Und so ist es mit den ganzen „Jahrbüchern“; es sind Papierschnitzel auf Kosten des Vereins gedruckt worden, während sie doch besser in den Papierkorb oder in den Ofen gehörten.

Endlich bliebe noch die Dichtkunst zu erwähnen übrig und wirklich zählt unsere Hauptstadt zwei „Dichter“; da dieselben jedoch bis jetzt außerhalb ihrer Ringmauern nur wenig bekannt sind und da die Nachtigall bekanntlich im verborgenen am besten singt, so will ich ihre glückliche Verborgenheit auch nicht stören und mag es damit für heute überhaupt genug sein.

Schwerin, Theater

Schwerin, Theater

Schwerin, Denkmal des Großherzogs Friedrich Franz II.

Schwerin, Denkmal des Großherzogs Friedrich Franz II.

Schwerin - Altes Schloss.

Schwerin - Altes Schloss.

Schwerin - Altstadt 1842.

Schwerin - Altstadt 1842.

Schwerin - Amtsstraße 1839.

Schwerin - Amtsstraße 1839.

Schwerin - Dom.

Schwerin - Dom.

Schwerin - Neustadt.

Schwerin - Neustadt.

Schwerin - Paulstadt.

Schwerin - Paulstadt.

Schwerin - Schloßgarten.

Schwerin - Schloßgarten.

Schwerin.

Schwerin.