Aus Mecklenburg. Dezember 1858.

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. Neunter Jahrgang 1859. Januar-Juni.
Autor: Redaktion - Deutsches Museum, Erscheinungsjahr: 1859
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Landtag, Landesgeschichte, Rothenmoor, von Maltzan, Theologie, Kirchengeschichte, Duell, Pogge, Verfassungsrefom, Reformation, Ketzer, Religionsstreit, Eisenbahn
Rothenmoor ist eine Besitzung des Landrats von Maltzan, deren Name bis zum August dieses Jahres wohl nur in engstem Umkreise bekannt war. Seitdem weiß man, dass eine Gesellschaft „lutherischer Freunde“ sich daselbst versammelte, aus verschiedenen Gegenden Deutschlands, um in den gastlich geöffneten Räumen sich über kirchliche Interessen zu besprechen und zu belehren. Nun ist die Zahl der Versammlungen und Wandelvereine, die bald hier bald dort zusammentreten, so groß, dass sich ein dauerndes Gedächtnis; nur bei den Teilnehmern selbst erhält; haben nichtsdestoweniger die Tage von Rothenmoor ein treueres Andenken gefunden und mehr von sich sprechen machen, so wird diese Auszeichnung einen besonderen Anlass haben. Und zwar ist derselbe ihr in zwiefacher Weise zu Teil geworden.

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Beim Beginn der Besprechungen zu Rothenmoor, die vom Geheimen Justizrat Huschke aus Breslau geleitet wurden, warf der bekannte Hr. von Thadden (zu Trieglaff in Pommern) die Frage auf: „Wer ist ein Ketzer?“ Das war ein Wort, wie man es seit den erbitterten theologischen Streitigkeiten früherer Jahrhunderte nicht mehr gehört hatte — und jetzt erklang es wieder im protestantischen Deutschland, in einem Staate, der unter den ersten den Protestantismus sich zum Eigentum gemacht hatte. Dabei handelte es sich, wohlgemerkt, nicht um einen Gegensatz zur katholischen Kirche; mit dem Ketzertitel, der ein deutsches und protestantisches Ohr immer doch nur wie eine Erinnerung an die Ketzerverfolgungen eines Philipps und Ferdinands des Zweiten oder die Dragonaden eines Ludwigs des Vierzehnten trifft — mit diesem Namen sollten jetzt Andersdenkende innerhalb der uns allen gemeinsamen protestantischen Kirche gezeichnet werden. „Die Reformierten sind Ketzer“, sagen die lutherischen Freunde, „mit Reformierten zu beten ist Sünde.“ Das klingt hart; auch unter den Anwesenden rief die schneidende Schärfe dieses Spruches denn doch einiges Bedenken wach; man warf die Frage auf, ob ein Mann wie Wilberforce, ob Merle d'Aubigné den Ketzernamen wohl wirklich verdiene. Allein dieser Ausruf jungfräulicher Zaghaftigkeit ward schnell übertönt und nur Ein Mann unter den vielen wagte es, mit Mut und Geschick die Reformierten vor dem Vorwurf des Ketzertums zu schützen, indem er behauptete, dass vielmehr der ein Ketzer sei, der das Beten mit Reformierten für sündhaft erkläre. Dafür sah er sich aber von allen Seiten in geschlossener Phalanx angegriffen; die Reformierten blieben den Genossen von Rothenmoor Ketzer, mit denen man ohne Schaden zu nehmen an eigener Seligkeit keine Gemeinschaft haben könne; wer ihre Lehre verteidige, sei den Zöllnern und Heiden oder Exkommunizierten gleichzuachten!

Es war aber nicht die reformierte Kirche allein, welche zu Rothenmoor verdammt ward: noch härter und feindseliger waren die Angriffe gegen die unierte Kirche. Die Union wurde für eine Gottlosigkeit erklärt; einen Unierten zum Abendmahl zuzulassen sei unstatthaft, mit einem aus der Union das Abendmahl zu teilen sündhaft; die Union müsse gesprengt werden, in ihr zu verharren sei verdammliche Schwäche. Wiederum war es Hr. von Thadden, der in lebhaften Worten seine Freude ausdrückte, soviel warme Teilnahme für die streng lutherischen Gemeinden Preußens in der Versammlung anzutreffen und so viele Gegner der Union, für welche das Wort gelte: „Zwei Seelen und kein Gedanke“.

So in Kürze lauteten die Berichte, welche, gleich nach der Versammlung von einem Mitgliede derselben abgefasst, im „Norddeutschen Korrespondent“ erschienen. Verwunderung und Unwille auf Seiten des Publikums konnte nicht ausbleiben; die Zahl derer, welche die Seligkeit des Menschengeschlechts mit derartigen Schranken umschreiben wollen, ist hier wie überall auf gewisse enge Kreise beschränkt. Aber die meisten fanden jene Lehrsätze mehr wunderlich als bedenklich, weil eine vom Fanatismus gepredigte Intoleranz nicht mehr gefährlich ist, und die „Ketzerversammlung“ von Rothenmoor wäre ohne weitere Folgen alt geworden und im Gedächtnis; erstorben, wenn nicht ein höchst merkwürdiger, sozusagen nordamerikanischer Vorgang auf unserem Landtage ihr in etwas zu Hilfe gekommen wäre.

Hr. Manecke, ein bürgerlicher Grundbesitzer, in Mecklenburg viel gekannt, weil er mit katonischer Konsequenz auf jedem Landtage sein ceterum censeo, dass Mecklenburg sich dem Zollverein anschließen müsse, vorbringt, forderte die Versammlung auf zu einer Erklärung in kirchlichen Dingen. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ sei zwar eins der ersten Gebote der christlichen Religion: aber das Unkraut der Unduldsamkeit wuchere in bedauerlicher Weise und habe sich auch hierzulande an manchen Orten gezeigt. Es wäre zu wünschen, dass die Landesherren als Oberbischöfe die Prediger ermahnten, mehr Nächstenliebe zu lehren und zu verbreiten. Dieses Begehren, so haltlos und namenlos hingestellt, fand wenig Unterstützung; es wurden begründende Tatsachen verlangt und schon wollte man zu andern Verhandlungen übergehen, als Hr. Manecke auf Abstimmung antrug. Vorher äußerte noch Hr. Pogge, ebenfalls ein bürgerlicher Grundbesitzer, wenn etwa die Verhandlungen zu Rothenmoor gemeint seien, so müsse er bekunden, dass im ganzen Lande sich der allgemeinste Unwille ausgesprochen habe über dasjenige, was von dieser Versammlung in den Zeitungen bekannt geworden. Er wohne an der preußischen Grenze und da komme es öfter vor, dass Unierte und Lutheraner in Einer Kirche zusammenkämen; zu Rothenmoor habe man das für Ketzerei und Sünde erklärt und das sei doch gewiss ein Verfahren, das von allen Verständigen verabscheut werde. Nach diesen bis dahin ganz friedlichen Verhandlungen kam es endlich zur Abstimmung. Schon während derselben erfuhr - der letztgenannte Redner einen Angriff von einem Sohne des Landrats von Maltzan, welcher in dem, was derselbe über die Versammlung zu Rothenmoor geäußert, eine Beleidigung erblickte, die dem Besitzer und dessen Blute widerfahren sei. Allein auch dagegen verteidigte Hr. Pogge sich mit kaltem Blute und wies die Begriffsverwirrung, die dem Angriff zu Grunde lag, mit Ruhe zurück. Erst nach vollendeter Abstimmung (der Antrag des Hrn. Manecke war durchgefallen) stellte sich heraus, dass ein zweiter Sohn des Besitzers von Rothenmoor, der Vizelandmarschall Baron von Maltzan, sich nicht mit bloßen Worten begnügt hatte; auch er hatte den Tadel über jene Versammlung als eine Beschimpfung des Maltzanschen Geschlechts angesehen und Hrn. Pogge durch einen Hrn. von Plüskow auffordern lassen, dem Maltzan - Rothenmoor'schen Hause eine Ehrenerklärung zu geben. Als dieses Ansinnen abgelehnt worden, hatte Hr. von Pluskow sofort eine Forderung im Namen des Vizelandmarschalls gestellt. Hr. Pogge, dem diese Art, seine Nächstenliebe zu betätigen, nicht gefiel, ging jedoch nicht darauf ein, sondern erklärte, die Sache der Justizkanzlei anzeigen zu wollen. Hierauf brach der Kartelträger Hr. von Plüskow in ein Schimpfwort aus, das gemeinste und beleidigendste, das es in anständiger Gesellschaft gibt. Hr. Pogge gab seine Antwort vor der ganzen Versammlung. Er halte sich für verpflichtet, sagte er, dem Landtage von dem eben Vorgefallenen Anzeige zu machen; schon früher habe er ein Duell gehabt, sei in Folge dessen durch die hohe Justizkanzlei zu Güstrow zu fünf Monaten Festungsstrafe verurteilt worden und habe seine Strafe mit einem fünfwöchentlichen Festungsarrest abgebüßt. Damals habe er das Wort gegeben, keine Duelle wieder anzunehmen, er erkläre demnach öffentlich, dass er die gestellte Forderung nicht annehme, dass er dagegen die beteiligten Herren bei der Justizkanzlei belangen werde. Einstweilen jedoch fordere er die hohe Versammlung auf, auszusprechen, dass es mit dem Amte eines Landmarschalls, der während des Landtags auf Ordnung sehen solle, unvereinbar sei, einem Landstande wegen eines innerhalb der Versammlung ausgesprochenen Urteils mit Pistolen oder sonstigen Waffen zu Leibe zu gehen.

Damit hätte die Sache, die an und für sich schon aufregend genug war, ein ruhiges Ende nehmen können; Hr. von Plüskow jedoch fühlte sich bewogen, hinzuzufügen, dass der Vorredner die eigentliche Pointe der Geschichte verschwiegen habe, nämlich dass auf die Verweigerung der Ehrenerklärung und des Duells ein Hundsf... gesetzt worden sei. Auf diese Worte des Hrn. von Plüskow erfolgte eine allgemeine und tiefe Entrüstung. Pogge erklärte, dass es durchaus nicht seine Absicht gewesen, den Landrat von Maltzan zu beleidigen, dass er überhaupt nur von der Versammlung zu Rothenmoor, nicht von dem Besitzer desselben gesprochen habe; mehre Mitglieder forderten das Direktorium auf, seine Missbilligung über die Herausforderung und Beleidigung des Hrn. Pogge auszusprechen. Dem entgegen trug ein Hr. von Plessen — unglaublich und dennoch wahr! — darauf an, die Landtagsversammlung möge ihre Missbilligung über den von Hrn. Pogge gebrauchten Ausdruck erklären. Es folgten nun noch verschiedene Hin- und Widerreden, insbesondere erklärte Hr. von Plüskow, dass es ihm leid tue, jenes beschimpfende Wort „in der Landtagsversammlung“ gebraucht zu haben und bitte er die hochansehnliche Versammlung deshalb um Entschuldigung; der Landtag jedoch fühlte sich zu weiterer Verfolgung dieser Angelegenheit nicht bewogen und ging zu andern Dingen über.

Aber nicht so Hr. Pogge; während die Sache überall im ganzen Lande das größte Aufsehen machte und für längere Zeit jeden andern Gesprächsstoff verdrängte, reichte Hr. Pogge dem landesherrlichen Commissarius eine Beschwerde ein, die alsbald dem Großherzoge übermittelt wurde. Auch die großherzogliche Erwiderung erfolgte mit ungewöhnlicher Schnelle; indem der Vizelandmarschall dieselbe der Versammlung überreichte, erklärte er gleichzeitig, dass er kraft eben dieses Reskripts seines Amtes enthoben sei. Dasselbe verfügte nämlich über die drei in diese Angelegenheit verflochtenen Herren in der Art, dass erstlich der Vizelandmarschall Freiherr von Maltzan wegen Anwendung eines ungesetzlichen Mittels von seinen Funktionen auf zwei Jahre zu suspendieren sei; dass zweitens dem J. von Plüskow, da er nicht bloß jenes Mittel unterstützt, sondern auch gegen ein Landtagsmitglied sich vor der Landtagsversammlung eines beleidigenden Ausdrucks bedient habe, in mildernder Berücksichtigung des Umstandes, dass er wegen seiner Übereilung um Verzeihung gebeten habe, ein ernstlicher Verweis erteilt werde. Was dagegen den A. Pogge betreffe, „so wollen wir“, heißt es in dem Reskript weiter, „auf eine Beurteilung seines Benehmens nicht eingehen, auch die von Parteihass und Selbstüberhebung zeugenden Äußerungen, welche er in der von euch eingereichten Schrift uns gegenüber ausgesprochen hat, in mildernder Berücksichtigung seiner momentanen Aufregung auf sich beruhen lassen.“

Damit wäre jener Konflikt denn also ausgeglichen. Es folgt in dem Reskript jedoch noch ein Passus allgemeineren Inhalts, der für die Entwicklung unserer politischen Verhältnisse von der größten Bedeutung ist. Die wichtigste Stelle lautet: „Wie oft auch die Mängel unserer Einrichtungen Uns schon entgegengetreten sind, so liegt es Uns doch fern, eine allmählich fortschreitende Verbesserung derselben in Zweifel zu ziehen, und wie Wir fest entschlossen bleiben, die bestehende Landesverfassung aufrecht zu erhalten, und zu schützen, so halten Wir das bessere Vertrauen fest, dass, wenn eine patriotische und einmütige Gesinnung von den Trägern der Verfassung betätigt wird, dies heilsamere Resultate für das Vaterland herbeiführen wird als alles Experimentieren mit neuen willkürlichen Verfassungsformen.“— Dieses Programm unserer „Politik der Zukunft“ hat wenigstens das Verdienst, klar und bündig zu sein, und werden alle diejenigen, welche die Fortdauer unserer Verfassung unter den gegenwärtigen Verhältnissen für eine Unmöglichkeit hielten und die den Zeitpunkt gekommen glaubten, sie endlich von Grund auf zu reformieren — alle diese, sage ich, werden fortan gut tun, sich solcher törichten Träumereien zu entschlagen. Allerdings hatten andere Reskripte der großherzoglichen Regierung aus früheren Jahren die Hoffnung auf gründliche Verfassungsänderungen selbst genährt; das jetzige weist entschieden alle derartigen Hoffnungen zurück. Freilich deutet es gleichzeitig die Bahn an, auf welcher ein allmählicher Fortschritt versucht werden soll; allein so wohlgemeint diese Ansicht ohne Zweifel auch ist, so darf man doch nicht vergessen, dass unsere Verfassung eine Verbriefung von Privilegien ist, und dass somit jenen patriotischen Tugenden, auf welche die Regierung rechnet, bedeutende Hindernisse im Wege stehen.

Da ich übrigens einmal solange vom Landtage gesprochen habe, so will ich zu seinem Lobe auch nicht verschweigen, dass er sich einen Antrag angeeignet hat, wonach bei der Regierung die Bitte um gänzliche Aufhebung der Doberaner Spielbank vorgebracht werden soll. Natürlich fehlte es auch dabei nicht an einem komischen Intermezzo; ein Herr von Damitz meinte, der Antrag habe eine liberale Färbung und erinnere an die Zeit der deutschen Grundrechte, und erst als ihm versichert ward, dass selbst der Deutsche Bundestag sich für Aufhebung der Spielbanken ausgesprochen habe, ließ er seine Bedenken fallen.

In den nächsten Tagen findet nun die Entscheidung über die Eisenbahnfrage statt. Die allgemeine Richtung ist bekannt, sie soll die mecklenburgische Bahn in östlicher Neigung bis nach Stettin fortführen. Sie gestatten vielleicht, dass ich nach der endgültigen Beschlussnahme auf die Einzelheiten der Debatte zurückgehe, namentlich auch auf die Hoffnungen, welche an diese Verbindung mit Preußen und dem großen preußischen Ostseehafen bei uns geknüpft werden. Für heute füge ich nur noch hinzu, dass es in der Absicht des Landtags liegt, an die Geldbewilligung Bedingungen zu knüpfen, welche eine Reform unserer Handelsverhältnisse bezwecken, und dass demnach aus doppeltem Grunde die öffentliche Aufmerksamkeit in diesem Augenblick sich der Malchiner Politik mit ungewöhnlicher Spannung zuwendet.

Und damit leben Sie wohl bis zum Jahre 1859, dem wir mit größeren Hoffnungen entgegengehen als einem der jüngst vergangenen. Ich kann und darf nicht schließen, ohne Ihnen zu bestätigen, dass die begonnene Wiedergeburt Preußens auch bei uns die lebhaftesten Sympathien erregt hat, und dass jeder Schritt der neuen Regierung auch unsererseits mit der erwartungsvollsten Aufmerksamkeit verfolgt wird. Diese Teilnahme ist allgemein; mag sie auch bei einzelnen nicht frei fein von politischer Gespensterseherei, bei der Mehrzahl ist sie eine durchaus freudige und durch Vertrauen gehobene. Freilich werden die Fortschritte bei uns durch bleierne Sohlen erschwert; doch wir hoffen auf die stille Macht des Beispiels, auf die Gewalt der Tatsachen und der Ideen, mit einem Worte: auf jene unausgesprochene Hegemonie Preußens, der wir um so freudiger folgen, je würdiger und energischer dieser Staat seine hohe Aufgabe einer stillen Eroberung Deutschlands wieder aufzufassen bereit ist.

Schweriner Schloss um 1880

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Villen aus der Perlenkette

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Strandvillen.

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Mecklenburger Gensdarmen

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