Aus Mecklenburg 1851

Die Küstendörfer
Autor: anonym aus: Morgenblatt für gebildete Leser, Erscheinungsjahr: 1851
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg, Küstendörfer, Seeleute, Küstenstrich, Fischland, Volkssitten, Seefahrer, Seefahrt
Aus: Morgenblatt für gebildete Leser. 1851

Das Morgenblatt für gebildete Leser (seit 1837, vorher: Morgenblatt für gebildete Stände) ist der bedeutendste Vertreter eines neuen Zeitschriftentypus, zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

Mit seiner Auflage von 2.500 Exemplaren, davon etwa 1.400 Abonnements, war es das führende literarische Unterhaltungsorgan in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von 1807 bis 1865 erschien es in Stuttgart und Tübingen im Verlag der Cotta'schen Verlagsbuchhandlung, einem der einflussreichsten deutschen Verlage seiner Zeit.

Idee und Konzept zu der vier- bis sechsseitigen und bis zu sechsmal wöchentlich erscheinenden, im Zeitungsstil aufgemachten Zeitschrift stammten von dem Verleger Johann Friedrich Cotta. Der Inhalt war eine vielfältige Mischung aus Reiseberichten, Gedichten, Lebenserinnerungen, Aufsätzen zu Literatur, Geschichte, Kunst und Naturkunde, sowie Rezensionen. Die Zeitschrift hatte aufgrund der Vielzahl bedeutender Mitarbeiter schnell großen Erfolg; kaum ein wichtiger Autor der Zeit fehlte auf der Mitarbeiterliste. Die Prominenz der Mitarbeiter führte dazu, dass von dem ursprünglichen Prinzip, die Beiträge der Zeitschrift anonym erscheinen zu lassen, zusehends abgewichen wurde. Quelle: Wikipedia

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Ein gewaltiger Unterschied besteht zwischen dem mecklenburgischen Binnenland und dem Küstenstrich. Man glaubt kaum in demselben Lande sich zu befinden, wenn man zwei Orte hintereinander sieht, die nur wenige Meilen von einander entfernt liegen. In einem mecklenburgischen Bauerndorfe ist Landwirtschaft das einzige Gewerbe aller, und kaum leben da ein paar Flickhandwerker ohne Gesellen; an der Küste dagegen kennt man den Landbau kaum dem Namen nach. Die Leute haben oft nicht einmal ein Kartoffelgärtchen, um das Notdürftigste selbst zu bauen. Der weiße Flugsand der Dünen trotzt jeglichem Anbau. Das Meer ist hier das Feld, auf dem sich der Mensch den Lebensunterhalt erwirbt, der rauschende Kiel des Schiffes ist sein Pflug, das Ruder sein Spaten oder Hammer.

In den Küstendörfern des „Fischlandes“ — so heißt eine mehrere Meilen lange Landzunge, die sich vom Städtchen Ribnitz aus in die Ostsee erstreckt — wie in Warnemünde bringt die ganze männliche, ja selbst ein Teil der weiblichen Bevölkerung den größten Teil des Jahres fast nur auf dem Wasser zu. Das schaukelnde Boot ist gar oft die Wiege des Säuglings und die Wellen umrauschen nur zu häufig die Leiche des Mannes; eine nicht geringe Zahl findet alljährlich den Tod im trügerischen Elemente, dem sie so freudig ihr ganzes Leben anvertrauen.

Solch verschiedene Beschäftigung erzeugt natürlich auch verschiedene Sitten, und der Matrose der Küste ist ein ganz anderes Wesen als der Bauernknecht des Binnenlandes. Dazu ist die Bevölkerung der meisten Binnenstriche Mecklenburgs obotritischer, das heißt slawischer Abkunft, und solches bemerkt man noch deutlich genug an vielen kleineren wie größeren Spuren, wenn sie auch sonst ganz germanisiert ist; so namentlich an der geringen Neigung für Reinlichkeit, oder gar Zierlichkeit der Wohnungen und ihrer Umgebung, ein gemein slawischer Zug. An den Küsten dagegen sind die Einwohner meist friesischen Stammes, denn der Slawe liebt die See, und was mit ihr zusammenhängt, nicht besonders. Diese in früheren Zeiten hier eingewanderten Friesen haben auch ihren alten Sinn für Reinlichkeit bewahrt, und das kleine Holzhaus des ärmsten Fischers ist innen wie außen so sauber gehalten, dass es darin mit einem Königspalast wetteifern kann. Überhaupt ist diese Einwohnerschaft des Fischlandes — denn hier auf diesem öden Sandfleck, wo an 5.000 Menschen hausen, erscheinen die Eigentümlichkeiten des Küstenlebens am unverfälschtesten — ein prächtiger, kernhafter Menschenschlag, an dem jeder Menschenkenner seine Freude haben muss. Hier herrschen noch Biedersinn, Fleiß, Ehrlichkeit und Reinlichkeit, und Mann und Weib, Alt und Jung wetteifern in angestrengter Tätigkeit, um sich tüchtig durchs raue Leben zu schlagen. Trotz des öden, kahlen Landes, das nur hier und da einen ärmlichen Tannenwald trägt, oder ein Kartoffelgärtchen, oder ein dürftiges Haferfeld, ist es darum im Fischlande so behaglich und traulich. Einem Bettler, ja nur einem Menschen in zerrissener oder unreiner Kleidung begegnet man nie, eine Wohnung in Verfall, ja nur eine zerbrochene, mit Papier ersetzte Fensterscheibe entdeckt das schärfste Auge nirgends.

Im Sommer erblickt man fast nur Weiber und Mädchen oder silberhaarige Greise in den fischländischen Dörfern, und dieselben erscheinen dann doppelt öde, ja fast ausgestorben. Die männliche Bevölkerung, vom vierzehnjährigen Buben bis zu dessen noch rüstigem Großvater, schwimmt dann auf nahen und fernen Meeren, sich den Unterhalt für den Winter zu verdienen. Anders wenn der Spätherbst kommt und die rauen Stürme die Schifffahrt auf den meisten Meeren so gefährlich machen, dass nur bei besonders günstigen Handelskonjunkturen die hohen Prämien herausgeschlagen werden, welche die Assekuranzgesellschaften dann fordern.

In der letzten Hälfte Novembers sieht man im Hafen von Rostock sehr viele Schiffe mit Ballast beladen einlaufen, um hier zu überwintern. Das ganze Jahr haben sie fortwährend herumgekreuzt und für fremde Rechnung Frachtgüter geführt. Bald haben sie Getreide aus dem kornreichen Odessa geholt und nach Antwerpen gebracht zur Ernährung der Fabrikarbeiter des stark bevölkerten Belgiens, bald sind sie um das gefährliche Nordkap, diesen Schrecken aller Seefahrer, in das Eismeer gelaufen, um von Archangel Produkte herzuführen, oder sie waren für Rechnung eines Hamburger Kaufmanns in Brasilien oder Jamaika. In allen Häfen Europas und Amerikas findet man diese mecklenburgischen Frachtschiffe mit ihrer fischländischen Bemannung, und überall ist letztere als tüchtig, beherzt, und besonders als ehrlich bekannt. Zum Winter suchen sie die Heimat zu erreichen; manchen ist dies aber wegen zu großer Entfernung nicht möglich und sie bleiben oft zwei, drei, vier Jahre hintereinander aus.

Ein reges Leben beginnt jetzt allmählich in den zur Sommerzeit so stillen fischländischen Dörfern. Kaum sind die Schiffe im Rostocker Hafen sicher untergebracht und ein Teil der Takelage abgenommen und in den Magazinen untergebracht, auch sonst alles wohl verwahrt, so macht sich die ganze Mannschaft des Fahrzeugs nach dem heimatlichen Dorfe auf. Die Fischländer hängen sehr an Familienbanden und an Verwandtschaften und bleiben, so weit es angeht, gern auch in ihrem Berufe nach Sippen beisammen. So kommt es vor, dass der Großvater Kapitän des Schiffes ist, der älteste Sohn der Steuermann desselben, einige jüngere Brüder oder Vettern die Matrosen und die beiden Enkelsöhne die Schiffsjungen. Fast immer hat der Kapitän einen kleinen Anteil am Fahrzeuge, das er führt, oft auch der Steuermann, selbst die Matrosen, wenn auch das meiste natürlich den reichen Rostocker Reedern und Kaufherrn gehört.

Fröhlich und guter Dinge, sich des Wiedersehens der geliebten Familie im voraus freuend, sieht man im Spätherbst täglich Haufen von Seeleuten in Rostock aus dem Ribnitzer Tor der Heimat zuziehen.

Alle sind im sonntäglichen Putz: weite blaue Beinkleider von gutem Tuch, eine kurze Jacke von gleichem Stoff, ein bunt gestreiftes Hemd, um den Hals ein seidenes Halstuch leicht geknotet, auf dem Kopf ein niederer runder Hut mit breitem Rand von Glanzleder, oder eine runde Pelzmütze, mit Otternfellen besetzt. Über den Schultern hängt der volle Tragsack mit der übrigen Kleidung, in der einen Ecke desselben sorgsam eingepackt ein oft wertvolles Geschenk, für die Frau oder Braut aus der weiten Ferne heimgebracht. Nie verfehlt die Schiffsmannschaft, sobald sie aus dem Tor der alten Stadt Rostock getreten ist, in ein lautes, freudiges Juchhe auszubrechen und die Hüte und Mützen hoch über den Köpfen zu schwenken.

Noch freudiger ist das Wiedersehen der Familie im heimatlichen Dorfe. Fast ohne Ausnahme ist der Fischländer ein zärtlicher Gatte, ein sorgsamer Familienvater, ein treuer Bräutigam. Dass einer dem Mädchen, dem er die Ehe versprochen, wortbrüchig würde, kommt fast nie vor; allgemeine Verachtung würde ihn dafür strafen und in keinem Hafen der Welt dürfte er sich wieder unter seinen fischländischen Kameraden blicken lassen. — Das Gerücht hat sich meist schon im Dorfe verbreitet, die Mannschaft des „Columbus,“ oder der „Ariadne,“ oder des „Polarsterns“ werde heute heimkehren, und die ganze Verwandtschaft geht ihnen ein gutes Stück Wegs entgegen. Das Wiedersehen wird dann unter freiem Himmel gefeiert, und das treue Weib oder die verschämt und doch so glückselig lächelnde Braut am Arme betritt der Seemann die heimische Stätte. Sie ist ihm der liebste Fleck auf Erden, und weder die Palmenwälder Indiens, noch der Glanz der reichen Handelsstädte, die er besucht, können ihn je verlocken, seinem Häuschen auf der öden sandigen fischländischen Landzunge untreu zu werden.

Oft freilich mischen sich auch viele bittere Tränen des Schmerzes in die allgemeine Freude der Rückkehr. Manche Frau muss den Gatten, den treuen Ernährer der Familie, die Mutter den Sohn, die Stütze ihres Alters, die Braut die Hoffnung ihres zukünftigen Lebens vermissen. Über Bord gerissen in dunkler Nacht, vom wilden Sturm oder mit dem gebrochenen Maste weit in die schäumenden Wellen hinausgeschleudert, ward er ein Opfer seines gefährlichen Berufs. Seine Gebeine ruhen für immer im kühlen Schoße des Mittelmeers oder des gewaltigen Ozeans, während im mecklenburgischen Dorfe manches Auge noch lange sich mit Tränen über seinen Verlust füllt. Oft sind auch ganze Schiffe mit der gesamten Bemannung spurlos verschwunden. Den Tag ihres Abgangs von einem Hafen haben die Zeitungen gemeldet, den der Ankunft verkünden sie nimmermehr. So findet man denn in den Dörfern auffallend viele Witwen und Waisen und trauernde Bräute, die sich selten wieder verloben. Mit großer Mildtätigkeit unterstützt die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes solche Familien, wenn sie dessen bedürfen, wie man denn wirkliche Armut nirgends aufkommen lässt.

Die erste Freude des Wiedersehens ist vorüber, das mitgebrachte Geschenk für die Hausfrau, bei den Kapitänen oft in einem Stück schweren Silberzeugs, bei den Matrosen in einem hübschen Teekessel von englischer Arbeit oder ähnlichem Hausgerät nebst einigen weiblichen Putzstücken bestehend, ist zur großen Befriedigung der Beschenkten abgeliefert. Sofort wird das auf der Reise ersparte Geld, beim Kapitän in etwa 200 Thalern, beim Steuermann in der Hälfte, beim gemeinen Matrosen in 50 — 60 Thalern bestehend, sorgsam der Hausfrau übergeben, damit diese die Kosten der Wirtschaft für das ganze Jahr davon bestreite. Einen tüchtigen Vorrat von Kaffee, Tee, Zucker und Rum bringt der Mann gewöhnlich auch mit, besonders wenn die Fahrt eine transatlantische gewesen.

Ein kleiner Garten liefert Gemüse und Kartoffeln, wenn auch selten in hinreichender Menge, so dass noch manches dazu gekauft werden muss; die dürftig genährte Kuh gibt spärliche Milch, und Fleischspeise liefern nur einige Gänse und zuweilen ein Schwein, das zu Weihnachten geschlachtet wird. Getreide zu Brot wird nicht gebaut und muss im Binnenlande gekauft werden. Da muss denn das Meer mit seinem Reichtum an Fischen aushelfen. Das Fischland führt den Namen nicht mit Unrecht; Alt und Jung, Mann und Weib treibt hier Fischfang mit so viel Eifer als Geschick. Im Sommer, wo die Männer fast alle fort sind, sieht man häufig Boote, nur mit Weibern und jungen Dirnen bemannt, weit in der See, um Fische mit Netzen zu fangen. Selbst den Kühen werden, wenn es an anderem Futter fehlt, getrocknete und zerstoßene Fischgräten in das Heu gemengt, die sie dann aus Hunger mit verzehren.

Fehlt es auch den Männern während der drei oder vier Wintermonate, die sie zu Hause zubringen, oft an Arbeit und ruhen sie recht mit Bewusstsein von den überstandenen Mühseligkeiten aus, so können und mögen sie doch nicht ganz müßig die Hände in den Schoß legen. Das erste, was bald nach der Heimkunft jeder Hausvater unternimmt, ist alles Holzwerk des Hauses neu zu bemalen. Der Matrose kann meist ein wenig mit dem Pinsel umgehen, und so erhalten Fensterrahmen, Türen, Laden einen glänzend grünen, das übrige Holzwerk einen braunen Anstrich. Die Wände und Decken innen und außen werden geweißt oder je nach Vermögen bemalt und alles vom Größten bis zum Kleinsten frisch und sauber hergerichtet. Diese Sorge um sein Haus versäumt sicher der wohlhabendste Kapitän so wenig als der gemeinste Matrose. Alle diese einstöckigen Holzhäuschen im Fischlande sehen daher immer so rein und gut erhalten aus, als kämen sie eben aus einem Nürnberger Spielwarenladen.

Die ärmeren Seeleute holen im Winter ferner Holz zur Feuerung für das ganze Jahr auf Handschlitten aus den nahen Tannenwaldungen, wobei sie es mit dem Bezahlen wohl nicht immer so genau nehmen mögen. Erlaubt es irgend noch die Witterung, so geht es in Booten auf das Meer zum Fischfang. Furchtbaren Beschwerden aller Art, von denen der Binnenländer kaum einen Begriff hat, sind diese Fischer in ihren offenen Booten in dieser rauen Jahreszeit häufig ausgesetzt. Der Sturm treibt sie trotz aller Vorsicht bisweilen zu weit von der Küste ab, die Nacht überfällt sie, und es braucht dann viele Stunden harter Arbeit, bis sie das Land wieder gewinnen; dabei werden ihre Kleider von den ins Boot spritzenden Wellen ganz durchnässt, sie haben keine Lebensmittel bei sich, und all dies, um im glücklichen Fall einige Fische zu bekommen, die keinen Thaler Wert sind.

Eine minder beschwerliche, selbst belustigende Beschäftigung ist die Jagd auf die wilden Schwimmvögel, besonders Schwäne und wilde Gänse, die aus dem hohen Norden hierher zum Überwintern kommen. In den kleinen Teichen, die hier in den Tannenholzungen zerstreut liegen, gibt es oft Quell-Stellen, die nur beim strengsten Frost zufrieren. Solchen offenen Wasserflecken ziehen die Vögel nach, um besonders die Nächte daselbst zuzubringen. Beim Mondschein schleichen sich nun die Jäger vorsichtig an diese ihnen bekannten Plätze, überraschen die armen Tiere und richten oft eine furchtbare Verheerung unter ihnen an. Mancher gute Braten wird auf solche Weise in die Küche der Strandbewohnerin geliefert, und das ungeheure Deckbett des Ehepaars erhält einen schwellenden Zuwachs von zarten Flaumen. Das Fleisch dieser Schwäne und Gänse hat indessen einen etwas tranigen Geschmack und muss deshalb eigentümlich zubereitet werden, wenn es munden soll. Die jungen Bursche namentlich lieben diese Jagd leidenschaftlich, suchen sich, wie sie nur können, ein altes Schießgewehr und Pulver und Blei zu verschaffen, und durchwachen manche Winternacht oft vergeblich, bis es ihnen gelingt eine Beute zu erhaschen. Sie schießen auch Möwen und andere kleine Strandvögel bloß um der Federn willen, denn das Fleisch derselben ist wegen des all zu starken Trangeschmacks ungenießbar.

Eine friedlichere Beschäftigung der älteren wie jüngeren Männer ist das Stricken der Netze zum Fischfang; auch bessern sie ihre Boote aus, schnitzen Ruder, machen kleine Holzgerätschaften, und was dergleichen Dinge mehr sind. Der Matrose ist häufig ein Tausendkünstler, der mit seinem Messer alles Mögliche leistet. Die Kapitäne und Steuerleute verkürzen sich die Zeit mit dem Lesen guter Bücher, besonders geographischen Inhalts, oder treiben wohl auch Sprachstudien; namentlich die jüngeren Steuerleute, die sich zu Führern von Schiffen bilden wollen, benutzen diese Muße der Wintermonate eifrig, um sich die theoretischen Kenntnisse anzueignen, die ein tüchtiger Schiffskapitän heutzutage besitzen muss, wenn er fortkommen will, und die auch im Examen von ihm gefordert werden.

Alle diese Beschäftigungen lassen aber natürlich manche freie Stunden übrig. Da kommen denn in den langen Winterabenden die Nachbarn zusammen, rauchen ihre Pfeife oder Zigarre, trinken ein Glas steifen Grog, und während die Frauen das Spinnrad lustig schnurren lassen, spinnen auch sie ihren Faden langer, oft gar wundersamer Erzählungen ab. Der eine erzählt von Konstantinopel, wo er in diesem Jahr gewesen, und schildert die Reize der Gegend oft wirklich mit lebendigen Farben; der andere beschreibt einen gefahrvollen Kampf mit einem riesigen Eisbären bei Spitzbergen, worauf der dritte ein kleines Gefecht preisgibt, das die Mannschaft seines Schiffes im letzten Jahr mit malaiischen Seeräubern im ostindischen Archipel bestanden. Von den älteren, ergrauten Männern wissen noch manche viel von Admiral Nelson zu sprechen und von der gewaltigen Schlacht, die sie unter ihm bei Trafalgar geschlagen. Viele Matrosen der mecklenburgischen Küstendörfer haben in den Napoleonischen Kriegsjahren auf der englischen Flotte gefochten, da die Kontinentalsperre ihnen daheim ihren Erwerb raubte. Neugierig lauschen die Frauen den Worten der weit gereisten, vielerfahrenen Männer, die ihnen eine völlig neue Welt aufschließen, da sie in ihrem ganzen Leben selten weiter als höchstens einige Meilen von ihrem Heimatorte wegkommen.

Sonntags ist zuweilen Tanzmusik in der Schenke des Dorfes, deren Wirt zugleich einen kleinen Handel treibt, da er vom spärlichen Wirtshausbesuch allein sich nicht ernähren könnte. Dann tanzen die jungen Bursche einige Stunden mit ihren Mädchen, während die älteren Männer mit der Pfeife im Munde an den Wänden herum lehnen. Wenn auch kräftig und wild, so tanzt man in den Küstendörfern doch weit besser als in den bäuerlichen Ortschaften des Binnenlandes. Der Matrose ist immer weit gewandter und mit seinem Körper geschickter als der Bauernknecht. In Folge seines Berufs, der ihn beständig auf den schwankenden Strickleitern und glatten Rahen wie eine Katze herumklettern lässt, hat er seinen Körper vollständig in seiner Gewalt. Auch die Mädchen, fast durchgängig hohe, schlanke Gestalten, in ihrer Jugend mit feinen, oft wirklich schönen Gesichtern, die aber durch die strenge Arbeit im rauen Seewind bald verblühen, haben eine freiere, edlere Haltung als die Bäuerinnen. Das viele Rudern hebt die Brust heraus und bringt die Arme zurück, und so hält sich manches Fischermädchen hier so aufrecht und stolz wie eine Fürstin.

Auch die weibliche Tracht weicht vorteilhaft von der im Binnenlande ab. Die Bauernmädchen lieben grelle, bunte Farben; das Wollzeug ihrer selbstgemachten Röcke ist mit roten, gelben, grünen Streifen durchwoben, die Kanten sind von bunten Wollbändern, das Busentuch ist grellrot mit schwefelgelben Verzierungen, die Bänder am Strohhut sind gleichfalls von schreienden Farben. Auf dem Fischlande und in Warnemünde dagegen tragen die Mädchen lange faltige Röcke von dunkelblauem Wollzeug, unten am Saum mit zwei handbreiten schwarzen Samtstreifen besetzt, blaue Schürzen, dunkelblaue Jacken, fast nach Männerart geschnitten, und lange schwarze Seidenbänder an den kleinen niedern Strohhüten mit breitem Rand. Die ganze Tracht hat etwas Sittsames, Züchtiges, wozu noch beiträgt, dass sie selbst bei der Arbeit immer rein und ordentlich gehalten wird.

Bei den sonntäglichen Tanzbelustigungen geht es übrigens immer sehr ordentlich und ruhig zu und wilde Störungen irgend einer Art kommen fast nie vor. So roh und übermütig sich der Matrose bei der Rückkehr von langer Reise in den Schenken der Hafenstädte beträgt, so gesittet ist er gewöhnlich im heimatlichen Dorfe im Schoße der Familie. Das weibliche Geschleckt ist der Zucht und Sitte früherer Zeiten auffallend treu geblieben. Wenn auch jeder junge Bursche sein Mädchen hat, das er oft erst nach Jahren heiraten kann, so sind doch uneheliche Kinder hier so selten als im Binnenlande häufig.

Bisweilen wird diese fast idyllische Winterruhe, der sich die Seeleute während der drei rauesten Monate daheim hingeben, durch Begebenheiten unterbrochen, die sie in die Gefahren ihres Berufes zurückversetzen. — Bleischwer liegt die dunkle Luft auf dem von ihrem Widerschein eben so finster gefärbten Meere. Der weiße Sand der Dünen sticht grell ab vom düsteren Grau der Wellen, die sich rollend an ihm brechen. Die Möwen, die hier in großen Scharen hausen, verkündigen durch gellende Klagetöne das aufziehende Unwetter. Schon der kleine Fischländer Bube kennt dieses sturmverkündende Geschrei der Möwen, und rasch läuft er nach Hause und ruft seinem Vater zu: „Vader, et wat weihn, der Meev der chriet so dull.“ Bald ist auch der Sturm im Anzug; brausend fährt er mit voller Kraft über die schmale, niedere, auf beiden Seiten vom Meere bespülte Landzunge weg und rüttelt an den Gebäuden, dass das Holzwerk in allen seinen Fugen knarrt. Die Wellen der Ostsee schlagen lauter und immer lauter an den Strand, so dass man den eigentümlich rollenden Ton schon aus weiter Ferne hört. Schon sind die Spitzen derselben mit weißem schaumigen Gischt gefärbt. Einer gärenden, kochenden Masse gleicht die Meeresfläche, an der jetzt kaum mehr eine bestimmte Farbe zu erkennen ist, so mischt sich der milchweiße Schaum mit dem Dunkelgraugrün des Wassers. Ängstlich klopft dem Landbewohner, der vom sichern Hause aus diesen Kampf der Elemente mit ansieht, das Herz beim Gedanken an die Tausende, die in diesem Augenblick im gebrechlichen Schiff dem wilden Meere preisgegeben sind. Wie freut er sich, dass er nicht dabei ist, und lässt sich das Punschglas noch einmal füllen, um es in behaglicher Sicherheit hinter dem warmen Ofen mit doppeltem Wohlbehagen zu schlürfen.

Da wird im fischländischen Dorfe die Kunde laut, ein dänischer Westindienfahrer sei in Sicht und habe die Notflagge aufgezogen. Er fürchtet das gefährliche Sandriff, das sich längs eines Teils des Fischlandes hinzieht, und sucht Hilfe, um dasselbe zu vermeiden. Diese Nachricht bringt wie mit einem Zauberschlag das ganze Dorf auf die Beine. Trotz des schneidenden Nordostwindes, der eisig kalt durch die Glieder fährt, eilt alles an den Strand. Selbst die Weiber und die kleinen Buben, die kaum die Hosen anhaben, fehlen nicht, und auch gebrechliche Greise humpeln am Stabe hinterdrein, um wenigstens ein Wort des Rates mitsprechen zu können.

Die jüngeren Burschen, von einigen älteren erfahrenen Männern geführt, bleiben unterdes nicht bloß müßige Zuschauer. Rasch werden die „Schanzloper“ (weite bis an das Knie reichende Jacken von dickem gefüttertem Wollzeug, wie sie die Seeleute bei kalter Witterung auf dem Schiffe tragen) angezogen, die mit Wachstuch überzogenen Hüte, „Nordwester“ genannt, aufgesetzt und einige Boote ausgerüstet, um dem bedrängten Schiffe Hilfe zu bringen. Oft nur mit großer Anstrengung wird das Boot in die See gebracht; wie eine Nussschale schleudern es die Wellen hin und her, jetzt es auf ihren Kamm erhebend, jetzt es in ihren Wassertälern verbergend, so dass es dem am Strande Nachblickenden oft ganz verschwindet. Aber mit eiserner Faust führt der alte durchwetterte Seemann das Steuerruder so geschickt, dass keine anrollende Woge das Boot von der Seite fassen und umwerfen kann. Eine sichere Hand und ein scharfes Auge gehören zum Steuern bei solchem Sturm; eine einzige Wendung zur unrechten Zeit, ein falscher Druck kann allen den gewissen Untergang bringen. Aber die acht Burschen, die die Bemannung bilden, sind von der Geschicklichkeit des Führers so überzeugt, dass solche Besorgnis keinen Augenblick bei ihnen auftaucht. Wie fest liegen sie in den Rudern, wie kräftig schlagen ihre sehnigen Arme die langen Blätter durch das schäumende Wasser, dass das zähe Eschenholz sich unter der gewaltigen Kraft biegt! Und immer in gleichem Takte setzen sie ein, als wenn ein und dieselbe Hand alle Ruder regierte.

Sehr rasch schneidet das Boot durch die Wogen, trotz des starken, ewig wechselnden Widerstandes derselben. Bisweilen freilich drängt ihre Gewalt es weit zurück, ja haben sie es einmal gepackt, so schleudern sie es wie einen leichten Fangball hunderte von Schritten fort, und nur mit äußerster Vorsicht und gewaltsamer Anspannung aller Kräfte kann dann das Umkippen verhütet werden. Hier und da, wenn auch nur selten, kommt dies wirklich vor und die Mannschaft ist dann gewöhnlich rettungslos verloren. Als starre Leichname werfen dann die Wellen, wie in ihrer Rache gesättigt, die kühnen Männer auf den Strand der Düne. Manche Familie, eben noch ein Bild des friedlichen Glücks, wird so auf einmal eine Stätte der Trauer; Vater, Bruder, Sohn sind derselben plötzlich geraubt; den Ozean hatten sie so oft glücklich durchschifft, im fernen Ländern Gefahren aller Art bestanden, um hier am heimischen Strand vor den Augen der Ihrigen den Tod zu finden. Das ist die Poesie im Berufe des Seemanns; jetzt im Arm der heißen Liebe, und gleich darauf im Schoße des kühlen Meeres.

Endlich ist die Mannschaft mit den Booten beim Schiffe angekommen, dem der Sturm auch übel mitspielt und es trotz seiner Größe wie einen Kreisel hin und her schleudert. Mit großer Gefahr, von den Wellen an das schwankende Schiff geschleudert zu werden, in welchem Fall das Boot unfehlbar zerschmettert würde, bringt man es so nahe wie möglich heran. Vom Bord aus wird nun ein Tau zugeworfen, das einer der Männer mit einer Schlinge um den Leib befestigt und nun mit kühnem Schwung in die Wellen springt, um sofort von der Schiffsmannschaft in raschem Zug aufs Verdeck gehisst zu werden.

Einen oder zwei Mann, je nach den Umständen, gibt so jedes Boot dem Schiffe zur Hilfe ab und macht sich dann so gut es geht auf den Rückweg. Die dem Schiff abgegebenen Seeleute, die demselben als Lotsen und zur Verstärkung der durch den Sturm erschöpften Mannschaft oder zur Aushilfe bei den Pumpen dienen, fahren gewöhnlich bis zum nächsten Hafen mit, nach Warnemünde oder Helsingör im Sund, oder nach Lübeck, Flensburg, Kopenhagen usw. Zu Lande eilen sie dann wieder der Heimat zu, der sie auf so unerwartete Weise oft mehrere Wochen entführt worden.

Für solche Hilfe erhält der Mann einen guten Tagelohn, gewöhnlich einen preußischen Thaler. Oft bleiben auch junge Matrosen gegen doppelte „Heuer“ (Monatslohn) gleich auf dem fremden Schiff, da die Mannschaft desselben durch Sturm oder Hunger zu sehr gelitten, um die im Winter doppelt beschwerlichen Arbeiten alle verrichten zu können, wohl auch Leute durch Sturzseen verloren hat.

Es versteht sich von selbst, dass die von solchen Expeditionen glücklich wieder an den Strand zurückgekehrten Männer sich Abends ihre Extraportion Grog doppelt gut schmecken lassen und ihr Abendbrot, gewöhnlich Kartoffeln in der Schale, die in eine Speck- und Zwiebelsauce (Nippels) getunkt werden, mit großer Behaglichkeit verzehren.

So, im behaglichen Leben, im Kreise der langentbehrten Familie, zuweilen von Unternehmungen wie die eben geschilderte unterbrochen, gehen die wenigen Wintermonate rasch dahin. Mit den Vorboten des Frühlings, gewöhnlich zu Anfang oder in der Mitte März, rüsten sich die Männer bereits wieder das Land zu verlassen und auf ihr zweites Lebenselement hinaus zu ziehen. Ein herzlicher Kuss, ein kräftiger Handschlag, oft zum Abschied auf Nimmer-wieder-sehen, und der Mann verlässt die Gattin, der Vater den unbewusst lächelnden Säugling, der Bräutigam die zagende Braut. Wie oft kommt dann im sehnlichst erwarteten Herbst statt seiner die Trauerbotschaft in das stille Dorf, dass er im Sturm an dieser oder jener Küste geblieben! Bisweilen vergehen aber auch Jahre, bis der Seemann sein Heimatdorf wieder erreichen kann. Das Kind, das beim Abschied in der Wiege lag, springt dann als munterer Bube dem Vater entgegen, die jugendliche Frische der Braut ist erbleicht, schärfere Linien hat die raue Arbeit des Tages und die stete Sorge um den fernen Schatz ihres Herzens in das sonst so liebliche Gesicht eingegraben.

Im Hafen von Rostock herrscht um die Frühlingszeit ein sehr reges Leben. Gewöhnlich laufen dann 200 bis 230 Fahrzeuge im Zeitraum von wenigen Wochen aus, über die Hälfte mit Ballast beladen, um erst in fremden Ländern Fracht zu suchen. Wohin es geht, gilt dem Seemann gleich, wenn nur der Verdienst gut ist. Lustig klettern die Matrosen auf den Masten umher, das Tauwerk zur neuen Reise zu richten, oder hängen in Kasten am Bauch des Schiffs, um diesem mit frischem Anstrich wieder ein stattliches Ansehen zu geben. Mit schwellenden Segeln, gleich riesigen Schwänen, gehen oft hintereinander zehn bis zwölf große Segelschiffe aus dem Hafen von Warnemünde, dem Außenhafen von Rostock. Das eine wendet sich nach St. Petersburg, nach Rio de Janeiro das andere; diese Brigg geht nach Messina, eine Ladung goldener Orangen zu holen, jene segelt nach dem Eismeer, an die Küste von Spitzbergen, zum Kampf mit dem wilden Wallross und dem wütenden Eisbären. Nach allen Strichen der Windrose, in die fernsten Zonen zerstreuen sich die Männer, die während des Winters im kleinen fischländischen Küstendorfe so friedlich zusammen gelebt.

In den Dörfern selbst ist es während der acht bis neun Monate, wo die Männer größtenteils fort sind, sehr still und öde. Die Weiber besorgen ihre häuslichen Geschäfte, graben den kleinen Garten um, pflanzen Kartoffeln und anderes Gemüse und mähen auf dem dürftigen Grasfleck das Futter für die kleine Kuh. Hier und da fahren sie auch hinaus zum Fischfang, und besuchen wohl auch auf dem Fährboot das Städtchen Ribnitz, um Wirtschaftsbedürfnisse und Kleidungsstücke einzukaufen. Fremde Reisende kommen fast nie in diese von jedem Verkehr abgeschnittenen Küstendörfer; höchstens besucht sie einmal der Beamte oder der Forstmeister. Hier und da fährt ein hausierender Jude im kleinen Planwagen, von magerem Pferde gezogen, durch die Ortschaften und betreibt einen kleinen Tauschhandel, wobei er gewöhnlich Schwanenhäute und Federn zu bekommen sucht. Großer Jubel ist im Hause, ein wahrer Festtag, wenn der Bote einen Brief vom Postamt Ribnitz bringt, in dem der Gatte, der Vater, der Bräutigam seine glückliche Ankunft im fernen Hafen meldet. Auch die Schiffsnachrichten der Rostocker Zeitung werden begierig gelesen und alles freut sich, wenn man hört, dass der „Archimedes“ in Konstantinopel und der „Friederich Franz“ in Bordeaux glücklich angekommen sind. Freilich bringt die Zeitung oft auch böse Kunde von einer schweren Beschädigung, ja vom Untergang dieses oder jenes bekannten Schiffes. — So kommt endlich der Spätherbst wieder heran und nach ihm die so heiß ersehnte Winterzeit, von der wir ein Bild zu geben versucht haben.

Fischerboote am Strand

Fischerboote am Strand

Das Boot in der Brandung

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Mecklenburger Ostseestrand im Herbst

Mecklenburger Ostseestrand im Herbst

Dargun, Schloss und Kirche aus Nordost

Dargun, Schloss und Kirche aus Nordost

Mecklenburger Gensdarmen

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Schweriner See im Winter, Sonnenuntergang

Schweriner See im Winter, Sonnenuntergang

Schaf- und Ziegenhirtin

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Mittagspause im Pferdestall

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Bauerntanz

Bauerntanz

Bauern beim Dreschen

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Getreideernte, ein Fuder Getreidegarben

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Ochsengespann

Ochsengespann

Heiligendamm, Kurhaus und Chaussee

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