Aphorismen und Miszellen. 281 bis 300.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
281. Nur die Glücklichen kommen ins Paradies. Die Unglücklichen sind verdammt, in jenem wie in diesem Leben.

282. Das Licht, das sogenannte offizielle Mitteilungen verbreitet, ist oft nichts als ein Irrwisch, der uns in Sümpfe führt.

283. Der Geist des Mannes ist sonnenlichter Tag, der Geist des Weibes gleicht mondheller Nacht – und der trübste Tag ist heller als die hellste Nacht. Aber der Tag verdunkelt die Sterne und macht alles Leben irdisch, und die Nacht ruft alle Welten hervor und macht das Leben himmlisch. Der Tag bringt Glut und Dürre und Haß; alles uns trocknend, beleuchtend, entzweit er die verwandtsten Dinge, bis selbst auf ihre Schatten; die Nacht bringt Milde und Tau und Liebe, und alle Grenzen verwischend, verschwistert sie, was sich feind oder fremd war. Der Geist des Mannes steht überall im Mittelpunkte der Betrachtung, von welchem er die ganze Welt übersieht. Er denkt hinaus und fühlt herein; sein Wissen ist ganz, seine Empfindungen sind Brüche. Frauen stehen mit ihrem Geiste nur auf diesem oder jenem Punkte der Kreislinie. Nicht überschauen und umschauen können sie die Welt, sie umschiffend, und sind sie am Ziele, so stehen sie doch wieder am Anfange der Reise; sie fühlen hinaus und denken herein; ihre Empfindung ist vollständig, ihr Wissen ein Bruchstück. So wäre Verlust und Ersatz dem Manne und dem Weibe in gleichem Maße zugeteilt.

284. Menschen, die mit Leichtigkeit fremde Sprachen erlernen, haben gewöhnlich einen starken Charakter.

285. Um zu gefallen, muß man eitel sein; man lernt der Eitelkeit anderer nur an sich selbst schmeicheln.

286. Alle Narrheit erschöpfen – so gelangt man zum Boden der Weisheit.

287. Klugheit ist oft lästig wie ein Nachtlicht im Schlafzimmer.

288. Glücklich zu sein ist auch eine Tugend.
289. Nach Steinen und Kräutern soll man forschen, die stille halten, wenn man sie berührt, nicht nach lebendigen Dingen, die auf den untersuchenden Finger zuschnappen. Dort gibt die Befriedigung der Wißbegierde Ruhe und Lust, hier nur Furcht und Schmerz. Die tote Natur zerstört, um zu schaffen, die lebende gebärt, um zu töten. Wie beneidenswert sind jene Glücklichen, die friedlich leben in der wildbewegten Zeit, am Rande des stürmenden Meeres sich der Muscheln erfreuen, die nur Käfer murren hören und auf Schlachtfeldern nach Schmetterlingen jagen!

290. Rousseau hatte ein deutsches Herz und einen britischen Geist; französisch war nichts an ihm als die Sprache.

291. Der Hund heult, wenn er geschlagen wird, und der Mensch soll es nicht dürfen? Aber es gibt Menschen, die hündischer sind als Hunde – und nicht heulen, wenn sie geschlagen werden.

292. Die Regierungen tun öfter Böses aus Feigheit als aus Übermut.

293. Wer Tyrannei stürzen will, muß ihr dienen.

294. Soll die bürgerliche Gesellschaft eine Maschine sein, nun wohl, so behandle man sie wenigstens mit der Schonung, mit der man eine Maschine zu behandeln pflegt. Ist die Uhr einmal aufgezogen, zeigt sie richtig die Stunde, läßt man sie gehen, bis sie abgelaufen ist oder ganz regellos geworden. Die Regierungen aber legen den Schlüssel nie aus der Hand, sie rücken immerfort am Zeiger, sie regieren unaufhörlich.

295. Man muß den Staat als eine Assekuranzgesellschaft betrachten, worin jeder Teilnehmer einen gewissen Teil seiner Freiheit als Assekuranzprämie entrichtet, um das Kapital zu sichern. Aber die Prämie muß im Verhältnisse zum Kapital, sie muß auch im Verhältnisse zu den Gefahren stehen, welchen das Kapital ausgesetzt ist. Verschlingt die Prämie fast das ganze Kapital, dann bleibt ja dem Bürger nichts übrig, das ihm versichert wird. Ist die Prämie zu groß für die Unwahrscheinlichkeit der Gefahr, dann wagte es der Bürger besser, ohne Versicherung zu leben, er gewönne dabei, in den Zustand der Natur zurückzutreten. Diese beiden Mißverhältnisse finden aber in den europäischen Staaten statt. Die Freiheit des Bürgers ist so sehr beschränkt, daß ihm wenige mehr übrig bleibt, zu deren Sicherung jene Beschränkung eigentlich eingeführt worden. Als die bürgerlichen Gesellschaften sich bildeten, waren ihre Gefahren groß. Die wilden natürlichen Triebe der Menschen herrschten noch vor, die Leidenschaften ruhten nicht; die Freiheit mußte sehr beschränkt werden. Aber die Zeiten der Gefahr sind vorüber, die Bürger sind zur Gesetzlichkeit erzogen, und der Versicherungszins ist durch die Gewinnsucht der Regierungen so groß geblieben, als er ursprünglich gewesen.

296. Eine Staatsverfassung darf nichts enthalten als die Beschränkung der Freiheit, denn die Freiheit selbst ist ein angeborenes Recht und braucht nicht bewilligt zu werden, da sie nicht versagt werden kann. Daher ist eine freie Konstitution ein törichtes Wort, das einen törichten Gedanken ausdrückt.

297. Manche Regierung des Festlandes, die nicht zu den vorherrschenden gehört, ist in der bedauernswürdigen Lage, daß sie das Böse willig, das Gute gezwungen zu tun scheint, ob es zwar umgekehrt ist.

298. Der Adel sieht sich als einen Obelisken an, dessen Spitze der Fürst und dessen Postament das Volk bildet.

299. Man spricht von den Rechten der Regierungen, der Fürsten, der Krone; ja, die Liberalen selbst sprechen davon, nur sagen sie, das Volk habe auch Rechte. Aber wie kann eine Regierung Rechte haben? Was heißt ein Recht? Recht heißt die ausschließliche Befugnis, die einem auf eine Sache oder Handlung zu seinem Vorteile zustehet. Aber die ausschließlichen Befugnisse, die einer Regierung zustehen, hat sie sie denn zu ihrem Vorteile? Übt sie sie nicht vielmehr zum Vorteile des Volkes aus? Die Macht aber, die eine Regierung zum Vorteile des Volkes übt, ist eine Pflicht, kein Recht. Sie kann sich dieses sogenannten Rechtes nicht entäußern, also ist es kein Recht. Die schlimmsten Schmeichler der Fürsten, die wärmsten Verteidiger der Legitimität, die strengsten, absolutesten, können doch immer nur behaupten, zum Glücke eines Volkes sei es nötig, daß es monarchisch regiert werde, daß der Fürst unbeschränkte Gewalt habe; ist dieses aber, dann hat der Fürst nur Pflichten, er hat keine Rechte. Weil die Herrschsucht der Kleinen in der Herrschaft der Großen etwas Wünschenswertes fand, haben sie den Besitz der Herrschaft ein Recht genannt. Den besten edelsten Fürsten war das Regieren nur immer als eine schwere Pflicht erschienen.

300. Die bürgerliche Gesellschaft ist in Gärung, sie strebt, sich in ihre Elemente aufzulösen. Derer sind zwei: Herrschaft und Freiheit. Alle Massen, alle Stoffe ziehen sich nach dieser oder jener Seite. Der Kampf wäre bald entschieden, könnten nur die Kämpfer im freien Felde aufeinandertreffen. Aber der Ministerialismus sucht die Mischungen zu erhalten.