Aphorismen und Miszellen. 256 bis 261.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
251. Die Deutschen können das Befehlen und das Gehorchen nicht lassen, und es ist schwer zu bestimmen, woran sie am meisten Vergnügen finden. Auch ist es ein höchst deutscher Dichter, welcher singt:

Du mußt herrschen oder dienen,
Amboß oder Hammer sein.

Treffender Spruch, ob er schon eine große Unwahrheit und eine abscheuliche Verleumdung der menschlichen Natur enthält. Herrschen oder dienen, das heißt Sklave sein auf diese oder jene Weise; dort umschließen goldne, hier eiserne Stäbe den Käfig. Die Kette, welche bindet, ist so gebunden als das, was sie bindet. Aber der Mensch ist zur Freiheit geboren, und nur soviel als die Lebensluft der Beimischung des Stickgases bedarf, um atembar zu sein, soviel muß die Freiheit beschränkt werden, um genießbar zu bleiben. Wer aber dieses Zuvielregieren den Regierungen als Schuld beimißt, der würde, wenigstens in Deutschland, eine große Ungerechtigkeit begehen. Es ist die Schuld und Schwäche der Untertanen. Man versuche es und hebe die hundert überflüssigen Gesetze auf, die verbieten, was nicht verboten werden sollte, oder erlauben, was keiner Erlaubnis bedurfte, und man wird sehen, wie sich die Bürger bei jedem Schritt gehindert fühlen und wieviel sie klagen würden, daß es ihnen an einer Vorschrift mangle. Das kommt daher, weil es ihnen an Tugend fehlt, die ohne Zwang jedem sein Recht zuspricht; und an Tugend fehlt es ihnen, weil ihnen Kraft fehlt, die das eigene Recht zu verteidigen weiß; und an Kraft fehlt es ihnen, weil ihnen der Geist fehlt, welcher der Hebel des Willens ist; und an Geist fehlt es ihnen, weil sie Deutsche sind.

252. In einer gewissen Beziehung kann man freilich mit Grund sagen, daß die Gelehrten und Philosophen die französische Revolution befördert haben, so betrachtet nämlich, daß jeder Revolution eine Umwandlung der öffentlichen Meinung vorhergegangen sein muß und daß die Schriftsteller allein es sind (wo nämlich keine Volksvertretung stattfindet), durch welche die öffentliche Meinung sich ausspricht. Doch den Philosophen darum einen verbrecherischen Teil an den Übeltaten der Staatsumwälzung in Frankreich zuschreiben zu wollen, ist ebenso ungerecht als lächerlich. Sie sind es nicht, welche die öffentliche Meinung leiten, sie sind ihr vielmehr selbst unterworfen und verhalten sich zu ihr wie die Sprache zum Gedanken; aber verdammlich kann nie der Ausdruck, sondern nur der Sinn sein. Die Philosophen, welche die Gesinnung des Volkes aussprachen und verrieten, noch ehe sich diese in Taten offenbarte, waren vielmehr heilsam und haben den Jammer der Zeit sehr gemildert. Wenn einmal die alten Dämme im Staate unhaltbar geworden und durchbrochen sind, breitet sich die öffentliche Meinung von selbst aus, die Schriftsteller und Redner aber führen sie durch Kanäle unschädlicher ab. Man irrt sich, wenn man den Rednern geschehenes Unheil vorwirft, indem man behauptet, sie hätten Leidenschaften aufgeregt; sie haben sie vielmehr unschädlich gemacht, indem sie ihnen einen Ausweg bahnten. Der Blitz, dessen begleitenden Donner wir vernehmen, ist schon unbeschädigend an uns vorübergegangen. In Revolutionen sind die Schweigenden gefährlicher als die Redenden. Auch die Aufklärung hat in Frankreich die Übel nicht verschuldet, sondern nur die versteckten an den Tag gebracht. Die Sonne, welche über einem Schlachtfelde aufgeht, hat die Toten auf demselben nicht geschlagen, sondern nur gezeigt. Sie lehrt uns den Verlust berechnen – und das ist besser.

253. Nadelstiche sind schwerer zu parieren als Schwerthiebe – das haben sie endlich gelernt, die Verfechter der alten Zeit.

254. Die Freiheit der Presse hat für die Regierenden manche Unbequemlichkeit; aber wenn sie dieser ausweichen, stürzen sie sich in Verderben. So hat schon tausendmal der Blitz diejenigen erschlagen, die bei einem Gewitter, nur um nicht durchnäßt zu werden, Schutz unter Bäumen suchten.

255. Der Redestrom eines Landgeistlichen im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen bildet einen merkwürdigen, logischen Wasserfall in mehreren kühnen Absätzen. Er sagt: Die Pfarrer würden schlecht bezahlt – daher verlören sie immer mehr an Achtung – daher würde der christliche Glaube immer schwächer – daher müsse „nach einer kurzen Reihe von Jahrhunderten“ die Menschheit „merklich“ rückwärts gehen – daher würde endlich das „so tief versunkene Volk einem Apis und anderen unvernünftigen Tieren wieder Tempel bauen“. Man sieht es, dieser gute Mann ist zu ehrlich, um klug zu sein, er kennt seine Pflicht besser als seine Zeit. Alle Menschen, vornehme wie geringe, leben gegenwärtig nur vom Tagelohne des Schicksals. Wer sie warnen und schrecken will, darf nicht von einer Reihe von Jahrhunderten und von merklichen Gefahren sprechen. Er muß am Morgen sagen: „Wenn nicht die Besoldung der Pfarrer noch Vormittag erhöht wird, werden bis Abend sämtliche Christen den Götzen Apis anbeten.“ Er muß um halb zwölf Uhr sagen: „Wenn nicht der grenzenlosen Frechheit der liberalen Schriftsteller sogleich Einhalt geschieht, wird bis Mittag die ganze Welt in Blut und Tränen schwimmen.“ So wirkt man in unsern Tagen.

256. Das Volk kann, einem Kinde gleich, nur weinen oder lachen. Daß es Schmerz hat oder Freude, erkennt man wohl; aber woran es leidet und wessen es froh sei, ist oft schwer zu erforschen.

257. Die Natur führt uns auf dem Wege der Zuckerbäckerjungen zur Weisheit: sie übersättigt uns mit den Genüssen, die wir meiden sollen.

258. Unsere Vornehmen haben den Kitzel verloren, und das Volk hat eine harte Haut: ihr verlangt aber dennoch, wir sollten bloß durch gute Gründe zu wirken suchen!

259. Die gemeinen Türken glauben, daß auf allen Stückchen Papier, die sie zufällig finden, der Name Gottes unsichtbar geschrieben steht. Daher versäumen sie nie, solche aufzuheben und zu verschlucken, überzeugt, daß ihnen diese Frömmigkeit in jener Welt hoch werde angerechnet werden. Die vornehmen Christen haben eine andere Art von Aberglauben: sie wähnen, auf jedem Stückchen Papier stünde der Name des Teufels unsichtbar gedruckt, und darum lassen sie, um sich bei ihm einzuschmeicheln, alle vermeintlichen Teufelspapiere von dazu bestellten Dienern verschlingen. Diese armen Menschen sind sehr zu bedauern, sie haben unaufhörlich den Teufel im Leibe.

260. Erst vor wenigen Jahren hat die römische Kirche die galiläische Weltordnung anerkannt. Was mögen nun jene politischen Ptolemäer noch von ihren verrosteten Schwertern erwarten, da sie sehen, daß selbst der blankeste Mut sich endlich der Wahrheit unterwirft? Denn der Kampf unserer Tage über die bürgerliche Ordnung ist ganz der alte Streit zwischen dem ptolemäischen und kopernikanischen Planetensysteme. Es fragt sich, ob die Erde stehe und um ihre Kleinheit sich die Sonne bewege, oder ob die Sonne Gebieterin sei? List, Drohung, Gewalt, Bestechung, Schmeichelei – alles vergebens. Man kann hier und dort die eingeschüchterte Wahrheit zwingen, der Lüge kniend Abbitte zu tun; aber im Aufstehen wird sie sich ermutigen und wie Galiläi ausrufen: Und doch bewegt sie sich!

261. Ehrfurcht ist die Leibwache der Könige gewesen, Furcht war es, Gewohnheit ist es, Liebe wird es sein.