Aphorismen und Miszellen. 201 bis 213.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
201. Eine schwache Regierung zu stärken, muß man ihre Macht vermindern. Die Staatspfuscher begreifen das nicht.

202. Man kann die Gedanken wie die Naturkörper ordnen; sie stehen auf niederer oder höherer Stufe, gleich Steinen, Pflanzen, Tieren. Es gibt mineralische, vegetabilische und tierische Ideen. Den deutschen Ideen, so kostbar sie auch sind, fehlt es an Leben. Ein Demant ist mehr wert als ein Ochs; aber ein Ochs lebt.

203. Die Deutschen lassen sich leicht unter eine Hut bringen; aber unter einen schwer. Sie sind nur einig, wo es etwas zu leiden gibt, wo zu tun, niemals.

204. Frau von Sevigné hat in mehreren hundert Briefen immehr mit einer andern Wendung ausgedrückt, wie sehr sie ihre Tochter liebe. Man sollte nicht glauben, daß das Herz so viel Geist hat.

205. Die Geschichte lehrt uns Tugend, aber die Natur predigt unaufhörlich das Laster.

206. Das Unglück ist der Ballast, der uns auf dem Ozean des Lebens im Gleichgewichte erhält, wenn wir keine Glücksgüter mehr zu tragen haben.

207. Ein Mann von Geist wird nicht allein nie etwas Dummes sagen, er wird auch nie etwas Dummes hören.

208. Das Philosophieren ist eine angeerbte Krankheit des menschlichen Geistes, der Fluch des mit Schmerzen Gebärens.

209. Nichts bereuen ist aller Weisheit Anfang.

210. Schmerz ist der Vater und Liebe die Mutter der Weisheit.

211. Frankreich ist das Zifferblatt Europens; hier sieht man, welche Zeit es ist, in andern Ländern muß man die Uhr erst schlagen hören, um die Stunde zu erfahren – man verhört sich aber leichter, als man sich versieht.

212. Namen, nichts als Namen! Das ist die ewige Verblendung der Aristokratie. Sie verstehen sich nur auf Menschen, nicht auf die Menschheit und verwechseln die Uhr mit der Zeit. Alle Ereignisse, meinen sie, entsprängen aus kleinen Quellen, die man nur zu verstopfen brauchte, um den Geschichten ein Ende zu machen. Von den Schleusen des Himmels haben sie keine Ahndung, und käme zum zweiten Male eine Sündflut, würden sie sagen: Das ist eine Intrige, und hingehen, ihrer Quelle nachzuspüren. Ich glaube, wenn das gelbe Fieber über Paris käme, und Benjamin Constant, Sebastiani, Lafitte und die übrigen Häupter der liberalen Partei stürben daran – die Aristokraten würden sich die Augen reiben und sagen: Gott sei Dank, es war alles nur ein Traum; heute ist Hirschjagd im Walde von St. Germain!

213. Wenn es in Waffenkriegen oft bedenklich ist, auf dem Schlachtfelde zu kämpfen, das der Feind anbietet, ist es in Meinungsstreitigkeiten immer rätlich, sich auf den Standpunkt zu stellen, den sich der Gegner gewählt.