Aphorismen und Miszellen. 186 bis 200.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
Themenbereiche
186. In Republiken wird das Gefühl der Freiheit erst in ihrem Mißbrauche zum Genuß, ja, die gesetzliche Freiheit selbst kann sich oft nur durch ihre Ausschweifungen erhalten.

187. Karoline von Braunschweig, die verstorbene Königin von England, war schon als Kind sehr lebhaft, und ihre rechtwinkligen deutschen Lehrer hatten große Not mit ihr. In der Musik wurde sie von einem gewissen Fleischer unterrichtet. Einst hatte er die Fürstin wiederholt zurechtgewiesen, wie sie eine gewisse Klaviernote mit einem bestimmten Finger greifen müsse. Kaum hatte der Lehrer darauf aufmerksam gemacht, so veranlaßte der Gebrauch des unrechten Fingers Wiederholung derselben Erinnerung; da verlor der alte Mann die Geduld: „So bleiben Sie doch mit dem unrichtigen verfluchten – – durchlauchtigen Finger weg!“ rief er im Ausbruche seines Zorns ... Man sieht, der Deutsche kann wohl straucheln in der hohen Personen schuldigen Ehrfurcht, aber fallen kann er nie.

188. Eine unbeschränkte Herrschaft gleicht einem Garten ohne Zaun. Der Besitzer kann freilich überall hinaustreten, aber der Fremde kann von allen Seiten hereinkommen.

189. Was für den Körper der Schwindel ist, das ist Verlegenheit für den Geist.
190. Es gibt Dreiviertelsmenschen, die in der Welt mehr gelten, als sie wert sind. Das kommt daher, weil die unkundige Menge die Zähler und Nenner jener Bruchseelen für ganze Zahlen hält und sie addiert.

191. Moral ist die Grammatik der Religion; es ist leichter, gerecht als schön zu handeln.

192. Es ist leicht den Haß, schwer die Liebe, am schwersten Gleichgültigkeit zu verbergen.

193. Ein verrostet Schild flehte zur Sonne: Sonne, erleuchte mich! Da sprach die Sonne zum Schilde: Schild, reinige dich!

194. Nicht lächeln soll das Bild des Todes; aber auch nicht fratzenhaft sein. Freund Hein hat mehr als man denkt dazu beigetragen, uns spießbürgerlich, gemein und kraftlos zu machen.

195. Um Kindern Moral in Beispielen zu lehren, dazu gebraucht man die Geschichte. Das heißt, ihnen Schwert und Lanze als Messer und Gabel in die Hände geben.

196. Der Mensch ist wie eine Spieluhr. Ein unmerklicher Ruck – und er gibt eine andere Melodie an.

197. Warum Shakespeare auf deutschen Bühnen kein Glück macht? Weil man nicht gewohnt ist, mit Vorlegelöffeln zu essen.

198. Jede Stunde, dem Hasse vergeudet, ist eine Ewigkeit, der Liebe entzogen.

199. Einen Dieb zum Nachtwächter und einen Jesuiten zum Zeitungsschreiber bestellen, das ist einerlei.

200. Wenn sie eine kleine Zeitung unter ihre Faust gebracht, frohlocken sie, daß sie den Strom der Zeit aufgehalten! Sie gleichen jenem dummen Teufel, der die Quelle in Donaueschingen mit seiner Hand bedeckte und dabei lachend ausrief: wie werden sie sich in Wien wundern, wenn auf einmal die Donau ausbleibt.